Als die Kühe in Gmund über die Straße liefen

Idylle lockt Menschen an. Das ist für die Einheimischen lukrativ, bedeutet aber eben auch Stress. Die Neuen haben Ansprüche, Wünsche und Verhaltensweisen, die man nicht will. Was geht mit Zuzug verloren? Was bleibt?

Was geht mit Zuzug verloren? Was bleibt?

Ein Kommentar von Martin Calsow
Im Tal gibt es einen Irrtum: Das Recht der Einheimischen, den Zugezogenen mit Verachtung und Ablehnung zu begegnen. Hier die Ganzjährigen, dort die Zweitwohnler. Das ist natürlich grober Unfug. Menschen leben in diesem Tal, die einen nehmen aktiv am Gemeinschaftsleben teil, die anderen nicht. Es ist schlicht unerheblich für die Bedeutung einer Person, ob er oder sie hier geboren wurde, oder nicht. Wichtig ist, wie er sich gegenüber der Umwelt, der Natur, den Menschen im Konkreten verhält.

Aber da ist ein Unterschied zwischen Ureinwohnern und Zugezogenen: Die Erinnerung an andere Zeiten.
Die Erstgenannten können auf eine Zeitspanne zurückblicken, kennen das Tal noch in einer anderen Form. Die anderen kamen, wollen bestenfalls den Zustand, den sie vorgefunden haben, konservieren oder ihre Umwelt nach den eigenen Maßstäben verändern.

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Revolte Anno 1954

Wenn mein lieber Freund Peter erzählt, wie in seiner Jugend noch die Kühe am Gasteig in Gmund vom Bauern über die Straße getrieben wurden, wie der Landbader sein Land hergab für eine neue Pflasterfläche, die man Ortsmitte nannte, wie Wiessee ein Kurort war, jenseits von Baulöchern und Investorenträumen, dann ist das nicht nur ein Blick zurück. Dann merkt man auch als Zugezogener, wie rasant sich eine Region verändert hat. Man kann das bedauern.

Man kann es aber auch einfach zum Anlass nehmen, das Granteln einiger Alt-Einheimischen nachzuvollziehen. Sie wurden hier geboren, geprägt, wuchsen auf, und einige begannen nach und nach mit dieser „neuen“ Heimat zu fremdeln. Wie muss es jemandem gehen, der in seiner Jugend an den Rändern der Dörfer das Heu machen musste oder dort spielen konnte, und jetzt auf diesen Flächen die Landhaus-Burgen mit den runtergezogenen Jalousien sieht? Nur ist das Problem des Ausverkaufs nicht erst seit gestern ein bestimmendes Thema. Schon 1954 fanden die Bürgermeister Landverkauf ganz ok, wollten sich vom Landrat nicht reinreden lassen.

Es hilft aber nicht, den Einheimischen Gier vorzuwerfen, weil sie ihr Land an reiche Zugezogene verkauft haben. Das ist erstens unterkomplex und zweitens, angesichts der aufgerufenen Kaufgebote, menschlich. Es hilft auch nicht, dem Zugezogenen seine Fremdheit unter die Nase zu reiben. Er wird sich vielleicht im Stillen darüber ärgern, aber dennoch wissen, dass die Zeit für ihn spielt. Die Meinung der Alt-Einheimischen mag ihm egal sein. Er zahlt, er schafft an. So fühlt er sich dem Grantler überlegen.

Sprache als Identifikationsmerkmal

Wie geht es jenen, deren Sprache durch die schiere Zahl der Neuen kaum noch gesprochen wird? Ich kenne die stille Wehmut über diesen Verlust aus meiner alten Heimat. Plattdeutsche Begriffe waren in meiner Schulzeit unter uns Schülern noch gewöhnlich. Die Betonung, die Eigentümlichkeit bestimmter Begriffe war der Landschaft, der Umgebung geschuldet. Heute spricht es schlicht keiner mehr. Die Sprache als Identifikationsmerkmal ist unwiderruflich vergangen. Sie war zu sperrig, zu ineffizient geworden.

Das mag der Lauf der Dinge sein. Altes geht eben. Man versucht es, in Trachtengruppen und Gebirgsschützenvereinen zu konservieren, läuft damit aber Gefahr, nur eine weitere Touristenattraktion zu sein. Aber was kommt als Neues dazu? Beliebiges, Austauschbares? So wie die großen Einkaufsketten deutsche Städte uniform werden lassen? Was ist also schützenswert? Vielleicht liegt in der aktuellen Klimadebatte Potenzial. Wer seine Heimat liebt, will sie schützen, will sie besser hinterlassen, als er sie vorgefunden hat. Der sieht den Schutz als einen Baustein für eine größere, zusammenhängendere Veränderung zum Nutzen aller, aber vor allem der nächsten Generationen.

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