Der Sommer geht. Es wird Zeit für einen Rückblick auf die Saison. Heute: Der weitgereiste Herr „im allerbesten Alter“ im Restaurant.
Es war ein prachtvoller Sommer. Das Tegernseer Tal bot und bietet hervorragende und abwechslungsreiche gastronomische Angebote wie kaum eine andere Region hierzulande (vor allem nicht jene am Schliersee). Aber der Besuch des örtlichen Restaurant-Betriebes mit einer speziellen sozialen Gruppe kann hier und da eine Herausforderung für alle Beteiligten sein. Viele von uns kennen diese Situation: Man geht mit befreundeten oder gut bekannten Paaren essen. Jenseits von Vietnamesen-Imbiss oder Almdudler-Küche.
Erster Akt: Weinen wegen Wein
Sechs Personen nehmen Platz. Die Bedienung kommt, und als erfahrene Servicekraft weiß sie schon beim Reichen der Speise- und Weinkarten: Jetzt wird’s mühsam, hier lauert Ungemach. Denn mindestens einer der Herren am Tisch kennt sich bestens aus: mit allem! Mit Wein, Essenszubereitung, Grillgerichte, mit der Welt – eben mit allem.
Dieses profunde Wissen wird er an diesem Abend nicht für sich behalten. Nein, der Mann in seinen 50ern wird dieses Wissen, das er sich mit vielen Geschäfts- und touristischen Reisen um die Welt angeeignet hat, mit einem Monolog-Füllhorn über alle, vor allem vor dem ungeschützten Personal ausgießen.
Alles besser in dolce Italia?
Schon zu Beginn weist die Unheil witternde Gattin die Weinkarte dem Herrn zu, der, mit Lesebrille bewaffnet, schon die ersten Kulinarik-Salven abfeuert. “Ich möchte nicht wissen, wie oft hier mittelmäßiger Wein als offener „Hauswein“ angeboten wird. Das ist ja ganz anders als in Italien. Deshalb immer erst eine Probe verlangen”, erklärt er mit verschwörerischem Ton, um fortan jeden Essenswunsch der anderen detailverliebt zu kommentieren oder infrage zu stellen.
Gern wird das mit Anekdötchen von Reisen in aller Herren Länder bewiesen. Wäre es nicht zu offensichtlich plump, hätte er auch noch Fotos aus seiner iCloud dem schon jetzt leicht gelangweilten Publikum gezeigt. (“Hier waren auf Kreta, gaaanz toller Fisch, der Grieche weiß ja noch, wie es geht”… Ja, das war auf der Aida, genau wie beim ‘Traumschiff'”). Denn Vatti und Mutti fotografieren mittlerweile bevorzugt das zu verspeisende Essen im Restaurant, schicken es an die Kinder, die es wiederum ungeöffnet löschen. Gern wird es auch auf Instagram oder in kulinarischen WhatsApp-Gruppen herumgeschwenkt wie eine Monstranz.
Junges Gemüse und der Menü-Mussolini
Wichtiger Counterpart an solchen Abenden – das junge Gemüse; nein, nicht das auf dem Teller, sondern jenes, was nie, wirklich nie, korrekt die Weinflasche öffnet, die Teller, Gläser, das Besteck platziert oder das Essen erklärt. Hier setzen vom Mann von Welt die ersten Korrekturen ein, gern eingeführt mit der Plantagenbesitzer-Attitüde: “Wie heißen Sie bitte, damit ich Sie richtig ansprechen kann?”
Es folgt eine eher an ein Stasi-Verhör erinnernde Fragerunde über das Angebot, gern werden jene gestellt, die die junge Dame oder Herr erst in der Küche beantworten lassen muss. Wichtig: Mit jedem Missgriff, jedem Fauxpas wächst des Gastes Selbstbewusstsein. Daheim rührt er keinen Finger, hier spielt er groß auf.
