Eigentlich hatte Waakirchens Bürgermeister Josef Hartl zum gestrigen, wie er sagte „verfrühten“, Zeitpunkt noch gar nicht vor, ein tragfähiges Konzept für Waakirchens Dorfmitte vorzustellen. Auf Drängen von Bürgerwerkstatt-Initiator Michael Futschik hatte die Gemeinde jedoch eine Bürgerversammlung einberufen (wir berichteten).
Gestern fand diese in der Waakirchner Turnhalle statt. Es ging um Themen wie Transparenz, Offenheit und Mitspracherecht. Die Bürger wollten wissen, was mit ihrem Zuckerstück in der Waakirchner Dorfmitte passiert. Vor allem wollten sie eines: mitreden und mitentscheiden. Rund 300 Interessierte füllten die Halle. Viel Kritik hatte es im Vorfeld dafür gegeben, dass „ein so großes Projekt“ in nichtöffentlichen Sitzungen abgesegnet worden war.
Sanft und sachlich ging es los…
Während die Gemeinde schon einen ausgetüftelten Plan in der Tasche hat, wie sie 30 bezahlbare Wohnungen samt Geschäften auf der bislang unbebauten Fläche zwischen Sparkasse und Bäckervoitl-Anwesen verwirklichen kann, wehren sich die Bürger gegen die geplante Bebauung und pochen auf den Erhalt ihres grünen Ortskerns.
Nach einer kurzen Begrüßungsrede informierte ein gut vorbereiteter Bürgermeister Sepp Hartl (FWG) die Anwesenden zunächst über die Umstände, die zu den bereits ausgearbeiteten Plänen für die Dorfmitte geführt hatten. 2010 habe die Gemeinde das Bäckervoitl-Grundstück erworben, so leitete Hartl den Abend ein.
Gemeinderatsmitglied Georg Rausch sei es damals gewesen, der sich erstmals Gedanken um Waakirchens Dorfmitte gemacht habe. Zwei Jahre später stand fest: Bei der Ortsentwicklung hat die Innenverdichtung Priorität. Bei einer Klausurtagung im November 2017 sei man dann in die detaillierte Planung eingestiegen, wo auch Möglichkeiten der Finanzierung zur Sprache kamen.
Hagleitner stellt sein Konzept vor
Dann übergab Hartl das Wort an den Waakirchner Architekten Hans Hagleitner. Auch der 59-Jährige trat gut vorbereitet an und präsentierte das Konzept, das er im Auftrag der Gemeinde für den Dorfplatz erarbeitet hatte. Die Anfrage habe er nach der Bürgerbefragung im Jahr 2015 bekommen, erklärte er den Anwesenden und fügte fast als Entschuldigung hinzu: Sein Büro liege ja direkt neben dem Bäckervoitl-Areal.
„Der Bebauungsplan ist seit 30 Jahren gültig. Schon immer ist auf diesem Grundstück eine Bebauung mit fünf Gebäuden vorgesehen“, begann Hagleitner seine einstündige Rede, die auf Bitte des Bürgermeisters nicht mit Zwischenfragen unterbrochen werden durfte.
Es war immer ein Dorfgebiet. Ein Mischgebiet. Nie eine Grünzone oder grüne Wiese.
Seine Zielvorgabe bei der Planung: Wie bringt man Leben in die Ortschaft? Es galt, so Hagleitner, 870 Quadratmeter für eine lebendige Geschäfts- und Wohnwelt optimal zu nutzen. Eine Welt, in der Jung und Alt zusammen leben sollen. Aufgrund der schwierigen Topografie, bei einem Höhenunterschied von vier Metern, habe sich sein Büro schließlich für eine Art „Hochplateau“ entschieden, so Hagleitner.
29 voll barrierefreie Wohnungen samt Ladengeschäften stehen in in seinem Dorfplatz-Entwurf auf einem Sockel, der von einer Tiefgarage untertunnelt und von allen Seiten begehbar ist. Zwei Stellplätze pro Wohnung sind vorgesehen. 70 davon sollen in der Tiefgarage verwirklicht werden. Der Rest oberirdisch.
