Das haben sie verdient

Advent im Oberland. Alle wollen und müssen kaufen. Da bleibt die Kinderstube immer häufiger auf der Strecke. Ein Plädoyer für mehr Höflichkeit und Miteinander – auch und vor allem in der Zeit vor Weihnachten.

Eine Kolumne von Martin Calsow:
Samstag, am Vormittag, im Gmunder Supermarkt. An der Fleischtheke ist die Höflichkeit gerade ausgegangen. „Was kann ich für Sie tun?“, fragt die Dame hinter dem Tresen und bekommt ein in den Bart gemurmeltes „Anderthalb Pfund Gehacktes.“ entgegen geworfen. Kein Guten Tag, kein „Ich hätte gern.“ An der Kasse. Da wird, ohne um Entschuldigung zu bitten, der Arm am Gesicht des Vormanns zum Zigarettenregal vorbei geschoben.

Die junge Frau zieht im Akkord die Waren über den Scanner, eine kleine Schlange von vier Kunden bildet sich. Eine ältere Dame in Gummistiefeln echauffiert sich. „Gibt’s hier keine zweite Kasse?“ Kein Widerspruch, alle bleiben stumm. Schön, wenn einer unhöflich ist, und alle anderen davon profitieren. Der leise Hinweis der Kassiererin, dass die Kollegin sofort aus der Pause käme, wird mit einer höhnischen Bemerkung quittiert.

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Wir alle mögen nicht warten, sinnlos Herumstehen ist doof. Aber erstaunlich ist, wie sehr sich der Ton im Dienstleistungsbereich verschärft hat. Als ob nicht jeder wüsste, dass gerade viele Arbeitnehmer dort mit wenig Gehalt, aber viel körperlich auslaugender Arbeit zu leben haben. Keine Rücksichtnahme, nur feste druff. Der Ton, irgendwo zwischen Kaserne und Häme. Auf Fragen kommen nur Begriffe, Sätze sind schon zu viel. Das zwischenmenschliche Wort, die Begrüßung – alles überflüssig. Nur haben, kaufen und weg. Das ist der Sound der Effizienz.

Der einsame Wolf an der Kasse

Aber, das sage ich als Zugezogener, diese Ansprache wurde auch mitgebracht. Als ich vor zwanzig Jahren das erste Mal nach Bayern kam, empfand ich das Miteinander weitaus als ruhiger, höflicher und schlicht langsamer. In weniger als einer Generation hat es sich, ganz subjektiv empfunden, verändert. Geschlechter und altersübergreifend erlauben wir uns nur noch knappe Ansagen, werden ruppig, wenn es nicht schnell genug für uns geht. Zwar laufen viele von uns zur Meditation, zum Entspannungsyoga, aber an der Kasse wird jeder zum einsamen Wolf.

Die grassierende Sprachlosigkeit, übergossen mit einer Sauce aus Rüpelei und Großkotzigkeit („Ich zahl’s ja“), ist schon oft Gegenstand vieler Artikel. Aber man muss es deswegen ja nicht davor kapitulieren. Ein sachlicher Hinweis, dass man die Bitte um die Öffnung einer zweiten Kasse auch freundlicher formulieren kann, ist da der Anfang. Die Damen und Herren dort haben es verdient.

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