Wie mit dem Verlust eines geliebten Menschen umgehen
Der Tod ist nicht das Ende

Eben ist alles noch fein. Dann stehen drei Menschen vor der Tür und sagen, dein Mann ist tot. Ein Karfreitag-Interview mit Stephanie Bartsch über Schmerz, Trauer und wieder Aufstehen.

Witwe auf Reisen - Stephanie Bartsch unterwegs

Ostern – das sind religiöse Tage des Zweifels, der Trauer und der Freude über eine Wiederauferstehung. All das passiert uns, wenn wir geliebte Menschen verlieren. Ob durch Krankheit oder Unfall – plötzlich ist da nichts mehr als ein großer Abgrund. Was hilft? Ich habe eine Freundin gefragt, der vor zwei Jahren genau das passiert ist. Nach Wochen der Trauer hat sie sich aufgerichtet, sich aufgemacht. Sie reiste und schrie und heilte. Heraus kam erst ein Blog und zum Schluss ein Buch:

2020, im Dezember – Du bist glücklich verheiratet. Dein Mann ist auf Geschäftsreise. Was ist dann passiert?

Am 9. Dezember 2020 kam die Polizei, um mir mitzuteilen, dass mein Mann auf der A7 ums Leben gekommen sei.

Anzeige

Es ist eine blöd klingende Frage: Aber was ist in diesem Moment mit Dir passiert?

Ich stand wohl unter Schock, hab’ auf der Bank hin und her geschaukelt. Intuitiv, um mich zu beruhigen. Dann aber habe ich komplett anders reagiert, als ich das von mir erwartet hätte. Meine Familie kam zu mir, und wir haben sogar am selben Abend noch lachen können. Man wird hin- und hergerissen von den Wellen der Trauer. Trauer ist irgendwie ein Zustand, der bestimmt, was mit einem geschieht. Du machst es nicht. Es macht.

Trauer ist irgendwie ein Zustand, der bestimmt, was mit einem geschieht. Du machst es nicht. Es macht. Stephanie Bartsch

Was war die nächste Phase der Trauer? Jene, die Dich zum Campen gebracht hat?

Ich hasse das Modell der Phasen. Das hat mir viele Schwierigkeiten bereitet, dass sich das Phasenmodell der Kübler-Ross so hartnäckig hält. Ich habe wochenlang in meinem Wohnzimmer in meinem Witwensessel gesessen. Das gab mir Schutz. Meine Haut war weg. Die Hülle des Wohnzimmers gab mir Sicherheit. Irgendwann wurde mir klar: Das ist hier jetzt ein Zustand, der morgen nicht weg ist. Ich brauche eine Auszeit. Und davon träumt man ja immer mal wieder im Leben. Sabbatical. Das wollte ich mir nehmen. Wenn ich eh nicht zu gebrauchen war. Dann doch besser am Meer nicht zu gebrauchen sein, dachte ich. Dann kaufte ich mit der Hilfe meiner Eltern ein Wohnmobil und wollte einfach nur weg.

Dann hast Du angefangen zu schreiben. Warum? Und in welcher Form?

Wir hatten ein Jahr Corona-Pandemie. Touristisches Reisen war verboten. Ich kam nicht los. Ein Freund, der Autor und Journalist ist, riet mir, Bloggerin zu werden, mir einen Presseausweis zu holen und somit beruflich legitimiert zu reisen. Da ich in meiner Funktion als Fortbildungsreferentin für Lehrkräfte schon einiges veröffentlicht hatte, kam ich leicht an einen Presseausweis. Ich buchte eine Blogwebsite, gestaltete sie, und los ging es. Der Freund zwang mich, täglich zu schreiben, und um als echte Bloggerin durchzugehen, musste die Website Follower haben und gefüllt sein. Zunächst war der Blog in Richtung “Frau alleine im Wohnmobil on Tour”, in der Natur, ausgelegt. Ich wurde zunehmend sicherer und mutiger, meine Reflexionen im Kopf zu äußern. Irgendwann merkte ich, dieser Blog ist genau das, was du selbst hättest brauchen können, als du plötzlich in ein anderes Leben gestellt wurdest. In das Leben einer Witwe.

Und Du bekamst Zuspruch. Leute lasen Deinen Blog.

