Würden Sie ihrer Gemeinde einen Kredit geben?

Deutschlands Städte und Kommunen sind faktisch pleite. Das ist allgemein bekannt, und da macht auch beispielsweise Bad Wiessee keine Ausnahme. Trotzdem muss “man” auch in Zukunft irgendwie “flüssig” sein. Die Lösung: es wird Gemeindeeigentum verkauft, oder man leiht sich Geld von der Bank.

Einen ganz anderen Weg hat nun eine erste Gemeinde in Hessen erfolgreich getestet: Dort haben sich die Stadtoberen Geld bei den eigenen Bürgern geliehen. Für neue Funkgeräte der Feuerwehr.

Mit 127.400 Euro hat sich die Gemeinde Gmund am neuen Fahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr beteiligt.

Erst letzte Woche war es auch in Gmund so weit: Die Freiwillige Feuerwehr konnte ein neues Löschfahrzeug in Empfang nehmen. Insgesamt 305.139 Euro hat das Fahrzeug gekostet. Knapp 100.000 kommen vom Freistaat Bayern, 80.000 Euro von der Feuerwehr, und den größten Batzen mit knapp 130.000 Euro trägt die Gemeinde Gmund. Ein Posten, der auch im Gmunder Haushalt deutlich zu spüren ist, der aber sein muss.

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Es ist oft genug Geld, das auf der anderen Seite von irgendwo geliehen werden muss: Gmund steht derzeit mit etwa 2,2 Millionen bei Kreditinstituten in der Kreide. 

Erste Gemeinde in Deutschland leiht sich Geld von Bürgern

In der 11.500 Einwohner großen Stadt Oestrich-Winkel steht ebenfalls eine Anschaffung für die Freiwillige Feuerwehr an. 160.000 Euro werden dort für neue Digitalfunkgeräte fällig. Geld, das das Rathaus nicht hat. Anstatt an Kreditinstitute hat man sich allerdings an die Bürger als Kreditgeber gewandt und als erste deutsche Kommune mit einer neuen Finanzierungsform experimentiert.

LeihDeinerStadtGeld heißt der Gedanke, den ein junges Start-up angestoßen hat. Der Gedanke dahinter: Kredite aus der Bevölkerung anstatt aus der globalen Finanzindustrie sind sozialverträglicher – und am Ende auch günstiger für alle Beteiligten:

Als landesweit erste Kommune hat sich die Stadt Oestrich-Winkel für die Aufnahme eines Bürgerdarlehens entschieden. Auf diesem Wege sollen insgesamt 160.000 Euro, hiervon 83.200 Euro in der bereits abgeschlossenen ersten Tranche, für die Anschaffung von Digitalfunkgeräten für die Freiwillige Feuerwehr direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern geliehen werden, statt wie üblich von einer Bank. Die Nachfrage nach dem Bürgerkredit führte insgesamt zu einer Überzeichnung der anvisierten Summe von 83.200 Euro.

Die Kredite werden mit 0,76 % verzinst und haben eine festgesetzte Laufzeit von sechs Jahren. Die Motivation der kreditgebenden Bürger liegt also weniger im wirtschaftlichen Interesse oder im möglichen Gewinn, sondern in der Unterstützung der eigenen Gemeinschaft und nicht zuletzt wohl auch in der Sicherheit, die der Staat als Kreditnehmer bietet.

In der Onlinebranche wird seit einigen Jahren mit dieser Finanzierungsform experimentiert. Crowdfunding nennt sich das Konzept der Mikrokredite durch Privatpersonen, das seinen Ursprung in der Start-up-Branche hat. Dort wird es meist als erste Geldstütze zum Start junger Unternehmen eingesetzt.

Beteiligung sorgt für Wertschätzung

Das Konzept hat aber auch im kommunalen Umfeld durchaus seine Berechtigung, wie die Leihbereitschaft der Oestrich-Winkeler bewiesen hat. Warum sollte sich eine Gemeinde teures Geld bei Kreditinstituten leihen, wenn auch die eigene Gemeinschaft bereit ist, dafür einzuspringen? Außerdem gehen Experten davon aus, dass durch die Form der Beteiligung auch mit den Anschaffungen besser umgegangen wird.

