Simulation soll Genditzkis Unschuld beweisen

Zweimal wurde Manfred Genditzki wegen Mordes an der 87-jährigen Rottacherin Lieselotte Kortüm zu lebenslanger Haft verurteilt. Zweifel an der Richtigkeit der Urteile gab es zuhauf. Versuche, den Fall wieder aufzurollen, scheiterten. Jetzt ist ein neues Beweismittel aufgetaucht.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Youtube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Anzeige

Ein Skelett bewegt sich in Richtung Badewanne. Es setzt den rechten Fuß vor, stößt mit dem rechten Knie an den Badewannenrand, kippt vornüber und fällt über den Wannenrand. Dabei knallt der Kopf des Skeletts in Höhe des Drehverschlusses an die Wand der Badewanne. Das linke Bein bleibt auf dem Wannenrand liegen.

In dieser Position wurde Liselotte Kortüm am 28. Oktober 2008 tot in der Badewanne ihrer Rottacher 3-Zimmer-Wohnung aufgefunden (wir berichteten). Der Hausmeister Manfred Genditzki (58) soll sie erschlagen haben. Zweimal wurde Manfred Genditzki vom Landgericht München II wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der ehemalige Hausmeister bestreitet die Tat bis heute.

Mit der nun durchgeführten Computersimulation will die Münchner Rechtsanwältin Regina Rick beweisen, dass der seit zehn Jahren inhaftierte Genditzki unschuldig ist. Und dass es sich bei dem Tod der Seniorin um einen Unfall, und nicht um ein Tötungsdelikt gehandelt hat. Seit Jahren kämpft sie für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Schindler kritisiert Justiz

Zusammen mit der Rechtsanwältin Dagmar Schön startete Rick deshalb im vorletzten Jahr einen Spendenaufruf. Mit den eingegangenen Spenden wurde die Computersimulation in Auftrag gegeben. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bayerischen Landtags – SPD-Abgeordneter Franz Schindler – unterstützt sie bei der Wiederaufnahme des Verfahrens.

Bei der heutigen Pressekonferenz im Bayerischen Landtag äußerte er Zweifel an der Richtigkeit der Urteile und erinnerte daran, dass „die beiden Schuldsprüche nicht nur bei den Verteidigern auf völliges Unverständnis gestoßen“ seien, sondern auch „bei allen Prozessbeobachtern“.

Sequenz der Fallbewegung in die Badewanne. / Foto: Syn Schmitt/SimTech

Zudem kritisierte er die mangelnde Bereitschaft der Staatsanwaltschaft, sich mit möglichen Justizirrtümern auseinanderzusetzen und „die eigene Rolle zu hinterfragen“. Verfahrensfehler sieht er vor allem darin, dass a) keine volle Akteneinsicht gewährt, b) Ergebnisse bereinigt und c) Zeugenaussagen nicht protokolliert worden seien. Was die Staatsanwaltschaft „desinteressiert geduldet“ habe. Für ihn sei der Schuldspruch deshalb „nicht überzeugend“.

Jedes vierte Urteil ein Fehlurteil”

Strafverteidigerin Rick betonte, dass „jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil“ sei. Und auch bei Genditzki spreche „viel für ein Fehlurteil“. Der Gerichtsmediziner habe bei der alten Dame Tod durch Ertrinken festgestellt, so Rick. Obwohl die Hämatome im Kopf der alten Dame ein völlig unauffälliger Befund waren, sei dieser von „stumpfer Gewalt“ ausgegangen.

Und das, obwohl die Kripo in Miesbach zunächst von einem Unfall ausging, von einem unglücklichen Sturz mit Todesfolge. Weil aber zwei Miesbacher Polizisten bei der Haushaltsauflösung feststellten, dass eine größere Summe Geld fehlte, wurden dem Angeklagten plötzlich Mordabsichten unterstellt. Im Prozessverlauf habe allerdings nachgewiesen werden können, so Rick, woher das Geld stammte.

Neue Methode, die Genditzkis Unschuld beweisen soll

Daraufhin habe die Staatsanwaltschaft eine „neue Geschichte“ erfunden, so Rick. Es wurde behauptet, die alte Dame hätte Genditzki zum Kaffee eingeladen, wobei es zum Streit gekommen sei. „Der Staatsanwaltschaft waren die Felle davongeschwommen“, begründet die Strafverteidigerin deren Motivsuche. Für diese Anschuldigung habe es aber keine Beweise gegeben, sie sei eine „Erfindung der Justiz“ gewesen, sagt Rick.

Weil das Gericht im Indizienprozess wegen der „Endlage“ der alten Dame einen Sturz ausschloss, wurde Genditzki erneut wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Gerichtsmediziner hatte laut Rick angezweifelt, dass man nicht so liegen könne, wenn das Bein „draußen hängenbleibt“. Mit der heutigen Computersimulation, die der Stuttgarter Professor Syn Schmitt erarbeitet hat, beweist Rick nun das Gegenteil. Schon im Prozess vor dem Münchner Landgericht sei eine solche Computersimulation beantragt worden, wie Rick heute erklärte, diese hatte das Gericht aber mit der Begründung abgelehnt, so etwas sei noch nicht ausgereift genug.

Links: Die “Endlage” der alten Dame. Ein Sturz wurde vom Gericht ausgeschlossen. Rechtsanwältin Regina Rick und der SPD-Abgeordnete Franz Schindler (beide rechts im Bild) sind dagegen überzeugt, dass es ein “Sturz” war, kein Mord / Fotos: N. Kleim

Auch die sogenannten „Kontaktpunkte“, die Verletzungen am Körper wie beispielsweise blaue Flecken, könne man darstellen. Ebenso, welche Krafteinwirkung auf welches Körperteil wirke. Diese Version folge den „Gesetzen der Physik“, macht Rick deutlich. Sie selbst kann den Fall nicht wieder aufrollen. Dafür bräuchte sie mehrere „computersimulierte Szenarien“ – und ein entsprechendes Gutachten unter Einbeziehung von Rechtsmedizinern. „Das können wir nicht bezahlen“.

Im Kampf um die Wiederaufnahme des Verfahrens

Sie sieht aber mit der neuen Beweismethode gute Chancen für eine Wiederaufnahme. Ihr Wunsch ist es, dass die Justiz mehrere Staatsanwälte dransetzt, die ihr „die Arbeit abnehmen“. Noch besser wäre es, wenn die Staatsanwaltschaft selbst reagiert. Auch Schindler ist der Meinung, der Fall müsse nochmal aufgerollt werden, weil es „neue Beweise durch ein neues Verfahren gibt“.

Genditzkis Rechtsanwältin Dagmar Schön ist der gleichen Meinung: „Die Urteile waren sowas von falsch – die Staatsanwaltschaft muss sich damit auseinandersetzen“. Schön und Rick sind sich einig: Sie kämpfen solange, bis das Verfahren wieder aufgenommen wird. Und auch der Verurteilte, mit dem sie in regelmäßigem Kontakt stehen, gibt nicht auf. „Bevor ich zugebe, was ich nicht gemacht habe, bleibe ich zwanzig Jahre sitzen“, soll er gesagt haben.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner