Das Frohlocken des Flächenfraß
Wie sich Gmund ein Gewerbegebiet zaubert

Seit Jahren kreist die Gemeinde Gmund im Sinkflug über dem Areal an der Kreuzstraße, ein Gewerbegebiet – ein Traum. So richtig erfolgreich klingt die Geschichte zunächst nicht, aber dann zahlt sich die Hartnäckigkeit aus.

Noch ist es Grün. Foto: Redaktion.

Auf dem Gelände der eigenen Bauschuttsortieranlage will der Baustoffhändler Stang expandieren. Schon jetzt sind die Lagerflächen zu klein, Kunden werden teilweise von Werk weg beliefert. “Eine Zukunftsoption”, verspricht sich Sabine Stang, die den Betrieb zusammen mit ihrem Cousin leitet. Der Gemeinderat nimmt sich in seiner Sitzung vor der Sommerpause die Stellungnahmen zum Bebauungsplan „SO Kreuzstraße – BSA-Gelände“ vor. Der Stang ist ein Familienbetrieb, ein ortsansässiges Unternehmen, das zuverlässig Gewerbesteuer in die Kassen der Gemeinde spült.

Gewerbesteuern

Um die 250 Unternehmen sind in Gmund angesiedelt, darunter fünf mit über 100 Mitarbeitern. Darunter die Aushängeschilder Papierfabrik und Büttenfabrik und der Baustoffhändler Stang. 8,4 Millionen an Gewerbesteuer spülten 2022 alle Unternehmen zusammen in die Kasse der Gemeinde Gmund. Rottach-Egern ist mit 7,1 Millionen auf Platz 2, Tegernsee rechnet mit um die 4,3 Millionen, Kreuth mit um die drei Millionen und Bad Wiessee bildet mit knapp über zwei Millionen Gewerbesteuern Schlusslicht.

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Nur die Grünen, die möchten gegenhalten: “Ich verstehe, dass da alle dafür sind, weil es um ein lokales Unternehmen geht, ich finde es aber unmöglich, wie Kritikpunkte ins Lächerliche gezogen werden, während wir gegen unseren Auftrag handeln und weiter 45.000 Quadratmeter versiegeln”, entrüstet sich Andrea Schack, Grüne Gemeinderätin und Mitglied der Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal. Die Schutzgemeinschaft hat eine ausführliche Stellungnahme zum Bauvorhaben vorbereitet. Sie pochen auf die Genehmigungen der Staatsregierung (liegen die wirklich vor; ja, das tun sie …), fürchten durch den zunehmenden LKW-Verkehr ein höheres Unfallrisiko und verweisen darauf, dass das Vorhaben den Zielen des Landschaftsschutzes widerspricht. “Wir können nicht immer weiter machen mit dem Flächenfraß, wir müssen die Flächen schonen”, versucht es Schack nochmal.

Jojo-Effekt trotz Flächendiät?

Die Botschaft dahinter? Die Kommunen; und zwar alle im Tal müssten sich eigentlich an das Landesentwicklungsprogramm (LEP) halten und damit an das sogenannte Anbindeangebot, das verhindern soll, dass einfach etwas auf eine “grüne Wiese” gebaut wird. Flächen zu sparen, ist damit eine rechtlich verbindliche Verordnung der Bayerischen Staatsregierung und durchaus eine konservative Lesart, die „Heimat“ zu erhalten. Warum sonst haben sich die CSU und die Freien Wählern per Koalitionsvertrag eine Flächendiät verordnet? Runter auf 5 Hektar (pro Tag) war das Ziel.

Doch: “Der aktuelle Flächenverbrauch in Bayern beträgt 10,08 Hektar pro Tag, das entspricht in etwa 15 Fußballfeldern jeden Tag”,  (Quelle: Daten und Fakten des Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz). Das war 2019. 2021 hat sich der Verbrauch auf 10,3 Hektar erhöht, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

So sieht es momentan auf dem Gelände aus. Foto: Redaktion

Bierdurst vor Haglandschaft

Doch die Fläche, um die es geht, ist bereits 2008 aus dem Landschaftsschutzgebiet Tegernsee und Umgebung herausgenommen worden; insgesamt 95.000 Quadratmeter, also 9.5 Hektar. Dafür hat die Gemeinde Gmund gesorgt und das Landratsamt Miesbach hat es genehmigt. Zwei Jahre später, also 2010, stellt die Brauerei Tegernsee einen Bauantrag: Sie fordert die Schaffung eines neuen Gewerbegebiets für ihre neue Abfüllanlage. Der Bierdurst im Tal, München und Berlin ist groß. Das Gewerbegebiet in Lochham in Warngau, das ebenfalls infrage kommt und zu dem die Baupläne angeblich schon in den Schubladen lagen, den will die Kult-Marke nicht.