Er wird zum Menü-Mussolini, die Damen plappern derweil über Kinder, Mode, Urlaubsziele oder Diäten, einfach, um das Elend des Gatten nicht mental einnehmen zu müssen. So wie sie über Jahre beim Sex lernten, Einkaufslisten im Kopf zu erstellen, können sie hier seine Wut-Welt von der ihren trennen. Sie sind geübt darin, die Ohren zu schließen und höflich, beinahe zustimmend, zu nicken, wenn Vatti monologisiert.
Der Wein wird gereicht. Es wird geschwenkt, es wird ins Glas geschaut, es wird geschnalzt, und mit einem huldvollen Nicken darf nachgeschenkt werden. Nur um kurz darauf einen Korkverdacht zu erheben. Jetzt kann der Mann von Welt auftrumpfen. Nicht wie andere ruft er nur “Bedienung? Hallo, Bedienung?”.
Nein, er kennt ihren Namen, und der wird jovial-patriarchalisch durch das Lokal geröhrt, der Wein reklamiert und eine neue Flasche gefordert, so, als sei gerade ein Eimer mit Katzenurin auf den Tisch gestellt worden. Das war der erste Akt. Aber zweite folgt sogleich:
Zweiter Akt: Nur Mama kochte gut
Dann kommt es unweigerlich zum Äußersten: nämlich zum Essen. Nie, wirklich nie, wird es so sein, wie der weitgereiste Herr, als er noch in Wiesbaden, Straubing oder Krefeld lebte, es sich vorgestellt hat oder bereits bei einer Geschäftsreise nach München oder Bangkok in den 90ern einmal genießen durfte. Die Vorspeise wird grundsätzlich nachgewürzt, der Salat mit kritischem Auge nach faulen Blättern abgescannt. Der Schweinsbraten ist nicht kross genug, die Tom Kha Gai nicht authentisch, der Fisch zu glasig.
Irgendwas ist immer. Und dafür muss das Servicepersonal bluten. Hier wird das Essen gern mit großer Geste zurück in die Küche des ungenügenden Kochs zurückgeschickt, in dem wohligen Missverständnis, dass der dort diese Anregung im Trubel des Abends gern zur Kenntnis und sich zu Herzen nimmt. Nie würde Papi glauben, dass dort genervte Menschen Ingredienzen zum monierten Mahl hinzufügen, die das Essen – sagen wir mal – nicht appetitlicher machen und in den nächsten Tagen Bleibendes im Backenbereich bringen.
Dritter Akt: “Was geben wir als Trinkgeld?”
Nun geht es ans Bezahlen. Ganz schwieriges Thema und wird in Deutschland gern zur emotionalen Nagelprobe langjähriger Freundschaften. Man stirbt allein, aber selten zahlt einer allein. Immer fallen zuerst Sätze: “Wie machen wir es? Ich habe mehr (oder teuren) Wein getrunken …” Die Rechnung wir dann bis zur zweiten Nachkommastelle geteilt. Im Land der Steingärten und Nachbarschaftskriegen liebt man es genau.
Aber noch ist die Gastro-Messe nicht gelesen. Auf die harmlose Frage der Bedienung, ob alles recht war, plustert sich der Gourmet-Gockel auch gern nochmal auf: “Nein, das kann man nicht sagen”, (das peinliche Schweigen der anderen wird als Bestätigung gesehen). Und dann dreht der Mann von Welt los. Nie leise, nie diskret, nie bei einem vermeintlichen Gang zu den Waschräumen.
Der selbsternannte Gastro-Guru braucht Publikum, also vor den anderen betreten blickenden Gästen am Tisch. Vatti darf mal richtig kritisieren, während nur ein Stirnrunzeln bei Muttis Mahlzeiten daheim eine prompte Ehekrise und eine Nacht auf dem Sofa verursacht.
Der Sieg ist erreicht, wenn der Limoncello oder Obstler aufs Haus geht, der Triumph aber ist das kostenlose Dessert. Dann ist der Abend gülden. Aber halt: Dieser Kampf, den macht man ja nicht für sich, den macht für all die anderen da draußen, die unter der schlechten Küche leiden müssen. Man kämpft eben für alle – auch für diejenigen, die es gar nicht wollen.
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