Das Tal: Ein Impfstoff gegen Tristesse

Jenseits der Tourismus-Inszenierung, der Instagram-Filterhölle, der totgerittenen Idylle als Mittel des Profits, gibt es gerade jetzt einen besonderen Zauber in unserem Tal. Wir sollten ihn schätzen. Er kann uns schützen…

Die Schönheit des Winterzaubers kann wie ein Impfstoff gegen die Traurigkeit sein. Das spürt selbst der Dackel Otto im Bild links…

Ein Kommentar von Martin Calsow

Morgens am Tegernseer Schloss, kalt und klar. Die Schule ist geschlossen. Noch scheint der Lockdown für weniger Verkehr zu sorgen. Ohne Pandemie würden die ersten Weihnachtsstand-Betreiber an ihren Hütten lärmen, die Schiffe proppevoll Konsumenten von der schönen Westbank hier hinüber karren. Stattdessen Stille. Über Jahrhunderte müssen die Mönche des Klosters im Advent hier auf den See, hinüber in die Rottacher Bucht geblickt haben und eben jene Ruhe vernommen haben. Vielleicht war da das Wiehern von Pferden, das seltene Quietschen eines Fuhrwerks oder das Läuten zum Stundengebet – sonst Ruhe. Und auch jetzt sind nicht wie sonst zahllose Flugzeuge am Himmel zu sehen.

Das Tal hält, so scheint es, für wenige Augenblicke inne, und, wenn wir schlau sind, machen wir es ihm nach: Suchen nicht noch hektisch nach Freizeitoptimierung, verfluchen einmal nicht die Pandemie. Kräftig strahlt die Wintersonne, verweilt man an einer windgeschützten Ecke, erfüllt einen das trügerische Gefühl eines Frühlingstages. Das Bräustüberl wäre jetzt schon voll mit Menschen. Und ja, es ist bitter und traurig für die Servicekräfte, die das Geld gerade jetzt dringend benötigten. Aber dann ist da eben auch das Gefühl der Befreiung vom Lärm der Menschenmassen.

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Der schweren Zeit etwas Schönes abgewinnen

Fern von all den Sorgen, die der Lockdown mit seinen zuweilen willkürlichen Maßnahmen mit sich bringt, bietet er uns auch eine Chance. Wir können in unserem Tal, weil es gerade nicht so sehr überrannt und verkauft wird, in ihm die kleinen Zauberorte wiederfinden. Zum Beispiel Wildbad Kreuth – man kann sich gar nicht sattsehen an der Überzuckerung der Bäume, der Brücken und der Hütten, als trüge alles ein Fell aus Frost, und wieder ist alles – still.

Die Fischerei verkauft, aber auf eine seltsame Weise verträgt sich das mit der Umgebung. Es ist kein kreischendes KAUF MICH-Angebot. Die Wege sind vereist, was auch die üblichen Mountainbiker im Bienenkostüm verscheucht. Vorsichtig trippeln die wenigen Wanderer über das Eis, halten immer wieder inne. Der Winter hat hier am äußersten Ende des Tals eine Märchenwelt geschaffen, wie sie sich die besten Filmemacher für kitschige Filme nicht ausdenken.

München mag im Nebel versinken. Legen wir unseren Ärger über die Massen aus der Stadt ein wenig beiseite. Platz ist gerade noch da. Wer mag es ihnen verdenken, hierher zu kommen? Benehmen sie sich, ist alles gut. Hier ist ein kalter, weißblauer Himmelstag, der Corona vergessen lässt, der daran erinnert, dass dieses Tal schon viele Krisen gesehen hat: Krankheiten und Krieg, Zerstörung und Verzweiflung. Jetzt, in dieser Zwischenzeit, die Thomasnacht ist gewesen, kurz vor dem Ende eines schlimmen Jahres, wartet da draußen in unserem Tal so viel visueller Impfstoff, der uns gegen engen Hass und Wut schützen kann, dass wir ihn nutzen sollten. Er kostet nichts, ist unbedenklich und hilft garantiert gegen Missmut und Traurigkeit. PS: Seit gestern wird es jeden Tag wieder länger hell…



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