Doch noch bleibt ein klitzekleines Problem: Das Gebiet ist zu weit weg. Es ist nicht angebunden, sprich, was Neues sollte an was Altes rangebaut werden. “Ein Gewerbegebiet soll an ein Gewerbegebiet angebunden sein, ein Wohngebiet an ein Wohngebiet“, erläutert Bauamtsleiterin Christine Wild. Stichwort – Zersiedelung. Forderung: Nicht einfach auf die grüne Wiese bauen. Das will die Bayerische Staatsregierung nicht. Weil, was einmal (an)gesiedelt ist, das lockt den nächsten Investor auf den Plan. Ganz im Sinne von Georg von Preysing (CSU), ehemaliger Bürgermeister von Gmund. Für ihn war, nach dem Bau der Abfüllanlage, klar, dass hier weiter Gewerbe wachsen soll.

Quelle: Google Maps

Ausnahme nach Ausnahme

Doch es gibt Ausnahmen von der Anbinderei: Etwa, wenn das Bauvorhaben ziemlich viel Fläche braucht, die dem Ortsbild nicht zuträglich ist. Die Brauerei, die für ihre Produktions-, Füll- und Logistikgebäude um die 30.000 Quadratmeter rechnet, fällt genau in diese Ausnahme-Logik. Die Staatsregierung genehmigt das Bauvorhaben. November 2010 wird gegraben, die Zukunft ist gesetzt. Später kommt eine Lagerhalle hinzu (2015) und eine Stapelhalle (2016). Und heute? Stang wird genau hier seine fünf Lager- und Logistikhallen bauen, damit wächst das Gewerbegebiet um weitere 40.000 Quadratmeter.

Anbindung

Mit der „Anbindung“ will der Gesetzgeber eine Zersiedelung der Landschaft vermeiden. Da steckt eine Vision dahinter – eigentlich eine konservative: „Wir wollen dem mit der Globalisierung einhergehenden Bedürfnis nach Heimat und regionaler Identität Rechnung tragen, […]. Wir wollen Landschafts- und Naturräume mit ihren natürlichen Ressourcen, den typischen Lebensräumen und Arten bewahren und, wo nötig, auch wiederherstellen.“ (Quelle: LEP)


Ein bisschen Kies und ganz viel Asche

Für den Tausendsassa Stang, der alles anbietet, was die Bauwütigen im Tal freut, ist diese Fläche eine alte Bekannte. Schaufelt, trennt und sortiert das Unternehmen hier doch seit Anfang der 90er Jahre nachhaltig seine Baustoffe. Über die Genese der Kiesgrube, die 1976 genehmigt wurde, herrscht indes eine gewisse Unsicherheit im Gemeinderat. Zur Stellungnahme des Landratsamts, fragt die Grüne Gemeinderätin Laura Wagner: “Warum steht hier, dass es sich hier um einen ‚wohl nicht genehmigten Kiesabbau‘ handle? “Genehmigt ist er, aber warum das Landratsamt das nicht weiß, wissen wir jetzt auch nicht”, gibt die Bauamtsleiterin zu. Aber, dass sie da ist, daran besteht kein Zweifel.

Vogelperspektive: Die Kiesgrube hat sich recht tief in die Wiesen gegraben. Übrigens nicht alles Gmund, der rechte Ausläufer und die Flächen im Norden gehören zu Waakirchen. Foto: Martin Calsow.

Abwägen der Stellungnahmen ist eher Rhetorik

Stoisch verliest Christine Wild, Bauamtsleiterin in Gmund, die öffentlichen Stellungnahmen in der Sitzung. Da geht es um Metalloberflächen (Landratsamt Miesbach will keine, zumindest nicht einsehbar), darum die Wohnnutzung bitte eingeschränkt werden soll (Regierung von Oberbayern), Vogelschutz und Entwässerungsthematiken. Das Wohnthema will schnell abgehakt sein. In einem Gewerbebau dürfen grundsätzlich nur Wohnungen für Betriebsleiter untergebracht werden. Doch, wer in einem Gewerbegebiet Unterkünfte für LKW-Fahrer zulässt, wie es die Gemeinde durchgesetzt hat, hat damit einen Bezugsfall geschaffen; sprich eine Tür aufgedrückt.

Ein dadaistischer Wald

Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Holzkirchen (AELF) verweist in ihrer Replik tapfer auf ein Luftbild, in dem ein Wald zu sehen sei. Deswegen ist sie gegen das Bauvorhaben: Es verstoße gegen den Waldfunktionsplan. Denn ein Wald mache sich schön im Landschaftsbild und sei ein schützenswertes Gut. Doch besagter Plan ist irgendwann Ende der 70er erstellt worden; sprich der Wald ist gar nicht mehr da.

