Offener Brief einer Ukrainerin
„Dyakuyu tobi: Danke, dass ihr eure Heimat mit uns teilt“

Über 1.200 ukrainische Kriegsflüchtlinge haben im Landkreis Zuflucht gefunden, auch Nataliia. Sie möchte über die TS ihre Geschichte erzählen und Danke sagen – an das Tegernseer Tal und ganz Deutschland.

Ukrainischer Wanderausflug mit ehrenamtlichen Unterstützer – Zeit, einmal zur Ruhe zu kommen. / Quelle: Privat

Als am 24. Februar 2022 Russland seinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine startete, war das der Beginn einer Zeitenwende. Für die Menschen in den Kriegsgebieten änderte sich über Nacht alles. In der darauffolgenden Flüchtlingswelle mussten bereits 16 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Mehr als eine Million Frauen, Kinder, Familien und Senioren haben in Deutschland Schutz gefunden.

Über 1.200 Kriegsflüchtlinge kamen im Landkreis Miesbach unter. In der Gemeinde Bad Wiessee leben rund 160 Menschen, die vor dem Krieg in ihren Dörfern und Städten ins Tal flüchteten. Stellvertretend für die Wiesseer Flüchtlinge hat Nataliia Stasiuk eine Bitte an die Redaktion der TS gerichtet: “Veröffentlicht Ihr unseren Dank an die Menschen hier am See?” Gerade jetzt, kurz vor Weihnachten, haben wir von der Redaktion nur zu gerne unsere Unterstützung zugesagt.

Nataliias Brief an euch alle im Tegernseer Tal

Liebe Freunde, Unterstützer und liebe Menschen am Tegernsee,

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Ich bin Nataliia. Vor dem Krieg habe ich mit meinem Mann in einem Vorort von Kiew gelebt. Der Kriegsbeginn im Februar hat uns, trotz der Warnungen vieler Freunde aus dem Ausland, völlig unvorbereitet getroffen. Ich persönlich hätte niemals geglaubt, dass Russland diesen Überfall auf mein Land starten würde. Zusammen mit meinen Schwiegertöchtern und den Enkelkindern habe ich in Bad Wiessee Schutz gefunden vor dem Krieg in meiner Heimat. Mein Mann und meine Söhne sind noch in der Ukraine.

Das ist die kurze und doch so schmerzvolle Geschichte unserer letzten sieben Monate.

Und die Geschichte all derer, in dessen Namen ich mich heute bei euch allen bedanken möchte für die wunderbare Aufnahme in eurer Mitte. Die Idee, euch einen Brief zu schreiben, kam mir, als meine Familie am Samstag vor einer Woche bei der Tafel in Gmund überraschend ein Päckchen von einem sechsjährigen Jungen aus Sauerlach überreicht bekam.

Die ukrainischen Kinder in Bad Wiessee haben zu den Stiften gegriffen und sich ihre ganz eigenen Weihnachtsengel gemalt.

Uns wurde erklärt, dass die Kinder mit ihren Familien überall in der Region Weihnachtspakete unter dem Motto “Kinder für Kinder” packen, denen es nicht so gut geht wie ihnen. Neben den Spielzeugen, Anziehsachen und Süßigkeiten lag in dem Paket eine wunderbare Karte. Die Worte des Kindes und seiner Eltern rührte uns sehr: “Was würde die Liebe in unserer Situation tun?”

Ich glaube, “die Liebe” würde sich bei den wunderbaren Menschen bedanken, die sich in den letzten sieben Monaten um uns gekümmert haben. Uns in ihrem Land willkommen geheißen haben. Uns, als wir verängstigt und traumatisiert im März in Bad Wiessee ankamen, die Türen zu ihren Häusern und Wohnungen öffneten. In einem Land mit einer fast allen unbekannten Sprache und Kultur.

Die Gastgeber der ersten Wochen gehören inzwischen zu unseren Freunden im Tal. Fast so, als hätten sie uns adoptiert im März, als sie uns eine sichere Heimat angeboten haben.

Ein großer Dank gebührt auch der Gemeinde Bad Wiessee und Bürgermeister Robert Kühn, der mir, wann immer ich ihn im Ort treffe, ein freundliches Lächeln schenkt und fragt, ob es uns gut geht oder etwas fehle. Mein Dank gilt natürlich auch der “Bürgermeisterin der ukrainischen Community” in Bad Wiessee: Frau Lang. Sie ist unsere Chefin und lässt es uns in dem zur Verfügung gestellten Bürgerstüberl, in den Zimmern und Wohnungen an nichts fehlen: Toaster, Waschmaschinen, Kaffeekocher – Frau Lang organisiert alles, irgendwie.

