Die letzten Tage des Tegernseer Schreibwarenladens

Mit knapp 30 Jahren übernahm die heute 49-jährige Andrea Köstler den Schreibwarenladen in der Bahnhofstraße in Tegernsee. Er ist quasi ein Relikt aus jenen Zeiten, als noch nicht bei Amazon bestellt wurde. Jetzt macht der kleine Laden zu. Für immer.

Andrea Köstler gibt ihren Schreibwarenladen auf. Ende Oktober öffnet sie ihr Geschäft zum letzten Mal. / Archivbil: N. Kleim

Seit zwanzig Jahren steht Andrea Köstler in ihrem Schreibwarenladen in der Bahnhofstraße in Tegernsee. Während sich die Welt bisher vor ihrer Ladentür weiterdrehte, blieb die Zeit dahinter irgendwie stehen. Sätze wie „Ich muss nur mal schnell was einkaufen“ kennt man in Köstlers Laden nicht.

Statt übertriebener Hektik und Eile gibt es hier – neben den üblichen Schreibwaren – ein Schwätzchen da, ein Servus dort, oder ein Lächeln. Andrea Köstler liebt ihre Kunden, ihre Kunden lieben sie. Doch jetzt hat die Welt auch an ihre Ladentür geklopft.

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Nicht nur, dass der Druck der harten Konkurrenz von Online-Shops und Discountern schlichtweg zu groß geworden ist, jetzt hat ihr die Deutsche Bank zum 31. Oktober ihr zweites Standbein gekündigt: die Postfiliale, die Köstler vor etwa 15 Jahren in den Laden integriert hatte.

Das AUS nach 20 Jahren

Auslöser für die Kündigung war die Fusion der Postbank mit der Deutschen Bank. Im Zuge dessen wurde heuer der Rotstift angesetzt: Insgesamt 60 Postbank-Filialen müssen schließen, auch die Filiale von Andrea Köstler. Doch allein vom Verkauf der klassischen Schreibwaren-Produkte kann die gebürtige Tegernseerin nicht leben.

Aus diesem Grund wird Andrea Köstler am 31. Oktober zum letzten Mal in ihrem Laden stehen, bevor sie ihn dann abends um 18 Uhr für immer schließt. Was danach kommt? Sie weiß es noch nicht. Die Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen. Der kleine Laden war ihr Leben. Schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt, „so etwas“ zu besitzen.

Ein Laden im Wandel der Zeit

In der Vergangenheit hatte Andrea Köstler immer wieder versucht, sich dem veränderten Kaufverhalten ihrer Kunden anzupassen. Neben der Postfiliale setzte sie vor allem auf persönlichen Service. Sie richtete sogar einen Onlineshop für Etiketten, Prospekthüllen, Druckerpapier und andere Schreibwarenartikel auf ihrer Homepage ein. Die Leute kauften trotzdem woanders.

Seit fünf Jahren hat sie beispielsweise keinen einzigen Schulranzen mehr verkauft. Früher, da organisierte sie noch Schulranzen-Partys vorm Schulanfang. Da kamen die Kunden zahlreich und bestellten. Heute bestellen sie da, wo es am günstigsten und bequemsten ist: im Netz.

Wenn der Schlüssel ein letztes Mal umgedreht wird

Und was und wo überall bestellt wird, das sieht die 49-Jährige jeden Tag an den vielen Päckchen, die über ihren Posttresen wandern. Als Stadträtin setzte sie sich für die Geschäfte vor Ort ein. Insbesondere die kleinen, schönen wollte sie immer vor dem Aussterben bewahren. Nun spürt sie letztendlich selbst die Konsequenz des Zeitgeistes.

In Zeiten von Email, WhatsApp und Amazon bleibt Andrea Köstler also nichts anderes übrig, als den Ladenschlüssel ein letztes Mal nach links zu drehen. Denn es hat geklopft. Aber es ist kein Kunde, der um Einlass bittet. Es ist das Klopfen einer Welt, die Andrea Köstler jahrelang zu bekämpfen versuchte.

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