Bürgermeister Johannes Hagn hat als einstiger Zollbeamter schon viel gesehen. Er ist pragmatisch, will die Kuh vom Eis haben. Aber Bürokratie und fehlende Hilfe bremsen ihn. Er ist damit nicht allein. Das geht dem Holzkirchner Bürgermeister Olaf von Löwis so, wie dem Sepp Hartl in Waakirchen. Sie sind in der Feuerlinie.
Ihre Frauen verschleiern sich. Sie sitzen im Rollstuhl oder geben im der Spielbank den großen Araber. Orte wie Bad Wiessee und Rottach profitieren erheblich von ihnen. Jene Besucher von der arabischen Halbinsel, die sich hier wieder gesund machen lassen, Parfum und Schmuck kaufen, die in den Kliniken Feueralarm auslösen, weil sie auf dem Zimmer ihr Essen kochen. Sie stammen aus den Emiraten. Länder mit unermesslichen Vermögen. Damit bezahlen sie ihre Einwohner, aber auch den Krieg, die Waffen und den Tod in Syrien, Palästina oder dem Nordirak.
Keine Verfolgung – aber keine Zukunft
Vier, die vor den Waffen und dem Tod flohen, sitzen auf der anderen Seeseite mit uns an einem Biertisch. Sie sind Kurden aus Syrien und Palästinenser aus Gaza. Sie wollen bleiben. Klar. Kaum gehen wir in die alte Turnhalle, umringen sie und die anderen, die warten, uns. Wollen fragen, gehört werden, klagen und bitten.
Alle Länder, aus der die Männer kommen, stehen auf der HDI-Liste im letzten Fünftel – ganz unten. Da, wo nichts mehr geht. Wo man nicht über Wasser bleiben kann. Keine Verfolgung, aber keine Zukunft. Deutschland ist auf Platz 6 von 187.
Kohlrabenschwarze aus dem Senegal, Sierra Leone oder Eritrea stehen vor, neben und hinter uns. Bis zu elf Monate sind einige schon hier in Deutschland. Die meisten sprechen kaum Deutsch, trotz der Angebote. Sie sitzen im Schatten, starren auf ihre Handys, hören apathisch Musik. Hauptsache draußen.
Der Zustrom wird bleiben
Denn in der alten Turnhalle bekommen wir schon nach wenigen Minuten Beklemmungen. Zwei Oberlichter können keine Luft austauschen. Für jeden Menschen vielleicht drei Quadratmeter. In deutschen Gefängnissen müssen es mindestens sechs sein. Woanders ist es sicher schlimmer. Aber das sagt man dann demnächst auch einem Beinamputierten: „Beide Arme wären schlimmer.“
Sie wollen selber kochen. Wollen arbeiten. Fordern, bitten oder schütteln den Kopf, weil sie keiner versteht. Hier ist nichts homogen – hier ist kein „die Flüchtlinge“. Eine syrische Familie ist verzweifelt, will sogar zurück in die Türkei. Ein Mann aus Sierra Leone, groß, aufgepumpt, keiner, mit dem man Streit haben will, fleht nach Beschäftigung. Aber das geht nicht so leicht. Auch wenn man im Tal verzweifelt nach Auszubildenden und Hilfskräften sucht. Davor steht so viel. So viel wie zwischen Platz 187 und Platz sechs des Index.
Es wird nicht am 31.12.2015 aufhören. Es geht weiter. Jetzt wechseln die 38 Männer aus acht Ländern in die nächste Halle. Die Bedingungen werden besser. Aber der Zustrom wird bleiben. Hagn und all seine Kollegen brauchen mehr Betreuer und Räume. Beim ersten Punkt verlassen wir uns auf die Geduld der Politiker, die auf aufgebrachte Flüchtlinge mit Engelszungen einreden und auf ehrenamtliche Helfer, die immer mehr am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten. Es müssen fest angestellte Kräfte her, die hauptamtlich als Ansprechpartner vor Ort sitzen – für alle Gemeinden und das Landratsamt. Denn auch dort ist man unter Wasser.
Beruhigender Pragmatismus
Beim zweiten Punkt kommen gerade im Tal die ganz Schlauen aus ihren Löchern. Sie bieten Grundstücke an, in der Hoffnung, dass diese dadurch zu Bauland werden. Wenn die Flüchtlinge dann mal weg sind, kann man das wunderbar erschließen. Eben das Tal halt. Es hört nicht auf.
Wir stehen noch lange mit Hagn vor dem Eingang in der Sonne. In seinem Pragmatismus liegt fast etwas Beruhigendes: Lasst uns das Problem lösen. Das ist unsere Aufgabe, wenn am Montag 60 neue Flüchtlinge in Tegernsee ankommen. 98 Personen werden dann in der großen Turnhalle unterkommen.
Wir Deutschen haben in unserem Auftreten zuweilen etwas Hässliches, Belehrendes, meist in Foren des Netzes oder als Fratze vor Flüchtlingsheimen. Aber diese Macher lösen dieses Bild auf. Sie arbeiten, damit wir weiter die Idylle genießen können. Und das Geld der Emiratis nehmen.
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