Wer nüchtern auf die aktuelle Wolfssituation blicken will, muss sich erstmal durch die Gefühle, Worthülsen und Inszenierungen der letzten Tage wühlen.
Die Dringlichkeit jetzt Wölfe abschießen zu müssen, hat keine empirische Grundlage. Sicher, es sind Schafe gerissen worden und es gibt Wölfe in Deutschland. Nämlich 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 Einzelgänger. Also etwa 1.400 Wölfe (gerechnet mit acht Wölfen pro Rudel). In Bayern geht man von etwa 23 Tieren aus. Im Landkreis Miesbach haben wir aktuell keinen Verdachtsfall.
Dass wir keine Fakten brauchen, um Menschen zu beeindrucken, ihre Meinung zu beeinflussen, ist die Kunst des Populismus: Er bedient die Ängste der Menschen, schafft neue Bedrohungsszenarien, serviert einfache und emotionale Botschaften und präsentiert klare Feindbilder. Wer diese Zutaten auseinanderdröselt, hat eine Chance, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Zu den “Beutegreifern” – politische Wortschöpfung für einen Hut, indem alle Problemtiere mit Hunger hineinpassen (Wölfe, Bären, Biber).
Zu den Ängsten:
Menschen haben Ängste: Bedient werden in der Wolfsfrage vor allem die Sorgen von Menschen, die mit Almwirtschaft und Tourismus ihr Geld verdienen. Almwirtschaft: Im Mai werden Ziege, Schafe und Kühe auf die Almen getrieben. Viele Herden sind unbewacht. Ein Wolf, der auf der Durchreise ist, kann Tiere auf der Freiwiese, also im freien Gelände, einfach wegkauen. Statt jetzt die Frage zu stellen, wie können wir das Kleinvieh vor den Wölfen schützen, wird das reale Bedrohungsszenario überhöht und gleich mit einer Lösung etikettiert: Wenn der Wolf ein Schaf frisst, darf er geschossen werden. Dass ein Wolf, der über einen Zaun springt oder sich Menschen nähert, längst geschossen werden darf, wird bewusst weggelassen. Zu komplex. Die Botschaft muss simpel bleiben.
Einfache und emotionale Botschaften:
„Ein Riss reicht”, ein Söder-Move, der seit Verlautbarung durch die Medien geistert. Gefolgt von Aiwangers Bubentraum, der den Almbauern die Fantasie einredet: „noch in derselben Nacht sich dort hinsetzen (zu) können und mit einem Nachtsichtgerät den Wolf schießen.”
Klare Feindbilder:
Der Wolf führt. Er bringt sein eigenes Narrativ als böser Wolf in die Geschichte ein. Der Wolf ist immer Täter. “Wölfe sind nicht mehr bedroht, aber unsere Weidetierhalter sind es bereits”, schreibt die Landwirtschaftsministerin, Michaela Kaniber, in ihre Pressemeldung und dreht damit kurzerhand die Rollen um. Der Wolf steht unter Naturschutz, nicht der Weidetierhalter. Doch damit gelingt der Landesregierung der Schulterschluss mit besorgten Tierhaltern – ihren Wählerinnen und Wählern im Herbst. Die Regierung wirkt kompetent, nahbar und entscheidungsfreudig.
Fesche Bilder:
Da der Schulterschluss mit den Almbauern und Wirtinnen, dekoriert mit Fotos von blutigen Schafleichen, die groß ausgedruckt in die Kameras gehalten werden. So die Inszenierung gestern auf einer Oberaudorfer Alm, die es zigfach in die Medien schaffte. Bilder gelten trotz Internetzeitalter und dem Wissen, dass nicht alles echt ist, was echt sein soll, als Beweisstück. Sie sind es, die für den Rest sorgen: die rasende Wut, die Ungerechtigkeit, die blutige Realität.
Dass diese Verkürzung weder den einen noch den anderen hilft, geschenkt. Die Medien berichten ja. Haufenweise. Generieren und stellen ein Problem her, das in Schattierungen diskutiert werden muss. Will ich, dass Bär und Wolf abgeschossen werden dürfen? Nein. Stattdessen schreibe ich das unpopuläre Wort: Herdenschutz. Egal, wie man sich zur Wolfsgeschichte positioniert, ohne Herdenschutz wird es nicht gehen. Doch solange Almbauern, die Herdenschutz betreiben, das heimlich machen und um ihren Ruf fürchten, solange wird das einfache Wort regieren.
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