Um das alles finanzieren zu können, brauche man eine „anständige Nutzung“, so Hagleitner weiter. Hier seien die Bürger aufgefordert, bis Dezember Vorschläge zu bringen. Als Beispiele nannte er Restaurants, Feinkost-Läden, Cafés, Praxen und Büros.
Hartl: “Oben sind Wohnungen, unten können wir uns verwirklichen.”
14 Millionen Euro koste das Projekt, sagt der Architekt, wobei allein 80 Prozent der Tiefgarage über den Wohnungsbau gefördert werde – aufgrund der erforderlichen Anzahl an Stellplätzen. „Ein totaler Selbstläufer“, so Hagleitner. Bei einer Fördersumme von etwa 3,8 Millionen Euro (30 Prozent) blieben für die Gemeinde rund zehn Millionen übrig, die finanziert werden müssten.
Wobei die Gemeinde für etwa 7,6 Millionen Euro ein zinsverbilligtes Darlehen bekäme, das über 30 Jahre laufe. Und das zu einem Zinssatz von 0,99 Prozent. Für den Rest sei eine Kreditaufnahme erforderlich. Wie Waakirchens Kämmerer Anton Demmelmeier dazu ebenfalls gestern anmerkte, stehen dem – laut einer Berechnung der Regierung von Oberbayern – jährliche Einnahmen in Höhe von 391.000 Euro gegenüber: Bei 8,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche und 14 Euro pro Quadratmeter Gewerbefläche.
Hartl: Wenn wir’s nicht finanzieren können, brauchen wir’s nicht zu machen.
Von einer dichten Bebauung könne allerdings keine Rede sein, versuchte Hagleitner noch, den Bürgern den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Die Dichte entspricht der üblichen Bebauung.“ Dann war Michael Futschik an der Reihe. Bei einem so wegweisenden Projekt sei die Beteiligung der Bürger wichtig, betonte er gestern.
Deshalb wolle man den Gemeinderat mit „dieser weitreichenden Entscheidung nicht alleine lassen.“ Als „nicht zielführend“ bezeichnete er die Geheimniskrämerei in der Gemeinde, die seiner Ansicht nach „erst plant, bevor sie präsentiert.“ In Zusammenarbeit mit dem Fachbüro Identität & Image hatte der gebürtige Tegernseer deshalb im Mai dieses Jahres Alternativ-Vorschläge erarbeitet (wir berichteten). Diese ließ er gestern durch die Ideengeber vorstellen.
Für Erheiterung sorgte der Waakirchner Bildhauer Otto Wesendonck, der sich gut vorstellen konnte, „die Einheimischen am Dorfplatz in Bronze zu sehen.“ Futschik fasste abschließend zusammen: „Eine solche von der Gemeinde geplante Bebauung ist viel zu groß und viel zu mächtig. Ich glaube nicht, dass wir sie brauchen.“ Hartl widersprach: „Es geht nicht ums Geld. Es geht um Wohnungen.“ Alles, was die Bürgerwerkstatt soeben vorgetragen habe, könne man in das Projekt integrieren.
Unverständnis äußerte Hartl vor allem zum Vorwurf, die Gemeinde habe alles im stillen Kämmerlein geplant, ohne den Bürgerwillen zu berücksichtigen. Alle Wünsche – von der verkehrsberuhigten Zone über die Erweiterung des Feuerwehrhauses bis hin zum Ausbau der Radwege – habe man abgearbeitet. Bei der Dorfmitte gehe es in erster Linie darum, die Bebauung von Außenflächen zu vermeiden.
Balthasar Brandhofer wies auf die „massive“ Bebauung hin. „Es geht doch auch um Lebensqualität, nicht nur ums Geld. Für unser schönes Dorffest brauchen wir beispielsweise auch ein Stückerl vom Grundstück.“ Er schlug vor, nichts übers Knie zu brechen und die Frist der Förderung auslaufen zu lassen. (Klatschen).
