Am dritten Tag riecht er

Was die Schweden im Dreißigjährigen Krieg für das Tal, ist für uns der Besuch in Sommermonaten am See, findet unser Autor Martin Calsow. Jetzt, wo es im Süden brannte, Flüge in die Ferne mühsam waren, erinnerten sich zu viele an ihre Freunde vom Tegernsee. Was man gegen ungebetene und viel zu lange verweilende Freunde, Bekannte und Verwandte tun kann, verrät der Glückskolumnist hier.

Ab und zu Besuch am Tegernsee zu haben, ist ja ganz schön, findet unser Kommentator. Nur das mit der Aufenthaltsdauer und dem Wiederkommen müsste man eventuell noch einmal bei einem Bier besprechen. / Quelle: Nina Häußinger

Eine Glosse von Martin Calsow:

Wohnen im Tal und Wohnen, sagen wir einmal in Gütersloh, sind zwei Dinge. Der erste Ort ist ein Gottesgeschenk, der zweite hat viel Schlachtfabriken. Alles hat eben seinen Platz. Das gilt auch für die Menschen, die an diesen Orten wohnen.

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Schwierig wird es, wenn Gütersloh meint, dem Tegernsee einen Besuch abzustatten. Damit sind nicht die wunderbaren Menschen gemeint, die hier in Hotels und Pensionen nächtigen und brav zahlen. Ich rede von der buckligen Verwandtschaft, von fernen Freunden und noch ferneren Bekannten, die einen mit einem plötzlichen Besuch überraschen und scheinbar nie mehr gehen wollen („Nö, wir bleiben nur ‘ne Woche, oder so. Für euch doch kein Problem, oder? Betten müssen nicht abgezogen werden“), der sogenannte Herpes-Besuch: Kommt zur Unzeit, nervt, bleibt zu lange, geht zu spät und kommt, einmal eingeladen, immer wieder.

Am besten nicht ans Telefon gehen

Die gefährliche Phase sind die Wochen vor den Urlaubszeiten. Das Telefon klingelt, man ahnt es schon: Das wird doof. Mal sind es jene, die auf Durchfahrt nach Italien/Kroatien sind („Du, nur zwei Tage, damit die Kinder sich ein wenig akklimatisieren“). Mal sind es jene Geschwister, die man schon früher zu Recht mit der Schaufel im Sandkasten schlug oder über eine Autobahnbrücke hielt.

Sie bringen die Frucht ihrer Lenden mit, meist verzogene Schratzen, die den Tag über „chillen wollen“ (aka herumliegen und auf Smartphones starren), nichts von selbst machen, dafür aber nachtaktiv werden. Diese Zombie-Pubertiere kommen gegen zehn an einen (natürlich von den Gastgebern) gedeckten Tisch und maulen. Danach wollen sie Action, finden den See aber „echt zu kalt, ey.“ Shoppen wäre die Alternative, „aber bei Euch sind ja nur Halbtote in Janker in der Seestraße unterwegs.“ “Ja, geh zurück in deine zugepflasterte Einkaufspassage und kauf’ Handys”, möchte man das Pickeltier mit Zahnschranke zurechtweisen, bleibt aber höflich, auch weil das dauer-verständnisvolle Muttertier danebensteht und mitleidet.

Wie gut, dass es Regeln gibt

Früher gab es die Regel: Fisch und Besuch stinkt nach drei Tagen. Aber selbst zwölf Stunden Dauer-Unterhaltung mit kostenloser Vollpension („Ich esse nur laktosefrei…nein, ist in der Breezel etwa Gluten?“) können verdammt lang sein. Das gilt erst recht, wenn sich der nächste Besuch schon am Horizont, vulgo Kreuzstraße abzeichnet. Es ist Zeit für neue Regeln:

1. Lassen Sie bei Familientreffen in Pulheim, Gütersloh oder anderen Gegenden ohne Charme einfach in einem Gespräch fallen, dass sie „jetzt den Sommer über viel privat vermieten. Ist nicht erlaubt, bringt aber irre Kohle.“ Die kniepige Verwandtschaft wird indigniert schauen, von Besuchen aber absehen. Denn das war ja der Clou: Urlaub ohne Kosten…

2. Vor dem Besuch: Gehen Sie davon aus, dass dezente Hinweise bei Besuch aus fremden, anderen Landesteilen nicht fruchten. Der Deutsche liest Richtlinien, nicht zwischen den Zeilen. Schon bei der Zusage sollten diese der Herpes-Heimsuchung mitgegeben werden.

3. Die Meute ist da: Scheuen Sie sich nicht, Regeln eines Bootcamps aufzustellen. Gleich zu Beginn wird eine Arbeitsliste aufgestellt. Wer holt Semmel? Wer putzt das Gästezimmer? Wo ist das Gästegeschenk? Nein, wir benötigen keinen Sekt von der Tankstelle oder einen faden Blumenstrauß. Während des Aufenthalts gilt: Ein kurzer Gang durchs Haus – komplett nackt – reduziert das Verlangen des Besuchs, länger als nötig zu verweilen (“Machen wir immer so”).

4. Sehen Sie Besuch ganz im Marxschen Klassenbegriff: Der Besuch ist der Entrechtete, der seine Arbeitskraft zu verkaufen hat, um Ihren Mehrwert zu steigern. Sparen Sie wichtige Arbeiten am und im Haus auf. Die kann, je nach Begabung, der Besuch in den wenigen Tagen ausführen. Wichtig: Lassen Sie es wie ein Event aussehen. Kleistern statt Klettergarten. Das hilft alles nichts mehr? Gut:

5. Lassen Sie die Herrschaften ruhig in Turnschuhen und in ihrem Tempo zur Tegernseer Hütte hochlaufen. Wir haben bei Zwischenfällen erstens die Bergwacht und zweitens unsere Ruhe für die nächsten Jahre.

6. Beschreiben sie die Talinsassen als rauflustig, gierig und verschlagen. Kurz: Bleiben sie bei der Wahrheit. Warnen Sie vor jedem Kontakt mit der Brut vom See. Nur so weiß der Preuße sich halbwegs zu benehmen und nur leise eine „weiße Wurst“ zu bestellen.

Ein Trost: Bald kommt der Herbst, die schönste Jahreszeit am See. Während der Gast einsam durch Gewerbegebiete in Chemnitz-Kappel oder Bottrop-Boy streift, ist das Tal wieder frei. Aber wenn wir ehrlich sind, zeigen wir unsere Heimat ja auch gern her. Insofern werden auch im nächsten Jahr die Betten bezogen, die Gäste willkommen geheißen. Es gibt schlimmere Schicksale, als Gastgeber im Paradies zu sein.

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