Vor einiger Zeit erreicht uns ein anonymer Hinweis, der uns auf Tierquälerei aufmerksam macht. Doch dann bekommt der Fall eine andere Wendung.
Über Facebook erhalten wir eine Nachricht über einen, „üblen Fall der Tierquälerei“, dazu Bilder und Videos von einem humpelnden Pferd – ein Vorderhuf grotesk verdreht. Es ist schwer aushaltbar, den Clip anzusehen. Da stolpert ein Pferd mit einem verdrehten Bein über den staubigen Boden. Bitte nicht aufsetzen, bitte …
Es folgt ein Anruf beim Stallbesitzer und der Tierbesitzerin; Sandra. Der Stallbesitzer wirkt froh, dass wir uns dem Thema annehmen, wird er doch regelmäßig von Wandersleuten und anderen angesprochen, ob das Pferd seines sei. Und er leidet mit, gibt zu, dass er die Besitzerin des Pferdes nicht mehr ansprechen will, weil es sie so mitnimmt. Wer will schon dauernd hören, dass das eigene Pferd eingeschläfert gehört?
Wer will schon dauernd hören, dass das eigene Pferd eingeschläfert gehört?
Und das ist der Knackpunkt: Geht es Cowboy so schlecht? Und: Wer kann, soll und darf das beurteilen? Wie sieht ein würde- und wertvolles Pferdeleben aus? In der Facebook-Nachricht steht, das Tier habe 24/7 Schmerzen. Eine Anzeige an das Veterinäramt in Miesbach sei raus. Ich frage bei der Pressestelle nach. Die schreibt, „jede Anzeige (wird) sehr ernst genommen“, und verweist darauf, dass das Veterinäramt im Kontakt zum Tierarzt stehe und das Pferd vor Ort angesehen habe. Mehr könne man aber aus Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht schreiben. Ich spreche der Besitzerin auf die Mailbox.
Todesurteil Beinbruch?
Frisst es gut? Spielt es? Nehmen die anderen Pferde es noch an? Basisfragen, die mir Pferdeexpertin Susi J. stellt, als ich ihr den Fall schildere. Ihrer Aussage nach, sieht man einem Pferd Schmerzen an – im Gesicht (verzerrt), am Fell (struppig), an den Augen (glasig), am Körper (mager). Und Pferde sind Herdentiere. Wenn ein Pferd krank ist, wird es ausgeschlossen.
Dann ruft Sandra zurück. Sie erzählt: dass sie Cowboy nach ihrem Urlaub kaufen wollte und er dann einen Unfall hatte – sie ihn aber dennoch haben wollte, weil das sonst “sein Todesurteil” gewesen wäre. Der erste Tierarzt aus der Tierklinik soll den Bruch am Ellbogenhöcker übersehen haben. Das Pferd nimmt wochenlang eine Schonstellung ein. Es zieht sich das Vorderbein unter den Bauchansatz, um aufrecht zu fressen. 4-Wochen später fordert Sandra nochmal ein Röntgenbild an, stellt die Diagnose infrage. Der Bruch ist eindeutig. Sie entscheidet sich gegen eine Operation, weil es neue Schmerzen für Cowboy bedeutet hätte und die Sehnen zu diesem Zeitpunkt schon verwachsen sind.
Wie viel Liebe kostet ein Pferd
Sandras Geld und ihre Zeit fließen seitdem in die Pflege des “Dreibeiners”. Sie spricht von etwa 10.000 Euro. Und davon, dass sie nicht jedes Mal den Tierarzt holen will, weil ein besorgter Spaziergänger das Tier als seine Mission entdeckt hat. Pro Tierarztbesuch stecken da schnell 300 bis 400 Euro drin, allein die Anfahrt liege bei etwa 80 Euro; seit Erhöhung der Tierarztkosten.
„Ein Pferd ist für viele ein Ding, das funktionieren muss“, schimpft Susi J. ins Telefon. Und dass ihr an der Pferdeliebe am meisten dieses Stallgehabe auf den Zeiger gehe: „Wenn dein Pferd mal drei Tage einen Kratzer hat, kannst du dir da schon was anhören.“ Was muss sich jemand anhören, der ein „behindertes“ Pferd behalten will? Der Pferdepatient, um den es geht, lebt mit neun weiteren Pferden zusammen. Er hat einen kleinen Außenbereich zur Verfügung und freut sich, wenn seine Pferdekumpel ihn abholen. Darf auf die Koppel, aber nicht zu lange. Auch dafür ist Sandra zuständig, Cowboys Grenzen zu achten und ihn rechtzeitig zu holen. Die Liebe – wohl mit ein Grund, warum die Geschichte so schlecht für ihn ausging. Cowboy verliert seine Mama mit drei Monaten. Sie wird eingeschläfert, nachdem sie auf dem zweiten Auge erblindet ist. Die Stall-Gemeinschaft zieht das Fohlen gemeinsam mit der Flasche auf. Dann sucht Sandra mithilfe einer Tier-Kommunikatorin eine Leihmama. Die Stute säugt dann zwei Fohlen, Cowboy und seinen “Bruder”.