„Lasst Euch nicht vom Zuschuss treiben“, bat Hugo Eder die Gemeinde. Auch er wolle nicht, dass der Dorfplatz zugebaut werde, obwohl er verstehe, dass Wohnraum gebraucht werde. Sein Vorschlag: Die Bürgerwerkstatt mit einzubeziehen und erst einmal miteinander zu reden. Auch Hans Kinshofer richtete seine Worte an die Gemeinde:
Für mich klingt’s, als ist es entschieden. Ihr macht einen Riesenfehler!
Nur für Fördergelder den schönsten Platz im Ort kaputt zu machen, sei für ihn unverständlich (Klatschen und Jubel). Michael Holzner versuchte, die Verantwortlichen anders zu überzeugen: „Die Bürger wollen etwas Zurückhaltendes. Wie wäre es, anstatt 250.000 Euro für die Pläne von Hans Hagleitner zu investieren, lieber etwas mit weniger Geld zu machen?“ Eine gute Skizze bekomme man auch für 5.000 Euro. Er hätte gerne drei Varianten, damit sich die Bürger entscheiden können.
Bei Hagleitner kochen Emotionen hoch
Kurzes sichtbares Rätselraten bei Hartl, wie denn diese Summe jetzt ins Spiel kommt. Hagleitner dagegen fand den Einwand von Holzner „unmöglich“ und erklärte: „Der Entwurf musste bei einem Schwellenwert von 210.000 Euro netto europaweit ausgeschrieben werden.“ Futschik hatte beantragt, die derzeitige Planung zu stoppen, um in einen erneuten Dialog mit der Gemeinde zu treten. Hierbei solle die Firma Identität & Image als Berater auftreten. Jetzt kochten bei Hans Hagleitner die Emotionen vollends hoch.
Wir fangen doch nicht bei Null an. Wir brauchen Wohnungen. Und wir haben weder alle Zeit der Welt noch genügend freie Flächen in den Außenbereichen. So geht man nicht mit Grund und Boden um!
Der Sockel sei deshalb so massiv, damit „endlich mal die Autos wegkommen, die im Weg rumstehen. Ohne Förderung werde das nicht gehen. Zum Dialog gehöre eine gewisse Augenhöhe. Die Firma Identität & Image sei eine Marketing-Firma, kein Planungsbüro. Der Bürgermeister entscheidet, den Antrag von Futschik in der nächsten Gemeinderatssitzung zu behandeln.
Bürger stimmen spontan in der Turnhalle ab
„Das ist keine Bürgerbeteiligung, das ist ein Witz“, sprang plötzlich Gerd Hüfken auf. „Wir dürfen nicht entscheiden, was mit unserer Dorfmitte passiert, aber mitbestimmen, wo wir Skulpturen hinstellen.“ Es werde an Spielplatz-Geräten gespart, aber hier schmeiße man die Kohle zum Fenster raus. Genauso spontan, wie er aufgesprungen war, machte er eine Probeabstimmung in der Turnhalle: Wer für die Bebauung sei, solle die Hand heben.
Ein paar Hände gingen nach oben. Bei der Gegenprobe zeigten fast alle Finger in die Luft. Hartl merkte spaßeshalber an: „Ist doch fifty-fifty.“ Gemeinderatsmitglied Herrman Mair (SPD) fand’s nicht ganz so lustig. „Ich will ein breiteres Meinungsbild. Hier sitzen knapp 300 Leute. Waakirchen hat aber 4.000 Einwohner, die abstimmen müssten.“ Der Gemeinderat habe nur seine Arbeit gemacht, ärgerte er sich. Jetzt müsse man sowieso erst die Wirtschaftlichkeitsberechnung abwarten.
Einer der Anwesenden gab noch die jährliche Kostensteigerung in der Baubranche zu bedenken. Statt 14 Millionen koste das Projekt vielleicht irgendwann 17 oder 20 Millionen Euro. „Überlegt Euch das gut. Das wird eine heikle Sache.“
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