"Wir sterben hier in Schönheit"
Energiewende made in Oberland

Wie viele erneuerbare Energien stecken im Tal? Solar, klar. Wie sieht es mit Wind aus? Bläst der stark genug? Und: wie sieht der Prozess aus, beziehungsweise sähe er aus? Eine Irrfahrt.

Wie viel Windenergie steckt im Tegernseer Tal? / Quelle: Oliver Hihn/unsplash

Ich höre einen Vortrag über erneuerbare Energien. Da geht es um den Energieverbrauch der Gemeinden im Tegernseer Tal und ob der sich auch mit erneuerbaren Energien decken lässt. Den Vortrag hält Martin Stümpfig, Abgeordneter im bayerischen Landtag und Sprecher für Energie und Klimaschutz bei den Grünen. Außerdem ist er Mitglied im regionalen Planungsverband (das wird nochmal wichtig werden).

Photovoltaik, Geothermie, Windräder

Er spricht also vom Stromverbrauch, von Fotovoltaik, Geothermie und Windrädern im Tegernseer Tal, bis sich mir der Kopf dreht. Aus dem Publikum die berechtigte Frage, ob wir hier überhaupt genug Wind haben. Ja! Sicherlich! Das ist jetzt interessant, ich dachte immer, im Alpenvorland gibt es zu wenig oder nicht durchgängig genug Wind? Man muss sich nur den Energie-Atlas Bayern anschauen, sagt Herr Stümpfig, da finde man alle relevanten Daten. Wie viel Strom verbrauchen die fünf Gemeinden um den Tegernsee? 91.000 MWh zirka. Welche Flächen wären für Wind potenziell geeignet? Einige! Welche Gemeinden machen wie viel bei erneuerbaren Energien? Insgesamt machen sie wenig. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch wie folgt: Gmund, 38,7 %, Tegernsee, 1,3 %, Rottach-Egern, 2,7 %, Kreuth, 16,8 % und Bad Wiessee mit mageren 8 %.

Der Energie-Atlas zeigt, das Potenzial ist da, in ausreichender Menge. Rein theoretisch könne man mit vier Windrädern und vier großen Freiflächen Fotovoltaik Anlagen den gesamten Verbrauch des Tales decken. Ich schweife ab, und hüpfe in Gedanken mit Blumen im Haar durch (mein) Energie autarkes Tal! Will man es genauer wissen, so der Abgeordnete, dann muss man sich an den Planungsverband Region Oberland wenden. Ich werde hellhörig! Will ich wirklich ein Windrad auf der Neureuth? Nein! Will ich jetzt den Wandel? Ja! Die Vorstellung eines Windrades oder gleich mehrerer im Tal verteilt, finde ich nicht schön. Ich bin durcheinander. Mir fällt der Spruch ein: „Wir sterben hier in Schönheit.“ Auch ein Atomkraftwerk oder ein Kohleabbaugebiet sind nicht schön, das haben aber andere Landkreise schon lange und ohne die hätten wir hier keinen Strom.  Ein energieautarker Landkreis, ein energieautarkes Tal allerdings – das hat was. Das finde ich schön. Energiewende „Made in Miesbach“ – das ist nicht meine Erfindung, das steht auf der Homepage des Landratsamtes Miesbach.

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Energie-Atlas Bayern: der Wind reicht aus

Bayern-Atlas kenne ich, Energie-Atlas kenne ich ein bisschen. Der regionale Planungsverband war mir auch nicht ganz neu. Auf jeden Fall alles sehr interessant, denke ich und studiere erstmal den Energie-Atlas. Alles richtig, was der Abgeordnete aus dem Landtag erzählt hat. Ein Windrad kann an einem guten Standpunkt, beispielsweise in 160 Metern Höhe, zirka 17.500 MWh erreichen. Das entspricht etwa 20 % des gesamten Bedarfs im Tegernseer Tal. Im Energie-Atlas sind gute Standpunkte bzw. gute Flächen rot bis dunkelrot markiert. Rund um den Tegernsee ist einiges Rot bis Dunkelrot markiert. Wichtig für die Planung ist die Windgeschwindigkeit. Es gilt, 4,8 m/s Windgeschwindigkeit in 160 Meter Höhe sind notwendig, damit ein Windrad auch wirtschaftlich betrieben werden kann, sprich, dass sich die Investition lohnt. Die angezeigten Geschwindigkeiten für das Tal erreichen bis zu 9,88 m/s bei 160 Meter Höhe! Ich bin beeindruckt. Der Wind reicht definitiv aus!

