Die „Tal-Apokalypse“ bleibt aus

Das Tal geht unter, der Baurausch macht es zu einer Kloake. Der Untergang ist nahe. Immer wieder gelingt es Menschen, wenn es um das Tal geht, scheinbar allgemeingültige Wahrheiten aufzustellen. Die Bausünden, so ein Leserbriefschreiber vor zwei Wochen, seien unglaublich. Oberbayern versinke im Landhausterror und postmodernen Baustil. Hauptsache düster.

Wochenlang "schmückte" diese apokalyptische Statue den Bergmann-Platz in Tegernsee. Nun ist sie verschwunden. Also doch kein baulicher Untergang?
Wochenlang „schmückte“ diese apokalyptische Statue den Steinmetzplatz in Tegernsee. Nun ist sie verschwunden. Also doch kein baulicher Untergang?

Ein Kommentar von Martin Calsow:

Es gibt in unserem Tal einige Punkte, die diskussionswürdig sind. Es läuft nicht alles rund. Keine Frage: Als Autor komme ich dank der Lesungen immer wieder in andere Teile der Republik. Und siehe da: Es geht schlimmer. Viel schlimmer! Ich will keine Beispiele nennen. Das wäre wohlfeil. Aber es hat seine Gründe, warum viele Menschen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen am Tegernsee Urlaub machen.

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Das hat weniger mit den dort schon lange nicht mehr rauchenden Schornsteinen zu tun (in Niedersachsen vielleicht eher mit dem Geruch der Mast- und Schlachtfabriken). Das hat aber vor allem mit unserer homogenen, zuweilen restriktiven Vorstellung einer oberbayerischen Heimat zu tun.

Gierige Investoren, dickköpfige Gemeinderäte und Bürgermeister

Ein Gemeinderat widersetzt sich der unrechtmäßigen Erhöhung eines Hauses um 35 Zentimeter. Verkleidungen müssen zurückgebaut werden, Dächer von Schuhschachteln eine Neigung erhalten. Das geht zuweilen bis zur Farbe des Gartenzauns. Mag sein, dass das Tal architektonisch nicht „state oft the art“ ist. Aber ehrlich: das ist mir völlig wurscht.

Ja, es gibt sie, die gierigen Investoren. Es gibt aber auch äußerst dickköpfige Gemeinderäte und Bürgermeister, die sich immer und immer wieder dagegenstemmen. In diesem Tal ringen verschiedene Menschen seit Jahren darum, die Heimat zu erhalten und trotzdem vorsichtig zu verändern. Ein Tal weiter, am Achensee, kann man bestaunen, wie es auch schlechterdings anders geht.

In anderen Regionen haben Bürger längst aufgegeben

Denn das Tal ist dank vieler Kräfte – sei es die Schutzgemeinschaft oder Bürgerinitiativen, Parteien oder Vereine, die in Entscheidungsprozesse eingreifen – weit entfernt von einem Trümmerhaufen. Es wird gerungen, abgewägt und zuweilen geklagt. Aber es gibt eine Haltung, ein Bewusstsein und eine aktive Teilhabe für den eigenen Lebensraum. Das ist in vielen anderen Regionen unseres Landes nicht mehr der Fall. Dort haben Bürger und Politiker schon längst aufgegeben – frei nach dem Motto: „Die da oben, wir da unten.“

So sehr die Mikropolitik der vielen Talgemeinden große Lösungen verhindert, so sehr scheint sie doch dafür zu sorgen, dass sich die Gemeinderäte deutlich mehr für ihre Heimat einsetzen als anderswo. Das nennt man Identität. Viele Talinsassen mögen sich über die Sturschädel wie Preysing, Höß oder Bierschneider aufregen. Aber sie garantieren mit ihrer Hütehund-Attitüde einen Zustand, der mit einem einzigartigen, nie übersetzbaren Wort zu umschreiben ist: Heimat.

Zudem gilt: Je älter Menschen werden, umso mehr glorifizieren sie die Vergangenheit. Es gilt der Grundsatz: „Früher war alles besser“. In den meisten Fällen ist das allerdings nur ein Streich der eigenen Erinnerung.

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