Ja, jeder kennt ja jemanden, der gerade trauert. Und so wurde der Blog weiterempfohlen, und einige gaben mir die Rückmeldung, dass es so gut täte, was ich schreibe. Auch Leute, die in Trennung lebten oder sogar auch einfach Leute, die mit ihrem stressigen Leben haderten. Das hat mich beflügelt. Aber etwas anderes war noch interessant. Mir passierten als Wohnwagen-Greenhorn viele Missgeschicke. Am Anfang habe ich dann immer selbstabwertende Dialoge mit mir erlebt, und wollte eigentlich wieder ins Wohnzimmer. Durch das Blogschreiben hatte ich regelrecht Freude, wenn mir was Blödes passierte, weil ich wieder was Lustiges schreiben konnte. Ein richtiger Bedeutungswechsel!

So: Du reist, Du schreibst. Und dann kommt jemand, und will, dass daraus ein Buch wird. Wie fühlt sich das an?

Das war schon im Mai 2021, als meine Lektorin auf meinen Blog aufmerksam wurde und mich kontaktierte. Ich hatte in Schulaufsätzen immer schlechtere Noten. Außerdem lag ein fertig geschriebenes Sachbuch in der Schublade, das der Verlag so nicht wollte. Meine Diplomarbeit und eine Abschlussarbeit hatten jeweils Bandscheibenvorfälle und Nervenzusammenbrüche verursacht. Mein Glaubenssatz war also eher: Du kannst das nicht. So lehnte ich ab. Ich wollte meine Unbeschwertheit beim Schreiben nicht verlieren. Es war mir schon Therapeutikum geworden. So sollte das bleiben. Dafür hatte die Lektorin Verständnis. Sie schlug vor, ein Jahr später noch einmal zu überlegen. So war das dann auch.

Wenn Du die Anteile an der Trauerbewältigung verteilen müsstest: Wo liegt das Reisen, wo das Schreiben?

Ich kann das gar nicht beurteilen: Das Schreiben hat sich als wirklich hilfreich erwiesen. Ich kann nicht ermessen, was das Meer, die Kinder, die mit ihren Familien in Spanien am Strand wohnten, die Menschen, die ich kennenlernte, die Entfernung von der Heimat für meine Heilung oder die Akzeptanz, dass Ralf nicht mehr da ist, beigetragen haben. Es war auf jeden Fall eine wirklich gute Zeit. Seltsam, oder?

Und dann findest Du acht Monate später Deine neue Liebe. Wie sehr drängte Trauer und Erwartungen anderer Menschen in Dein jetziges Leben?

Das ist für mein heutiges Leben eine wirklich bedeutsame Frage. Wenn man so schnell eine neue Partnerschaft findet, ist das für einen selbst erstmal superschön. Für meinen Partner hat das viel Verunsicherung bedeutet, denn ich habe ja regelmäßig geweint und an Ralf gedacht. Das war und ist nicht leicht. Auch das Buch ist ja jetzt wieder eine gewissermaßen Rückwärtsgewandtheit. Nun bin ich öffentlich die Witwe. Ich bin aber längst an einem anderen Punkt. Ich bin glücklich mit meinem jetzigen Partner. Er fragt sich dennoch beispielsweise bei einem Streit, ob ich mich dann nach Ralf zurücksehne. Ich lebe im Hier und Jetzt, ich käme nicht auf die Idee, Ralf mit ihm zu vergleichen.

Wie geht es weiter, Stephanie?

Blöde Frage (lacht). Obwohl ich in Norwegen auf meiner Reise eine Wahrsagerkugel geschenkt bekommen habe, funktioniert die nicht so richtig. Ich kann nur sagen, dass sich jetzt schon abzeichnet, dass der Rummel um das Buch und Lesereisen vermutlich viel Zeit und Aufmerksamkeit im nächsten Jahr binden, und das freut mich sehr. Das ist genau mein Ding.

Außerdem bin ich immer für Überraschungen gut. Wir werden sehen!

Infobox:

Stephanie Bartsch, geboren 1970, hat vor ihrem Sozialpädagogikstudium als Tischlerin, Jugendherbergsmutter und Literaturreferentin gearbeitet. Nach einer Familienpause machte sie sich 2006 im Anschluss an ihr Studium in Enschede (NL) als Coach für pädagogisches Personal selbstständig. “Frau Bartsch reist sich zusammen: Wie ich auszog, das Trauern zu lernen, und unterwegs das Glück fand” erschienen im Piper Verlag.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner