In den letzten Monaten hat die Bundeswehr, salopp gesagt, uns Zivilisten immer mal wieder den A… gerettet. Mal unterstützte sie uns im Landkreis beim Impfen, mal evakuierte sie ein katastrophal geführtes Seniorenheim in Schliersee. Aber die Y-Truppe hat noch mehr zu bieten: Mit Seuchen kennen die sich sehr gut aus, haben eigens eine Elitetruppe dafür. Oberstveterinär Rossmann erklärt uns, was die kann. Eine Hilfe auch für unseren Landkreis?
Frau Oberstveterinär, Sie sind im Bereich Seuchenbekämpfung der Bundeswehr tätig, haben weltweit von Liberia bis Afghanistan gegen die Ausbreitung von Erkrankungen gekämpft. Jetzt leben Sie in Egmating, quasi auf der anderen Seite der Autobahn und unterstützen mit Ihrem Team Medical Intelligence betroffene Landkreise. Wie sieht konkret Ihre Arbeit aus?
Oberstveterinär Katalyn Rossmann: Unsere tägliche Arbeit besteht in Vorbereitung, Ausbildung, Begleitung von Auslandseinsätzen und Präventionsmaßnahmen im Gesundheitsschutz für unsere Soldaten – quasi eine weltweite Reise-, Tropen- sowie Impfmedizin. Wichtig ist dabei auch die Risikokommunikation. Es gibt z.B. eine 24/7-Experten-Hotline, um bei möglichen Fragen für die weltweit eingesetzten Soldaten und deren versorgende Sanitätskräfte erreichbar zu sein.
Die Bundeswehr ist (impfseitig) weiter als der FC Bayern: Soldaten müssen sich nun gegen Covid impfen lassen?
Rossmann: Ja. Seit Mittwoch gilt für militärische Angehörige der Bundeswehr eine generelle Duldungspflicht der Impfstoffe gegen das Corona-Virus – die fachliche Ausarbeitung der Regelung dafür wird zum Beispiel bei uns erstellt.
Wie helfen Ihre Erkenntnisse aus der internationalen Arbeit?
Rossmann: Aufgrund unserer Erfahrung unter anderem im Ebola-Einsatz in Westafrika sowie mit verschiedenen Ausbruchsszenarien haben wir ein Modell mit notwendigen Modulen entwickelt. Das eignet sich auch zur Evaluierung des Pandemie-Managements. Streitkräfte sind zudem geübt in der (digitalen) Lageführung. Sie müssen stets in komplexen oder auch chaotischen Lagen Überblick schaffen. Vor allem: sie müssen schnell und nachhaltig Lösungen produzieren. Daher gibt es bei uns eine Art Lagezentrum für epidemiologische Sonderlagen – das ist nun seit fast zwei Jahren im Einsatz.
Wenn ein Landrat Sie nun ansprechen, um Unterstützung bitten würde: Was könnten Sie kurz- und mittelfristig anbieten?
Rossmann: Die oben genannten Erkenntnisse haben wir in verschiedenen Landrats- und Gesundheitsämtern vor allem in Bayern und Thüringen bereits mit den zivilen Kollegen ausgetauscht. Zunächst haben wir eine Evaluierung des bestehenden Krisenmanagements angeboten und dann Ergebnisse, wie z.B. Dashboards zu allen notwendigen Themenfeldern des Corona-Krisenmanagements für einen besseren Lageüberblick, aus anderen Landratsämtern vorgestellt, sodass man sich aus den Modulen das geeignete auswählen kann.
Zudem beraten wir auf dem Themengebiet der Risiko- und Chancenkommunikation. Das alles kann kurzfristig geschehen.
Sie gehen sogar dahin, wo es riecht…
Rossmann: Wir haben in Sachen der Innovation in der Krise neue Verfahren, wie das Abwassermonitoring auf das Corona-Virus, zum Beispiel mit dem Landkreis Berchtesgadener Land und Ebersberg und der Expertise der TU München etablieren dürfen. Dieses Frühwarnsystem lässt uns durchaus eine Woche in die Zukunft schauen. Das Etablieren eines solchen Frühwarnsystems, das aber wie auch die Dashboards nicht auf Corona beschränkt ist, sondern universell zum Krisenmanagement genutzt werden kann, braucht etwas mehr Zeit.
Ihnen liegen zwei Begriffe sehr am Herzen. Zum einen ist es Nachhaltigkeit, zum anderen Verantwortung der Community, der Gemeinde. Was heißt das konkret?