Wer den Wind koordiniert:

Zuständig für die Festlegung von möglichen Flächen für Windenergieanlagen ist der Regionale Planungsverband für die Region Oberland (Region 17), genau der Planungsverband Region Oberland. Dazu gehören vier Landkreise, Weilheim-Schongau, Garmisch-Partenkirchen, Bad-Tölz, Wolfratshausen und Miesbach. Hier sitzen Vertretern der Landkreise (Landräte, Kreisräte, Bürgermeister) und ein Vorsitzender, die sich innerhalb des s.g. Planungsausschusses und der Verbandsversammlung beraten. Die bayerische Staatsregierung überträgt dem Verband, und damit indirekt den Kommunen, ihre staatliche Aufgabe der Landesplanung, daher ist der Verband für Planungen von Flächen für erneuerbare Energien zuständig.


Er setzt die Vorgaben der Landesministerien, also sprich der Bayerischen Staatsregierung um. Dies geschieht immer in Absprache mit den Kommunen. Spätestens bis 2032 sollen 7210 ha, oder 1,8 % der Fläche in der Region Oberland für Windkraft bereitgestellt werden, so die Vorgabe. Derzeit gibt es Vorranggebiete, diese liegen bei 960 ha oder 0,24 %. Bei der letzten Sitzung des regionalen Planungsverbandes am 26. April 2023 wurde auch über Windenergie gesprochen. Klar ist, dass die Region mehr Fläche für solche Projekte wird ausweisen müssen. Doch wo? Das ist gar nicht leicht zu beantworten. Ob sie dann wirklich gebaut werden, ist eine ganz andere Frage. Dazu gibt es für jeden möglichen Standort eine eigene Analyse und ein eigenes Windgutachten. Der Energie-Atlas Bayern, so heißt das Internetportal der Bayerischen Staatsregierung zum Thema Energie-Sparen, Energie-Effizienz und erneuerbare Energien. Er wird entwickelt vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Bürgerinnen, Kommunen, Behörden und Unternehmen finden hier Informationen, Planungsinstrumente und Entscheidungshilfen.


Im Energie-Atlas wird der bayerische Windatlas vom Ministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie zur Verfügung gestellt. Die Bayerische Staatsregierung sieht in Photovoltaik und Windenergie die beiden zentralen Säulen der Energiewende in Bayern. Daher hat sie in einem Aktionsprogramm Energie festgelegt, dass die Windenergie deutlich ausgebaut werden soll und stellt mit dem Windatlas Daten und Karten zur Information und Entscheidungsfindung bereit. Dies soll den Ausbau der Windenergie unterstützen.

