Ein Kommentar von Martin Calsow:
Am Anfang etwas Theorie. Muss sein. Geht auch schnell vorbei: Konflikte in der Nachbarschaft wirken oft kleinlich. Es geht meist um eine wichtige Tugend: Toleranz. Das Wort stammt aus dem Lateinischen, bedeutete lange Zeit vor allem Dulden, Ertragen und Großzügigkeit. Es korrespondiert mit dem Wort Empathie, Einfühlsamkeit. Es ist die Fähigkeit, sich in die Position des Gegenübers hineinzuversetzen und dann die eigene Position zu überdenken.
Konkret: Kuhglocken, Kinderlärm oder Bauordnungen nerven mich. Der oder die Andere hält aber sein Handeln für notwendig. Welche Lösung können wir finden? Da müssen beide Seiten in der Regel Federn lassen. Jeden Tag machen wir das: In der Ehe, in der Schule, im Job. Wir sind dazu gezwungen. Sonst fliegen wir daheim raus oder werden entlassen. Nur bei den Nachbarn gerieren wir uns zuweilen wie die Axt im Walde. Schreiben Briefe, drohen mit Anwalt, schalten Gerichte ein.
Dorfälteste – besser als die Gerichte im fernen Miesbach
Jedes Mal, wenn ich die Amtsrichterin in einer Gruppe aufgebrachter Männer sehe, wie sie vor einem Bau, einem Stadl, einer Hecke stehen, um einen Konflikt auf Ameisenebene zu klären, frage ich mich, wie wir Kindern in unserer Heimat eigentlich zwischenmenschliche Konflikte vermitteln. Da wird wegen jeden Drecks diskutiert und verleumdet. Da werden Gräben zwischen Zugezogenen und Tal-Insassen gezogen. Da entblödet sich der Bürgermeister einer Nachbargemeinde zu einem sinnfreien Anwurf.
Klagen nehmen zu. Das Klima wird vergiftet. Aus einer Dorfgemeinschaft werden Mikro-Interessengruppen. Früher gab es Dorfälteste. Die kamen, sahen sich das Problem an, hörten zu und wägten ab, ehe sie ein Urteil fällten, an das sich die Gemeinschaft hielt – knurrend, aber immer noch besser, als die Entscheidung, den Gerichten im fernen Miesbach oder München zu überlassen, wie man zusammenzuleben hat.
Auf die Terrasse! Kompromiss finden!
Heute übernehmen das Anwälte (nicht nur die der Kanzlei Noerr), verdienen einen Haufen Geld und lachen über die fehlende Kommunikation im Dorf. Früher ging man auf ein Bier, schrie, stritt und war sich wieder gut. Denn man brauchte einander. Ob bei Feuer oder Einbruch: Ein Nachbar bedeutete in jedem Fall Hilfe. Heute will man allein sein, seine Ruhe haben.
Wir haben lange überlegt, ob wir über den überflüssigen Streit in Bad Wiessee überhaupt berichten. Bringt es eh doch nur die üblichen Fingerzeigereien an die Oberfläche. Aber es ist ein wunderbares Beispiel eines nichtigen Anlasses, der zu einer kleinen Dorfaffäre wird. Wie wäre es, wenn der Gemeinderat für solche Fälle die erfahrenen und konsensfähigen Mitglieder bittet, zu vermitteln und gegebenenfalls zu entscheiden?
Hockt euch auf die Terrasse, trinkt ein Bier zusammen, findet einen Kompromiss. Gut, bei den letzten beiden Gemeinderäten an der Westbank ist Konfliktbewältigung ja ein generelles Problem. Aber vielleicht findet man über diese neue Arbeit ja auch Konsens in der Gemeindearbeit. Reden und Großzügigkeit helfen. Fingerzeigen und Klagen zerstören wie ein Gift unsere Gemeinschaft. Das gilt für Nachbarn wie für Bürgermeister.
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