Nicht zu vergessen unsere Deutsch-Lehrer: Thomas, Klaus, Uschi und Gudrun. Unermüdlich und ehrenamtlich vermitteln uns die vier die deutsche Sprache. Mit so viel Empathie und Freude ertragen sie unsere Lernfortschritte.

Nicht nur im Unterricht unterstützen sie uns, sondern bei allem, wo wir mit unseren Sprachkenntnissen noch gegen Mauern laufen. Danke – ihr seid großartig.

Ein eben solch herzliches Dankeschön geht auch an alle Lehrer und Betreuer im Tal, die sich um unsere Kinder kümmern und ihnen mit dem Schulbesuch Routine und Normalität in den gestörten Kinderalltag zurückbringen. Das ist so wichtig für die Kleinen, die oft noch gar nicht verstehen, was eigentlich passiert.

Aus der heutigen Deutschstunde mit Uschi. / Quelle: Privat

Ich lebe inzwischen mit meiner Familie in dem ehemaligen Abwinkler Hof. Zusammen sind wir dort rund 60 Flüchtlinge. Wir alle dort lieben unsere Nachbarn, weil sie so geduldig und so unglaublich freundlich sind. Mit uns feiern und uns unterstützen, wo immer es sich anbietet. Und weil sie uns so nehmen, wie wir sind. Denn ehrlich gesagt, sind wir Ukrainer manchmal etwas lauter als ihr Deutschen.

Beileibe nicht aggressiv oder streitlustig, nur wenn wir zusammenkommen, lachen, singen und diskutieren, kommen wir gerne auch mal in höhere Lautstärken. Unsere Nachbarn sind da sehr verständnisvoll. Dafür ein großes Dankeschön.

Besonders dankbar sind wir auch, dass ihr euer wunderbares Tal mit uns teilt. Es ist hier so schön und friedvoll. Die Berge, der See, die Wiesen leisten einen großen Beitrag, unsere Seelen etwas zu heilen. Es lindert das eigentlich immer vorhandene Heimweh und die Sorge um unser Land und die Menschen, die wir dort zurücklassen mussten.

Fast jeden Sonntag nehmen uns die ehrenamtlichen Betreuer Klaus, Bernd und die beiden Christinas mit in die Berge, auf den See oder zum Minigolfspielen. Beim Wandern schaffe ich es, wie auch die anderen, für einige Stunden den Kopf mit all der Angst abzuschalten. Also Danke an euch wunderbare Menschen, die ihr euch um uns kümmert seit vielen Monaten, fürs Teilen eurer Freizeit und eurer Heimat.

Wanderspaß in Kreuth. Mit Hund, Kindern und vielen Freunden lernen die Ukrainer und Ukrainerinnen unsere Heimat lieben. / Quelle: Privat

Und dann sind da noch die Menschen in Bad Wiessee, die wir gar nicht kennen, doch die immer ein freundliches Lächeln für uns haben. All diejenigen, die uns Kleidung, Lebensmittel und Spielzeug für die Kinder vorbeibringen – ohne unseren Dank dafür zu erwarten. Oder auch die Unternehmen, die uns Fahrräder geschenkt haben, damit wir zu Freunden auf der anderen Seite des Sees fahren können.

Ohne die Tafel in Gmund und die anderen karitativen Einrichtungen und deren Mitarbeiter im Tal wäre für uns das Leben hier um so vieles schwieriger. Daran anschließend natürlich auch unser aller Dank an die vielen Geschäfte, Vereine und Firmen, die an die Tafel spenden oder uns auf andere Weise unterstützen. Ebenso ein großes Dankeschön an die Hotels, Kliniken und Unternehmen, die Ukrainer angestellt und ihnen so ein selbstständiges Leben ermöglicht haben.

Bestimmt habe ich einige wichtige Menschen vergessen. Jedoch seid ihr alle in unseren Herzen. Das gilt für unsere Gruppe in Bad Wiessee als auch für die vielen Flüchtlinge im Tegernseer Tal und die freiwilligen Helfer in deren Gemeinden, den Kirchen, Schulen, Kindergärten, Unternehmen und Vereinen. Euch allen gilt unser Dank.

Weihnachtsgrüsse auf Ukrainisch – Nataliia, Olga und Juriy. / Quelle: privat

Nun bleibt mir nur noch, uns allen hier ein friedliches Weihnachtsfest zu wünschen. Wir beten für unsere Familien in der Ukraine. Möge ihr Weihnachten nicht nur geprägt sein von Angst. Wir beten für den Frieden in der Ukraine, auf den wir schon so lange warten. Denn auch wenn wir so gern bei euch sind, wünschen wir uns doch nichts lieber, als wieder nach Hause zu kommen in unser friedliches, wenn auch zerstörtes Heimatland.

Nataliia Stasiuk

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