Der kleine Wunderwal vom Tegernseer Tal
Ein Sternenkind leuchtet für andere

Die Gmunderin Verena Seibold hat ihrem ungeboren verstorbenen Jungen Milo ein Buch gewidmet. Im Gespräch mit der TS spricht sie nun über die Schwangerschaft und Hoffnung.

Verena Seibold hat ihrem ungeboren verstorbenen Buben ein Buch gewidmet. Foto: Selina Benda

Ihrem ungeboren verstorbenen Buben Milo hat die Gmunderin Verena Seibold (33) ein kleines Büchlein gewidmet. „Spuren der Liebe“, nicht nur für ihn, sondern auch für die vielen anderen Familien, die eine ähnliche Erfahrung machen mussten, nämlich dass ihr Kind „still“ geboren und als Sternenkind beerdigt wurde. Für die Kunstpädagogin und Kinderpflegerin ist damals, im September 2021, eine Welt zusammengebrochen und doch hat sie es geschafft, ihren Schmerz in eine liebevolle Erinnerung zu verwandeln, die auch andern Trost und Ermutigung sein kann.

Die Schwangerschaft mit Milo kam für dich völlig unvermutet …

Verena Seibold: Ja, eigentlich hatte ich mich darauf eingestellt, dass ich eine alleinerziehende Mama werde. Erst die große Überraschung, auf einmal schwanger zu sein, und bald schon das tolle Gefühl zu spüren, wie das Leben und die Liebe dazu in mir wächst. Auf den großen Ultraschall in der 20. Schwangerschaftswoche hatte ich mich total gefreut, denn dann würde ich erfahren, ob es ein Mädl oder Bub wird. Einen Namen hatte ich auch schon: Milo. Aber noch am selben Tag ist für mich eine Welt zusammengebrochen: Ich erfuhr nicht nur sein Geschlecht, sondern es wurde eine schwere Krankheit diagnostiziert und der Arzt riet mir, die Schwangerschaft und damit das Leben von Milo zu beenden. Da bin ich erst einmal zusammengebrochen.

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Du hast dich dann dafür entschieden, Milo weiter in dir zu tragen?

Seibold: Ja, aber das war natürlich keine leichte Entscheidung. Ich hab glücklicherweise in der Beratungsstelle Bethanien Sternenkinder in Hausham eine Begleitung gefunden. Bianca Steinbauer hat mich unterstützt und mir aufgezeigt: Ganz gleich, was die Ärzte und andere sagen, ich bin die Mama und darf entscheiden, was für mich richtig ist. Das hat mir meine Macht und Kraft zurückgegeben. Denn, was es bedeutet, dass man das Leben des eigenen Kindes beenden soll, das kann keiner nachfühlen. Ich habe ja Milo bereits in meinem Bauch stark gespürt. Und ihm das Leben in meinem Körper zu nehmen, habe ich zu dem Zeitpunkt nicht übers Herz gebracht.

Wie ging es dann für dich, für euch weiter?

Seibold: Für mich war bald klar, dass ich Milo weiter in mir trage und alles seinen natürlichen Verlauf lasse. Dass das Leben und sein Schicksal die Entscheidung für ihn trifft, wann seine Zeit kommen wird. Zugleich habe ich mich darauf eingestellt, dass er nicht überleben würde, und mich auf eine palliative Geburt vorbereitet. Doch dann kam der Augenblick, als ich gespürt habe, dass sein Herz aufgehört hat zu schlagen. Das war der schwerste Moment. Als die Hebamme es dann bestätigte und keine Herztöne mehr gefunden hat, das war das Schlimmste. So ein Gefühl hab ich in meinem Leben noch nie gehabt, weil das einfach so unglaublich weh tut.

Nun war der Zeitpunkt gekommen und die Geburt wurde eingeleitet. Ich bekam Wehen einleitende Mittel und dann hat es noch fünf Tage gedauert, bis er zur Welt kam. Die Geburt war trotz des Wissens, dass er nicht mehr lebt, für mich wunderschön und es war mir wichtig, dass ich mir Zeit nehme, um Milo kennenzulernen. Die wenigen Momente mit ihm festzuhalten, das Mama-Sein spüren, ihn im Arm halten. Um ihn dann in Liebe gehen lassen zu können.  

