Waren Nazis überhaupt im Tal?
Chronik-Desaster findet gutes Ende

Chroniken sind eine schwache Form der Erinnerungskultur. Klappt eher selten, vor allem, wenn man nicht mehr weiß, wer sie in Auftrag gegeben hat:

Chronik in einer Bank in Rottach-Egern. Bis gestern noch zu sehen, wird jetzt überarbeitet. Auch das kann Journalismus. Foto: Redaktion

“TTT überrascht – Chronik wurde von fremder Werbeagentur entwickelt …”

Das ging schnell. Gestern schrieben wir über eine Chronik im Schaufenster einer Rottach-Egerner Bank. Sie hatte die Nazijahre im Tal eher überschaubar wiedergegeben. Heute dann hektisches Betriebsamkeit allerorten. Das Schild kommt weg. Die Tegernseer Tal Tourismus GmbH (TTT) war völlig überrascht, hat wohl mit Schild und Design nichts zu tun, wie TTT-Chef, Christian Kausch, betont. “Da hat eine Werbeagentur unser Logo und unsere Bilder genommen, wir wurden nicht gefragt.”

Nun ist die Chronik weg, wird überarbeitet. Schnell und transparent. Respekt. Warum aber diese Chronik dort über Jahre hing, keiner etwas anstößig fand, das wird ein Rätsel bleiben …

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Ursprünglicher Artikel, 9. November 2023, 16.00 Uhr

Es ist die Chronik des Tegernseer Tals und Rottach-Egerns. Hängt im Schaufenster einer Bank an der Hauptstraße. Oben links prangt das Markenzeichen des Tals. So stellt die Tegernseer Tal Tourismus GmbH (TTT) die Geschichte des Tegernseer Tals den Gästen und Einheimischen dar. Fängt munter an im Jahr 719 mit der Gründung, erzählt von wichtigen Brückenbauten um 1411 und vergisst auch nicht den Rathaus-Neubau von 1865 (damals ohne Bürgerbegehren. Monarchien hatten auch Vorteile).

Dann aber fängt die gute Zeit an. Wir zitieren aus der Tafel: “1936 — Der staatlich gelenkte Tourismus bringt tausende Gäste ins Tegernseer Tal. Allmählich entwickelt sich am Wallberg bei Rottach-Egern ein richtiger Wintertourismus.” Hach, mit viel Kraft und Freude wurde von unseren Ahnen am Fundament unseres jetzigen touristischen Wohlstands gearbeitet.

Zwangsarisierungen, Krieg, Shoah, Kriegsende — große Schritte für die Menschheit, eher kleine für den örtlichen Tourismus. Auf der Chronik geht es wieder 1950 weiter:  “Der ‘Geldadel’, das Establishment, Banken und Versicherungen entdecken den Tegernsee und Rottach.” Nunja, mit dem Entdecken ist das so eine Sache. Fünf Jahre zuvor war es die US-Armee, die das Tal, Heimat u.a. von Heinrich Himmlers Familie, auch für sich “entdeckten”. Das Tal als Rückzugsort für Nazi-Bonzen? Das Tal als Ziel von Todesmärschen? Das Tal als Heimat vieler deutscher Juden? Wo sind die denn hin?

Diese usseligen zwölf Jahre sind ja auch nach Meinung eines Bundestagsmitglieds nur ein Fliegenschiss. Wer interessiert sich denn dafür? Gut, aus aktuellem Anlass vielleicht der ein oder andere Gast aus dem Nahen Osten, der mit der Bestätigung heimfährt, die Sache mit den Juden war ganz anders?

So eine Tafel ist auch nicht wichtig. Man läuft ja meist vorbei. Ab und an bleibt jemand stehen. Nur: Sie zeigt sehr hübsch im kleinen Format, wie schnell man das Dunkle aus der eigenen Geschichte im öffentlichen Raum wegradieren kann — und keinem fällts auf. Einfach weg. Und auch auf der Website der TTT findet sich unter der Rubrik “Geschichte” nur die Erzählung vom Kriegsende …       

Heute ist der deutscheste Tag überhaupt — der 09. November. An diesem Tag kam es zu 1918 zur Revolution, 1938 attackierten, marodierten und töteten deutsche Nazis in der Reichspogromnacht. Und 1989 fiel dann die Mauer in Berlin.

Es wäre schön, wenn sich verantwortliche Bürgermeister vielleicht einmal Gedanken machen, wie man die zwölf Jahre deutsche Geschichte auch und vor allem aus der Sicht des Tegernseer Tals erzählen könnte. Dann kann die Tourismus-Truppe vielleicht mal eine Tafel installieren …

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