Das gilt vielleicht nicht für Funkgeräte bei der Feuerwehr – diese werden so oder so pfleglich behandelt -, aber mal angenommen, einige Eltern und Großeltern leihen der klammen Gemeinde Geld, um den lang ersehnten Spielplatz errichten zu können – diese Kreditgeber könnten sich mit “ihrem Spielplatz” identifizieren und sich vermutlich anders oder gar proaktiv für Sauberkeit und Pflege einsetzen. 

Klamme Gemeinden und wohlhabende Einwohner

In Gegenden wie dem Tegernseer Tal wären mit solchen Ansätzen vielleicht sogar große Projekte möglich. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass die Kämmerer in den Gemeinden zwar teilweise zu kämpfen haben, Teile der Bevölkerung aber oftmals mehr als genug auf der hohen Kante haben. Viel verdienen ließe sich für die Kreditgeber natürlich nicht, aber im Gegenzug könnten sie so selbst die Mittel zur Verfügung stellen, dass sich ihr direktes Wohnumfeld zu einem lebenswerteren Ort entwickeln kann.

Sie würden nicht monetär profitieren, aber vielleicht durch eine schlaglochfreie Straße, ein saniertes Schwimmbad oder einen neuen Kindergarten. Auch der lokale Zusammenhalt könnte wachsen, wenn viele Einwohner ganz direkt an neuen Projekten beteiligt sind und dementsprechend daran glauben.

Spielplätze – so wie hier in Tegernsee – bedeuten für viele Familien eine Aufwertung des Lebensumfeldes. Auch ein Projekt, um Geld zu geben?

Neben den günstigen Konditionen für die Gemeinden müsste allerdings auch dem Bürger eine neue Form der Offenheit entgegengebracht werden: Wer Geld leihen soll, muss auch auf Heller und Pfennig genau wissen für was. Er muss überzeugt sein, dass sein Geld sinnvoll eingesetzt wird. Das wäre eine neue Aufgabe für die Gemeinden – im Gegenzug zu den günstigen Zinsen.

Der Wirtschaftspublizist Gunnar Sohn hat es auf theeuropean unlängst so ausgedrückt:

Wer es ernst meint mit Transparenz, Partizipation und Demokratie, sollte auch größere Vorhaben über Crowdfunding-Prinzipien finanzieren und in der Öffentlichkeit um Zustimmung werben.

Zugegeben, bis zu diesem Punkt klingt das alles sehr schön und einfach. Wo also ist der Haken? Ja, den gibt es leider auch bei solchen Arten der gemeinschaftlichen Finanzierung. Zwar entgeht eine Gemeinde geschickt den Abhängigkeiten gegenüber Kreditinstituten, geht im gleichen Zug aber neue ein: Bürger, die ihrer Gemeinde viel Geld geliehen haben, erwarten eventuell auf der anderen Seite ein “Entgegenkommen” bei ihren persönlichen Anliegen.

Kredite bedeuten immer Abhängigkeit

Ganz ohne Kreditvertrag konnte man das ansatzweise schon beim Kauf des Spielbankareals beobachten: Einigen im Tal war doch etwas unwohl bei dem Gedanken, dass der Milliardär und “Duzfreund” des Bürgermeisters Thomas Strüngmann den Zuschlag bekam. Der Einfluss wohlhabender Menschen könnte also stärker werden, weil sie nicht mehr nur viele Steuern bezahlen oder gar als potenter Investor einspringen können, sondern direkt als Kreditgeber fungieren. 

Lösungen ließen sich sicherlich auch dafür finden: Die Maximalsummen könnten gedeckelt werden, es müssten Regelungen her, an wie vielen Projekten sich Einzelne beteiligen dürfen, oder es könnte veröffentlicht werden, von wem die Kredite stammen – natürlich mit Zustimmung der Kreditgeber. 

Der Gedanke, sich innerhalb funktionierender Gemeinschaft gegenseitig etwas zu leihen, wenn einer mal etwas knapp bei Kasse ist, ist allerdings nichts Neues und hat durchaus auch im Zusammenleben zwischen Bürgern und Rathaus seinen Reiz. Auch wenn das alles noch in den Kinderschuhen steckt, zeigt sich doch jetzt schon, welche Möglichkeiten eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Bürgern bieten kann.

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