Was hat dir nach dem Tod deines Kindes gutgetan?

Seibold: Dass ich meine Schwangerschaft trotz der Diagnose mit einer Baby-Party festgehalten hab. Ich hab meine Mädels zusammengetrommelt und ein kleines Fest für Ihn gemacht. Eine liebe Freundin hat mir an diesem Tag ein Babybauch-Shooting geschenkt. Meine große Schwester hat ihm eine Torte gebacken und er wurde einfach gewürdigt, dass er da ist. Das war für mich im Nachhinein wichtig, dass ich trotzdem das Leben ehre. Auch wenn es vielleicht nicht von Dauer ist, aber schließlich ist kein Leben von Dauer.

Der kleine Wunderwal von Verena Seidbold.

Hat die Vorstellung von etwas Göttlichem, vom Jenseits eine Bedeutung für dich?

Verena Seibold: Ja, schon. Ich glaube, dass jede Seele und alles einen gewissen Grund haben und alles eine Einheit ist. Ich glaube, Energie kann nicht verloren gehen und, dass Milos Seele weitergezogen ist. Das spüre ich einfach.

Gibt dir diese Sicht Hoffnung?

Seibold: Ja, es gibt mir etwas Tröstliches, aber auch Dankbarkeit und irgendwie etwas Demütiges. Für mich ist jeder ein Teil Gottes oder der göttlichen Kraft, wie man es auch nennen mag. Zugleich kann sich keiner vorstellen, was es bedeutet, das eigene Kind zu verlieren. Am Anfang ist es die Hölle. Immer wieder diesen Schmerz zu spüren. Man wird gedanklich nochmal neu mit der Frage nach dem Leben, der Welt und dem Sinn konfrontiert.

Gibt es Augenblicke, wo du das Gefühl hast, auch jetzt noch Milo besonders nahe zu sein?

Seibold: Ja, ganz unterschiedliche. Wir haben zum Beispiel von Milos Füßen einen Gipsabdruck gemacht. Das ist das Schöne, wenn man die Zeit hat, sich Erinnerungen zu schaffen. Auch eine Sternenkind-Fotografin ist ins Krankenhaus gekommen. Das sind die Erinnerungen, die gut tun, weil man das alles nochmal anschauen kann. Milo ist bei meiner Oma auf dem Gmunder Friedhof begraben. Eigentlich bin ich gar kein Grabgänger. Aber in den ersten Monaten war das Grab wichtig für mich. Meine Großmutter hat Kinder total geliebt. Und es ist eine schöne Vorstellung, dass Milo den Platz in der Ewigkeit im Arm meiner Oma findet.

Anstelle deines Kindes hältst du nun dieses kleine Buch in deinen Händen …

Seibold: Das bedeutet mir sehr viel. Milo lebt anders weiter, auch in diesem Büchlein. Es berührt mich sehr, dass so viel Interesse an dieser Geschichte besteht. Nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen, die das gleiche erlebt haben. Mütter und Väter, die ihr Kind verlieren. Es ist einfach ein unglaublich schweres Thema und wird oft abgewertet. Die Eltern müssen sich ganz schlimme Dinge anhören, weil das Verständnis fehlt.

Es ist so schön zu sehen, wie ein Projekt, das eigentlich für die Beerdigung meines Kindes entstanden ist, zu einem Buch wird. Erst hab ich mir gedacht, das kann überhaupt nicht gehen. Dann hat aber eine Stimme in mir gesagt, das wird gehen! Und so hab ich mich einfach auf den Weg gemacht. Für mich ist es ein Wunder! Und auch für Milo, der damit hinaus in die Welt geht. Ich habe seine Krankheit im Buch so umgewandelt, dass sie zu Zauberkräften wird. Familien mit eigenen Sternenkindern können ihren persönlichen Namen in die Geschichte einsetzen und ihrem Schicksal einen besonderen Platz geben.

Was wünscht du deinem Buch „der kleine Wunderwal“?

