Der Krieg in der Ukraine. Im TV präsent, in unserem Alltag verschwunden? Wir haben die Ukrainerin Elena Kyselova wieder getroffen und gefragt, wie sie die letzten Monate erlebt hat.
Da sind die Bilder von Tod und Verwüstung. Da sind die Flüchtlinge in unseren Gemeinden. Und immer noch verwaist stehen die Villen des russischen Oligarchen in Rottach-Egern. Elena Kyselova hat uns, kurz nach Kriegsbeginn, in einem Podcast von ihrer Sicht, ihren Ängsten erzählt. Jetzt, ein Jahr später, wollten wir wissen, was sie jetzt denkt, wo die Angst ist? Wo die Hoffnung?
Vor einem Jahr haben wir in der Redaktion zusammengesessen und einen Podcast gemacht. Du hast von Deiner Angst um Deinen Vater gesprochen, der in einem umkämpften Gebiet lebte. Wie geht es ihm heute?
Mein Vater lebte damals in Sumy, eine von den Städten, die als erstes angegriffen wurden. Die Stadt wurde umkreist, aber konnte von russischen Soldaten nicht besetzt werden. Da die Grenze zu Russland nur 40 km entfernt ist, haben wir unseren Vater überredet, nach Deutschland zu kommen, da die Situation sehr unstabil ist.
Seit einem Jahr tobt der Krieg, tötet die russische Armee in der Ukraine. Magst Du beschreiben, wie sich über die Monate Deine Sicht, Deine Gefühle und Deine Arbeit zur Ukraine verändert haben?
Es ist nicht so einfach zu beschreiben. Damals hatte ich permanente Angst und Panik, so intensiv, dass ich nicht mal richtig atmen konnte, das hat mit der Zeit nachgelassen, stattdessen kamen Wut und Bedarf, das so zu transformieren, dass es mich nicht direkt beeinflusst und ich was machen kann, um meinen Landsleuten zu helfen. Ich glaube, ich habe das auch ziemlich gut durch meine Arbeit bei “München Hilft Ukraine e.V” (MHU) hingekriegt. Um genug Zeit dem Verein widmen zu können, musste ich vieles verändern, vor allem bei meiner Arbeit und in der Familie, die Abläufe mussten neugestaltet werden. Am Anfang war es nicht so einfach, jetzt, dank meiner Familie, Freunden und Kollegen, habe ich mich im Alltag neu eingefunden.
Wie hat sich, in Deiner Wahrnehmung, die Sicht der Deutschen hier im Tal auf diesen Krieg verändert?
Zuerst war der Schock sehr stark, die Leute waren vor den Ereignissen erschrocken, die mitten in Europa passierten. Keiner hat geglaubt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg solche Kriege in Europa noch stattfinden können. Die Leute waren verängstigt und erschüttert, sie zeigten sehr viel Mitgefühl gegenüber den Menschen in der Ukraine. Der Krieg dauert nun schon seit über einem Jahr, und so traurig und so gruselig es auch ist, aber die Leute gewöhnen sich daran. Sogar für die Ukrainer wird die ständige Gefahr der Angriffe, durch Raketen, zu ihrem Alltag. Die Nachrichten über die militärischen Ereignisse und über den Krieg sind nicht mehr so intensiv. Auch die Spendenbereitschaft hat nachgelassen. Die Menschen wollen ihr altes, gewöhnliches Leben wieder zurück. Es wird aber nie so wie früher sein.
Die Menschen wollen ihr altes, gewöhnliches Leben wieder zurück. Es wird aber nie so wie früher sein. Elena Kyselova
Was waren in den Monaten des Kriegs Deine “Highlights” mit Deutschen, was lief eher schlecht oder bedrückend?
Die Hilfsbereitschaft der Deutschen, in den ersten Wochen, hat niemand von uns wohl so erwartet. Die Leute haben in jeder möglichen Art und Weise geholfen: mit Sachspenden, Geldspenden, Transport der Spenden. Sie haben Flüchtlinge an der ukrainischen Grenze abgeholt, sich um sie gekümmert, ihnen kostenlosen Wohnraum zur Verfügung gestellt und viel mehr. Miese Fälle gab es auch, aber verhältnismäßig waren es so wenige. Sie sind nicht erwähnenswert.
Wie hat sich Dein Verhältnis zu Russen verändert? Kann man noch trennen zwischen Putins Politik und “den” Russen im Allgemeinen?
Nach dem Kriegsbeginn musste ich leider ziemlich viele Kontakte zu russischen Freunden, wegen ihrer politischen Überzeugungen, abbrechen. Leider stimmen sehr viele Russen, darunter auch die, die sehr lange in Deutschland leben, der Politik Putins zu, und glauben an die russische Propaganda, über die “Nazis”, in der Ukraine. Die Frage der Trennung zwischen Putins Politik und den Russen ist recht schwierig, ich habe immer noch einige Freunde unter den Russen. Aber im Allgemeinen bin ich sehr enttäuscht von der Nation und ihrem Hass gegenüber der Ukraine. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie die Leute sich über den Tod unserer ukrainischen Kinder freuen können und gleichzeitig über das “Brudervolk” reden.
Was ist derzeit Deine größte Hoffnung?
Meine größte Hoffnung ist der schnellstmögliche Sieg der Ukraine, und Wiederkehr der eingenommenen Territorien, mit möglichst wenigen Verlusten, sodass man sich auf den Wiederaufbau des Landes konzentrieren kann. Es ist ein unvorstellbarer Schmerz, den das ukrainische Volk ertragen muss. Und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis wir es überwunden haben. Ich träume über den Tag, wenn ich den Satz höre: Wir haben gewonnen, der Krieg ist vorbei.
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