Landkreis-Bürgermeister wollen mehr Polizei
Brandbrief mit Sprengkraft – zieht sich der Freistaat zurück?

Die Polizeipräsenz im Landkreis wird zunehmend ausgedünnt. Das missfällt vielen. Die 17 Landkreis-Bürgermeister machen sich in einem Brandbrief an Innenminister Joachim Hermann.

Proteste in Warngau. Gefundenes Fressen für Rechtsextreme? Foto: Martin Calsow

Die Sätze schlagen ein: “Es scheint, dass in Ihrem Hause, aber auch bei Ihnen persönlich, das Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung nicht bekannt ist, oder dass die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger schlicht nicht interessiert.” Die 17 Bürgermeister aus dem Landkreis sind sauer. Mit einer „Flexibilisierung des Einsatzmanagements“ will das Polizeipräsidium Oberbayern Süd dem Personalmangel begegnen.” So heißt es nebulös von der Polizei Südbayern.

Offiziell heißt es: Man will die Beamten vom Büro auf die Straße schicken und so die Streifenpräsenz auf Kosten des Innendienstes erhalten. Die Folge: Gerade nachts sind Inspektionen wie die in Bad Wiessee nicht mehr durchgehend besetzt. Die Polizeiführung wiegelt ab: Gleichzeitig werde durch technische Einbauten an Dienststellen „weiterhin jederzeit die unmittelbare Erreichbarkeit“ der Polizei über die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd sichergestellt.

Diese Sparplanspiele der Polizei kommen zur Unzeit. Gerade in jüngster Zeit häufen sich die Einbrüche im Bereich des Tegernseer Tals. Die Bürgermeister jedenfalls sind sauer auf das Innenministerium: Sie schreiben: “Angesichts der zunehmenden Aggressivität und Radikalisierung in der Bürgerschaft, welche sich in Warngau und Holzkirchen gezeigt hat, zieht sich der Freistaat Bayern nun noch weiter zurück.” Das bezieht sich auf die Bürgerversammlungen und Ratssitzungen in den Gemeinden, etwa zu möglichen Asylunterkünften. Landrat Olaf von Löwis war dort mächtig angegriffen worden, nicht nur von einheimischen Bürgern.

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Nur dank der Polizei konnte der Landrat sicher aus dem Saal eskortiert werden. “Alle Bürgermeister sind mit Problemen bei der Umsetzung einer verfehlten Asylpolitik und dem Durchreichen der Probleme an die Basis konfrontiert. Die Maßnahmen des Innenministeriums, die Grenzpolizei auf Kosten der Kräfte vor Ort immer weiter zu stärken, bleibt vor allem in rechtsextremen Kreisen nicht verborgen.”

Und in der Tat werden in einschlägigen Foren und WhatsApp-Gruppen die Sparmaßnahmen der Polizei bereitwillig aufgenommen und kommentiert. In teils sarkastischer, teils alarmistischer Form wird die Maßnahme als Beispiel für den langsam voranschreitenden Rückzug des Staates ausgelegt. Gerade in Bayern, das so lange Jahre durch eine robuste Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit glänzte, ist das ein gefundenes Fressen für Extreme.

Und in diese Wunde stoßen die Bürgermeister, wenn sie weiter in dem Brandbrief schreiben: “Jedermann kann dem Internet entnehmen, dass die Bayerische Staatsregierung immer weniger gewillt ist, seine Versprechen zur inneren Sicherheit auch einzuhalten.

Während auf den Autobahnen die Landes- und Bundespolizei für eine bisher nie dagewesene Kontrolldichte sorgen, faktisch gegenseitig in Konkurrenz treten, sollen Bürgerinnen und Bürger mittels Schnellausbildung zu Hilfspolizisten werden. Inzwischen hat das SPD regierte Mecklenburg-Vorpommern  (388  Beamte, je  100.000  EW) mehr Polizei pro Kopf als Bayern  (308  Beamte je 100.000 EW).”

Der Unmut zwischen Fischbachau und Waakirchen, zwischen Weyarn und Kreuth, ist deutlich aus den Worten der Bürgermeister herauszuhören. Sie fordern eine adäquate Ausstattung der Dienststellen in der Fläche und betonen, dass sie nach wiederholten Schreiben an den Innenminister “nun mit der Geduld am Ende seien.”

Neben der Sorge um die örtliche Sicherheit, offenbart der Brief eine landes- als auch eine kommunalpolitische Ebene, die nicht sofort zu erkennen sind. In Interviews zeigt sich der bayerische Innenminister, Joachim Hermann, in der gleichen Bredouille wie aktuell jeder Unternehmer. Die Baby-Boomer-Generation gehe ja nach und nach in Pension, klagt man in der Polizeiführung. Die mögliche Gesamtmenge der Nachrücker sei immer kleiner. Es fehle an Nachwuchs. Alles sei sehr schlimm.

Spricht man mit Polizisten und Kennern der Materie, zeigt sich ein anderes Bild. Der Mangel ist Folge einer politischen Schaufenster-Aktion, so die Klage der Praktiker vor Ort. Und das hat etwas mit Markus Söder und seinen Versprechungen zu tun.

Rückblick 2018:

Der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder, fordert angesichts nicht versiegender Flüchtlingsströme mehr Kontrollen an bayerischen Grenzen. Im August 2018 führt er medienwirksam wieder eine bayerische Grenzpolizei ein. Die gab es bereits bis 1998, fiel mit dem Schengener Abkommen weg. 1000 Polizisten sollten fortan zwischen Bodensee und Berchtesgaden Bayerns Grenzen schützen. Bis 2028 sollen 1800 Stellen besetzt haben.

Verfassungsrechtlich ist das heikel, denn für den Schutz der Grenzen ist der Zoll und die Bundespolizei zuständig. Und dann wuchs dem Innenminister ein neues Problem heran: Die Kollegen, die man nach Kreuth versetzt, fehlen in den Dienststellen. Darauf angesprochen, wiegelt die Polizeiführung in Rosenheim ab. Die Kreuther, deren Fahrten vom Süden bis zur A8 nach Irschenberg führt, fahren ja unterwegs auch Streife. Für Sicherheit sei also gesorgt. Bis heute fehlen diese Stellen. Intern sprechen Polizisten von bis zu 25 Prozent nicht besetzte Stellen in den Dienststellen, die nicht mit Grenzaufgaben betreut sind.

Die Bürgermeister des Landkreises, so hört man, hielten mit ihrem Brief den “Dienstweg” ein. Man übergab ihn der Stimmkreisabgeordneten, Ilse Aigner, die ihn an den Kollegen Hermann weitergeben sollte. Grund: Man wollte Lösungen haben und keinen 08-15-Antwortbrief aus dem Innenministerium. Prompt wurde aber dieser Brief an die Öffentlichkeit aus dem Kreis der Bürgermeister durchgestochen. Mancher hat einen Würdenträger aus Hausham in Verdacht: Jens Zangenfeind, Bürgermeister der Gemeinde und zweiter Landrat, scheint größere Ambitionen zu haben, Olaf von Löwis zu beerben.

Mit Themen wie Innere Sicherheit schafft sich der Jurist aus der Bergarbeitergemeinde Öffentlichkeit und positioniert sich. Jetzt geht es darum, wie das Innenministerium in München auf den Brief der Bürgermeister reagiert. Ist die Wirkungsweise angesichts einer frühen Veröffentlichung verpufft? Oder entsteht jetzt erst recht Druck auf Minister Hermann, der drei Monate vor der Europawahl bestimmt keine CSU-Schwäche beim Thema Innere Sicherheit gebrauchen kann.  

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