Seibold: Ich wünsche dem Buch, dass es irgendwann noch in einer größeren Auflage erscheint und im Hardcover oder im Pappbilderbuch Format. Finanziell ist das momentan für mich nicht zu stemmen. Aber vielleicht findet sich ja ein Sponsor oder eine andere Möglichkeit. Und ich wünsche mir, dass das Buch ein bisschen Trost spendet. Und dass in den Familien die Verbindung zum Sternenkind mehr im Vordergrund bleibt – auch das Schöne. Ja, es ist unendlich traurig, was geschehen ist, und das wird es auch ein Leben lang bleiben. Es gibt immer wieder Momente, wo alles hochkommt und man weint. Gerade in Momenten, wo man gar nicht damit rechnet. Und zugleich erlebt man immer wieder besondere Zeichen, das erzählen mir auch andere Sternenkind-Eltern.

Was meinst du mit Zeichen?

Seibold: Ich habe für Milo ja ein Kissen in Form eines Wals gekauft. Der Wal war für mich ein Symbol für ihn. Als ich von der Bestatterin nach Hause gefahren bin, stand genau so eine Wal-Wolke am Himmel. Oder als ich in München für die Beerdigung etwas gesucht habe, kam mir genau in diesem Augenblick ein Kind mit einem Wal-Stofftier entgegen. Ein Andermal setzte ich mich in einer Keramik-Werkstatt zufällig an einen Platz, vor dem die einzige Tasse mit Wal-Motiv stand …

Wie geht es dir damit, dass du durch dieses Buch so viel von deinem ganz persönlichen Leben und Schmerz preisgegeben hast?

Seibold: Ich bin grundsätzlich ein sehr offener und ehrlicher Mensch. Und habe auch bei diesem „schwerem Thema“ meine Offenheit genutzt. So habe ich sehr bald ein Interview zu dem Buch gegeben. Mir geht es eigentlich gut damit, weil ich es gar nicht so sehr für mich mache, sondern dafür, dass Sternenkind-Eltern in ihrem Schmerz gesehen werden. Es ist ja nicht nur, dass man ein Kind verliert. Sondern ein ganzes Lebenskonzept. Das ist einfach sehr schwer. Durch meine Geschichte haben sich auch andere geöffnet und man merkt erst, wie viele Menschen so etwas durchmachen mussten.

Was würdest du anderen sagen, die ähnliches erlebt haben?

Seibold: Das Wichtigste ist, dass man der Trauer einen Raum gibt und sich Hilfe holt. Ob bei Freunden, in der Familie oder in einer Beratungsstelle. Dass man sagen kann, wie schlimm es ist, was einem passiert ist und man nun nicht funktionieren muss. Sondern dass die Welt jetzt einfach stillsteht. Ich habe im ersten Jahr nach dem Verlust Angststörungen und Depressionen gehabt. Es hilft einem, den Gefühlen einen Raum zu geben. Den schweren, aber auch den schönen Gefühlen, den Erinnerungen und den Momenten der Schwangerschaft. Und auch über das Baby sprechen zu dürfen. Auch Sterneneltern sind Eltern.  

Mein Weg mit dem Buch war dann ein anderer. Natürlich hab ich das auch gemacht, um mein Schicksal zu verarbeiten. Kreativität ist eine gute Möglichkeit, ob man den Sarg bemalt oder etwas für das Kind fertigt. Um einen ganz persönlichen Weg zu finden, mit der Trauer umzugehen. Man muss schauen, was ist einem wichtig und wie man der Liebe zu seinem Kind für immer eine Form geben kann.

Was ist für dich Liebe?

Seibold: Ich glaube, es gibt wohl verschiedenen Formen der Liebe. Zwischen Eltern und Kind, Mann und Frau, Mensch zu Tier und auch von der Natur – dem Leben zu uns und umgekehrt. 

Doch grundsätzlich bedeutet für mich Liebe, eine wohlwollende offene Energie die im Herzen ihre Heimat hat. Liebe kann man manchmal durch ein Funkeln in den Augen sehen, manchmal durch liebe Worte hören und durch liebevolle Taten spüren.  Ich glaube Liebe ist etwas so Großes und vielleicht sogar der Sinn unseres Lebens.

Unser Buchtipp: „Der kleine Wunderwal“ wird von Verena Seibold am Sonntag, 19. Februar, um 14.30 Uhr im Lichtraum Miesbach vorgestellt. Auf Instagram gibt es unter „@der.kleine.wunderwal“ weitere Informationen. Bestellen kann man das Buch bei der Autorin unter www.kuenstlerin-vom-tegernsee.de.

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