Rossmann: In erster Linie haben wir es doch mit Menschen zu tun – mit deren Ängsten, Sorgen, Bedürfnissen, mitunter deren Nichtigkeiten. Mit unserem gesamten emotionalen wie rationalen Spektrum. Wir haben – insbesondere in dem traditionellen „Vereinsland Deutschland“ – Menschen mit sozialer Energie, die sie im Sportverein, bei den Plattlern, im Kirchenchor, im Kegelclub oder bei den Sportschützen einbringen. Diese Aktivitäten wurden in den letzten beiden Jahren oft eingeschränkt oder gar ganz ausgesetzt.
Eine vertane Chance?
Rossmann: Ja, denn damit wurde und wird viel soziale Energie daheim belassen und kann sich nicht auswirken, mündet vielleicht gar in Frust und Ärger. Es ist eine Public Health-Binse, dass ohne die Beteiligung von Gemeinden/Gesellschaften („community“) die Akzeptanz und Umsetzung von (einschneidenden) Maßnahmen nicht funktioniert.
Daher müssen aus Betroffenen unbedingt Beteiligte werden. Dies kann durch die Einbindung von Zivilgesellschaft bei Impfaktionen erfolgen. Derzeit sind ja nicht nur die Gesundheitsämter in der Kontaktnachverfolgung, Krankenhäuser in der COVID-19- Patientenbehandlung überlastet, sondern auch die Hausärzte.
Konkret heißt das?
Rossmann: Letztere können nicht mehr niedrigschwellig Patienten der häuslichen Pflege mal zur Erholung der Familie ins Krankenhaus absteuern, sondern müssen diese zeitaufwändige Tätigkeit fernab der Praxis selbst sicherstellen – nebst ihrer Belastung durch die saisonale-Influenzaimpfung ihrer Patienten und zahlreichen eigenen Krankheitsausfällen.
Was schlagen sie vor, um diese Belastungen auszugleichen?
Rossmann: Durch lokale Impfaktionen, die aus einem Netzwerk der niedergelassenen Ärzte, Impfteams aus Impfzentren, fachlich wie organisatorisch versierten Ehrenamtlichen der Einwohner und der Zivilgesellschaft bestehen, können Menschen ihr soziales Engagement ganz besonders gut einbringen. Aus Menschen, denen ein Vorwurf gemacht wird, dass sie sich treffen (die damit kommunikativ als ein Teil des Problems enden und zur Passivität daheim verpflichtet werden), werden nun Menschen, die durch ihr Engagement zum Teil der Lösung des Problems werden. Menschen, die sich mit solchen Ideen und Aufgaben zusammenfinden, entwickeln wieder Verbesserungen in der Bewältigung dieser Krise.
Wir Menschen sind zutiefst soziale Wesen, und die Anerkennung durch das Engagement bei einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe sollte ermöglicht werden. Aus dem Appell der Mediziner „Bleibt zu Hause. Wir kümmern uns um alles.“ des letzten Frühjahrs sollte ein „Kommt mit!“ unter sicheren Bedingungen werden.
Das wäre aber schon ein Wechsel in den Aufforderungen.
Rossmann: Kaum etwas ist schlimmer als die eigene Wirkungslosigkeit und Ohnmacht. Das häufige und kurzfristige Reagieren in den letzten beiden Jahren, die empfundene Strategielosigkeit führt zu einem Vertrauensverlust. Menschen brauchen Nachhaltigkeit – oder zumindest einen gefühlten Überblick durch eine transparente, sachlich richtige und dabei empathisch vermittelte Kommunikation.
Sie sind als CSU-Gemeinderat in Egmating engagiert. Beschreiben Sie doch bitte, wie Ihre Ideen vor Ort in der Pandemiebekämpfung einfließen?
Rossmann: Der Krisenstab im Landkreis Ebersberg führt seine Lage inzwischen fast voll digitalisiert über Dashboards, hat ein Frühwarnsystem über Abwassermonitoring bei drei Städten und Gemeinden etabliert und eine sehr agile Kommunikation. Dieser Krisenstab hat die ganze Zeit Diagnostik- und Impfzentrum sowie dezentrale oder mobile Elemente der Zentren aufrechterhalten. Hier dürfen wir seit über einem Jahr kontinuierlich beratend tätig sein und letztlich auch in der Gemeinde an verschiedenen Stellen anbringen.
Am letzten Wochenende wurde zum Beispiel der Impfbus vom Landkreis bei uns im Ort von zahlreichen Impfwilligen frequentiert, die mitunter lang in der Kälte warten mussten. Durch agiles Engagement und flexiblen Einsatz der Gemeinde, von spontan hinzugezogenen Ehrenamtlichen und auch der Freiwilligen Feuerwehr konnte aus dem Gemeinde- ein warmer Wartesaal und zahlreiche Menschen geimpft werden.