Love will tear us apart
Es ist dieser Bruder; oder besser die Bruderliebe, die Cowboy zum Verhängnis wird. Am Tag des Unfalls, beide sind längst ausgewachsene Teenager-Pferde, darf Bruder ein paar Sekündchen früher auf die Koppel. Cowboy hat keine Geduld: „Junge Pferde sind manchmal doof“, sagt Sandra. Er will nur hinterher. Bleibt mit seinem Vorderfuß zwischen Stalltür und Boxenwand hängen. Ein Pferd, vor allem ein junges, das wartet dann nicht gemütlich auf Rettung, nein, Pferde sind Fluchttiere oder auch „Paniktiere“, lerne ich. Somit verschlimmert Cowboy seine Verletzungen, weil er nicht ruhig halten kann, sondern rauswill. Aus dem Schmerz, aus der Box. Vielleicht zehn Minuten dauert es, bis Hilfe kommt, und jemand die Stalltür aushängt.
Nachdem ich aufgelegt habe, bekomme ich im Minutentakt neue Bilder und Links, die erklären sollen, warum Cowboy lebt und nicht eingeschläfert wurde. Auf einem wälzt er sich im Sand, ein anderes zeigt ihn steigend; im Spiel mit einer Stute. Trotz verdrehtem Fuß? Ich zoome mehrmals rein und raus. Ein drittes zeigt ihn, wie er Kopf an Kopf mit einer Ziege schmust. Auf den neuesten Bildern trägt Cowboy eine schulterhohe Prothese, guckt freundlich über das Gatter.
Prothesen für Tiere
Die Stütze kommt aus den USA, wo findige Firmen Tierliebe vermarkten. Ein dreibeiniges Pony schaut mich aus dem Handydisplay an. Warum auch nicht? Es trägt eine Prothese der Firma Animal Ortho Care. Zwei Bilder weiter unten ein Elefant, der im Youtube-Kanal von Animal Planet durch die Savanne stapft; auch er mit Prothese. Spazierengehen will Sandra mit ihm. Sie erzählt, dass es in den USA mehr Möglichkeiten gibt, ein Pferd zu behandeln. Das bedeutet umgekehrt, dass sie hier niemanden hat, der mal eben die Prothese checkt. Alles dauert extrem lange. “Für mich ist er kein Sportgerät, er ist mein Lebenspartner”, und ergänzt: “Man muss sich das leisten können, so ein Pferd. Die medizinischen Kosten, da muss man dazu bereit sein und das ist jetzt nicht die Lösung für jeden.”
Auch im Oberland gibt es Tiere, die nicht ins Schema passen. Etwa auf der Facebook-Seite von Tierhilfe Oberlandpfoten. Da ein Dackel mit Bandscheibenvorfall, hier der Einsatz von 3D-Schablonen aus England für die Korrekturstellung eines Hundebeines – dort der Hund mit Rollstuhl statt Hinterbeinen. „Wenn ein kleiner Hund humpelt, dann fällt das nicht so auf, wenn ein Pferd eine Fehlstellung hat, sieht das jeder – sofort“, sagt von Block, Tierärztin und Pferdekennerin, mit der ich ebenfalls telefoniere. Ich schildere ihr den Fall, von der Ferne will sie kein Urteil abgeben, aber sagt zum Ende hin: “Wenn jemand probiert, das so hinzukriegen, alles daran setzt, dem Pferd Abhilfe zu schaffen, klingt das sehr bemüht.” Nach den Pfingstferien schickt mir Sandra das tierärztliche Gutachten. Hier steht, dass Cowboy “in der Bewegungsmechanik eingeschränkt” sei, er jedoch in der Herde mithalte und sein Sozial- und Fressverhalten in Ordnung sei.
Sandra ist überzeugt, ihr Wallach führt ein besseres Pferdeleben als viele andere Pferde. Aber, ob das auf ihr Leben auch zutrifft? Jeder und jede hat eine Meinung zu ihrem Humpel-Kumpel. Alle wissen es eben besser – wie so oft, wenn jemand der Norm davon trabt.
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