Für die Gemeinde und den Rat ist das folglich kein tragendes Argument. Dass der Wald weg ist, führt die Gemeinde darauf zurück, dass im Zuge der Genehmigung für den Kiesabbau eben auch die Genehmigung zum Roden erteilt worden sei (1976); und der Waldfunktionsplan erst danach in Kraft getreten sei. Macht zwar nicht so richtig Sinn, stört aber fast niemanden. Weil: kein Wald, kein Problem. Der Beschluss geht mit zwei Gegenstimmen durch.

Haselmaus-Autobahn

Das Vorlesen der Stellungnahmen ist bei Bauvorhaben dieser Größenordnung Pflicht. Die Kür: das ist das Abwägen. Da hat sich der Gesetzgeber Wortmeldungen vorgestellt, sich ereifernde Gemeinderätinnen und Räte, die diskutieren, Kompromisse finden und auch mal grundsätzliches infrage stellen: Wollen wir das? Was bedeutet das eigentlich für die Haglandschaft, das “grüne Tor zum Tegernseer Tal?”

Doch hier: Einvernehmliche Stille. Es zuckt hin und wieder ein Mundwinkel, als der Umweltbericht verlesen wird und darin ausführlich über Haselmäuse referiert wird, die eigentlich mal umgesiedelt werden sollten und jetzt den Weg in ihre neue Gehölzung allein finden sollen; Stang sei Dank. Der legt nämlich einen Haselmaus-Korridor an. Auch für die Fledermäuse bleibt nichts zu tun, weil da ja keine unterwegs sind, das habe man jetzt festgestellt.

Exkurs: Haglandschaft – lebendige Zäune

Die Haglandschaft in Miesbach, auch Egartenlandschaft (Egart steht für braches Land) entwickelte sich über mehrere Jahrhunderte. Der Ackerbau hat im Tal und Umland nicht besonders viele Früchte getragen, trotzdem hat man es versucht.

Nach den mäßigen Ernten überließ man die aufgeraute Erde sich selbst; deswegen auch Brache. Damit sich die Erde erholt. Danach konnte man dann gut Milchkühe und andere Viecher auf die Weiden schicken. Aber gerodet wurde weiter, etwas landwirtschaftlicher Ertrag müsse sich doch finden lassen?

An den Rändern haben die Landwirte dann oft Gehölz und Gestrüpp stehen gelassen, weil das nicht so einfach kleinzukriegen war mit dem Gerät von damals. Dieser Hag erwies sich als praktisch und naturfreundlich obendrein: Da nisten dann gerne Vögel, verkriechen sich Haselmäuse, Füchse und Rehe. Bergahorne, Eschen und Traubenkirschen wachsen quer hinein und ungestört über Jahrzehnte.

Die Landwirtin bekam vom Hag in den kalten Tagen Brennholz und der lebendige Zaun wurde zu einer Art Rohstoffreserve. Im 19. und 20. Jahrhundert verkleinerte sich die Haglandschaft zunehmend. Der technische Fortschritt der Landwirtschaft musste sich vorm Hag nicht mehr fürchten. Initiativen zur Erhaltung und Verbreiterung des Hag folgten in den 80er Jahren. Heute ist die Miesbacher Haglandschaft vor allem von Investoren bedroht, die Bauland wittern. (Quelle: Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft)

Und ausgleichen muss ja auch jede Gemeinde, die sich ein Stück Bauland aus einem ehemaligen Schutzbereich genehmigt. So geben sich “Eingrünung“, Ausgleichsflächen und Bepflanzungen das Wort. Und auch davon, dass man den Verlust des Waldes auszugleichen habe …, der sich als Vorwald wiederbelebt hat. Doch, der Bauplan, der für Räte und Pressevertreterinnen an die Wand projiziert wird und den wir im Anschluss nochmal einsehen dürfen, kann nicht verhehlen, dass diese Entscheidung auch Grünfläche zunichtemacht. Eben diese schlauchartige Heckenkrümmung wird dem Stang-Plan weichen.

Und der Blick auf die aufgebrochene Erde, diese Kies-Mondlandschaft, macht es für den ein oder die andere vermutlich leicht, hier zuzustimmen. Weil: kaputt ist es ja schon. Dass hier eine Kiesgrube in den 70er Jahren zwei Unternehmen den Weg geebnet hat, kann man zumindest spekulieren.

Die Regularien, die eigentlich verhindern sollen, dass die grüne Lunge im Tal zunehmend versiegelt wird, funktionieren nur, wenn sich Räte und Gemeinden klar darüber sind, dass bei Baugenehmigungen Abwägungen demokratische Tugend sind. So agieren sie vor allem als flinke Möglichkeitsmacherinnen und -macher, die niemandem Steine in den Weg legen wollen. Doch umgekehrt fehlt die Erkenntnis, dass es ein paar Steine braucht, um eine Landschaft wie das Tegernseer Tal zu schützen und zu bewahren.

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