Wenn Sie die fehlende Impfbereitschaft in Südostbayern sehen, haben Sie als international agierende Seuchenexpertin welche Erklärung dafür?
Rossmann: Also die These mit Jodmangel und unzureichendem genetischen Zuzug ist für die Teutonin (Anmerkung des Autors: Oberst Rossmann stammt aus Niedersachsen) schon kurzweilig, aber natürlich Unsinn. Ohne Ironie: Die fehlende Impfbereitschaft ist nur konsequent am Ende der Dekadenz einer individualistischen Gesellschaft.
Uii, Sie holen die große Keule heraus.
Rossmann: Vielleicht etwas genauer, an meinem eigenen Beispiel erklärt: Man hat mich hier Egmating gebeten, Schalkfrau zu werden. Eine traditionelle Ehre, die für mich wichtig war und ist. Man spricht unserem Südkreis eines eher pragmatischen Landkreises selten vom „mia san mia“ (ok, je nachdem, welchen Fußballverein der nahen Metropole man bevorzugt). Dennoch: Dieses oberbayrische Lebensmotto würde ich gern in eine Logik-Kette einreihen: Heimat steht für eine Beziehung zwischen Mensch und Raum mit ähnlicher Sozialisierung und Weltauffassung. Dies resultiert subjektiv in Sicherheit, Verlässlichkeit und Gemeinschaft. Verhaltensweisen in diesen Gruppen nennt man Tradition, die von identitätsstiftenden Ritualen begleitet werden.
Dieser Zusammenhalt mit gleicher Anschauung nennt sich Solidarität und kann in der aktuellen Lage nur in höchster Impfbereitschaft münden. Ist nun dieser wohlhabende Südostoberbayer gar nicht so heimat- und traditionsverbunden? Denn wenn’s so weiter geht, dann greift das „next level Evolution“ und genau diese Individualisten sterben mangels angewandter Schwarmintelligenz aus. Schade.
Gibt es Parallelen gesellschaftlicher Art zwischen Krankheitsregionen hier und in Afrika?
Rossmann: In Nigeria zum Beispiel gilt Corona als ein Problem der Reichen und Privilegierten – sowohl aufgrund der enormen Betroffenheit in den sogenannten Industriestaaten als auch der finanziellen Oberschicht in Afrika. Die Probleme durch HIV/AIDS, Malaria, Tuberkulose, Typhus oder auch Ebola erscheinen naturgemäß dem Großteil der Bevölkerung näher und dringlicher. Es ist ja völlig unklar, wie viele Covid-19-Fälle letztlich in Afrika aktuell grassieren, da wahrscheinlich die Meldungen darüber sehr lückenhaft sind.
Suffiziente Meldesysteme funktionieren ja selbst in unserem Luxus-Gesundheitssystem hier noch nicht einmal. Zudem ist die afrikanische Bevölkerung durchschnittlich jünger und weniger von den sogenannten Lifestyle-Erkrankungen belastet. Insofern wirkt die Pandemie vielleicht in ihren derzeitigen Auswirkungen auf Populationsebene etwas unterschiedlich. Aber die soziokulturellen und psychosozialen Besonderheiten sind zweifelsfrei vergleichbar – weil sie auch wieder zutiefst menschlich sind. Ängste, Sorgen und Nöte fühlen sich universell und global gleich schlecht an – sind wahrscheinlich im Schweregrad ihrer Ursachen eher weniger vergleichbar.
Wir lassen dieses Menschliche in unserem technokratischen Ansatz leider seit fast zwei Jahren außen vor: Krisen- mit Risiko- und Chancenkommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg einer Pandemiebewältigung. Verhaltensänderungen wie das „Sicherer Machen“ oder Vermeiden von Kontakten zur Reduzierung der Erregertransmission oder die Motivation zum Impfen gehören in eine professionelle wie empathische und soziokulturell verhaftete Kommunikation.
Das hat einerseits wissenschaftlich mit Zahlen, Daten, Fakten, Informationen und Wissen zu tun – dazu haben wir methodisch in Public Health die Epidemiologie und Statistik – und andererseits einer suffizienten (i.S. verständlichen, glaubwürdigen wie akzeptablen) Vermittlung dessen mit Methoden der Sozialwissenschaften zu tun. Oder einfach, weil wir der Menschlichkeit verpflichtet sind.
Sehr geehrte Frau Oberst Rossmann, wir danken Ihnen für das ausführliche Gespräch.
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