Ein Windrad benötigt auch Fläche, das weiß ich. Allein für den Sockel wird eine Fläche von 200 bis 400 m² verbraucht. Rund um den See sind erhebliche Teile Schutzwald. Das bedeutet, der Wald erfüllt eine wichtige Funktion. Er schützt vor Steinschlag und Muren, er ist wichtig für Hochwasserschutz und für sauberes Trinkwasser. Dort im Schutzwald 400 m² zu versiegeln, muss genau geprüft werden. Die nötigen Zufahrtswege sind da noch gar nicht mitgerechnet. Ich weiß, dass viel über den Vogelschlag diskutiert wird.  Das heißt, Vögel können in die Rotoren geraten und sterben. Studien sagen, Meeresvögel können den Rotoren ganz gut ausweichen – Greifvögel, wie wir sie hier haben, können das nicht. Der gefährdete Rotmilan ist ein populäres Beispiel. Der Naturschutzbund Deutschland (NaBu) empfiehlt daher bei der Planung von Anlagen, einen Abstand zu den Nistplätzen dieser Greifvögel zu halten. Vögel fliegen über die Alpen. Baut man so eine Anlage auf den Berg, kann das die Vögel stören. Die Frage nach möglichen Vogelzugrouten muss also vorab geklärt werden. Alles in allem reduziert das mögliche Flächen für Windenergieanlagen. Klar ist, eine Energiewende muss naturverträglich sein. Klimaschutz geht nur zusammen mit Naturschutz. Nichts ist am Ende so einfach, wie man anfangs meint. Ich fange an, zu grübeln und nehme mir die Blumen aus dem Haar.

Planungsverband Oberland: Viel hin und her

Jetzt will ich wissen, wie der regionale Planungsverband die Sachlage und die Daten einschätzt. Der Planungsverband ist der verlängerte Arm der Regierung in Sachen Landesplanung, die werden mir die Zahlen aus dem Energie-Atlas erklären können. Ist es so, dass das Windpotenzial im Tegernseer Tal ausreicht? Sind das auch reelle wirtschaftliche Standorte? Sind die Windgeschwindigkeiten korrekt? Ist der Schutzwald oder der Vogelzug ein Hindernis?

Ich versuche es am Telefon. Ein persönliches Gespräch sei leider nicht möglich, mit der Presse kommuniziere man nur schriftlich. Das ist ärgerlich! Im persönlichen Gespräch ergeben sich Fragen auch aus Antworten, und jedes Gespräch dient erstmal der Recherche beziehungsweise Orientierung. Die persönliche Einschätzung der Personen, die dieses Thema sicherlich besser kennen als ich, hilft mir verschiedene Blickwinkel zu verstehen. Ich will ja niemanden brandmarken! Das Hin- und Herschreiben macht das jetzt nicht einfacher. Ich schicke meine Fragen also schriftlich, an den Planungsverband.

Erstmal will ich nur verstehen, ob der Wind ausreicht, um eine Anlage zu bauen und diese wirtschaftlich betreiben zu können. Macht es überhaupt Sinn, darüber zu streiten?

Erstmal will ich nur verstehen, ob der Wind ausreicht, um eine Anlage zu bauen und diese wirtschaftlich betreiben zu können. Macht es überhaupt Sinn, darüber zu streiten? Jede Frage bezieht sich direkt auf Zahlen aus dem Energie-Atlas, dazu ist er da. Die Antwort ist überraschend. „Zum Energie-Atlas Bayern kann der Planungsverband Region Oberland keine Auskunft geben. Der Energie-Atlas Bayern ist eine Planungshilfe des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Bitte wenden Sie sich bei Fragen hierfür an das Ministerium.“  Echt jetzt? Ich rufe beim Ministerium an und frage nach dem Windpotenzial im Tegernseer Tal? Meine Stirn runzelt sich. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Das heißt auf alle klaren Fragen, also Daten zu Windgeschwindigkeiten, Ertragsmöglichkeiten, Potenzial, die ich mit diesen Zahlen begründe, bekomme ich keine Antwort. Ich werde freundlich auf einen Vortrag der letzten Sitzung des Verbandes verwiesen. Da kann ich nachlesen. Der erklärt zwar die Planungen der nächsten Monate, aber für das gesamte Oberland. Die beigefügten Karten umfassen alle vier Landkreise – der Tegernsee ist fast nicht zu erkennen. Meine Fragen bleiben indifferent beantwortet oder unbeantwortet. Vollumfänglich unbefriedigend. Ich zupfe an meinen Haaren.

Windatlas zur Hilfe

Lese ich die Antwort genau, steht etwas weiter unten: „Zu Ihrer Frage der Wirtschaftlichkeit:  Grundlage des aktuell zu erarbeitenden Konzepts des Planungsverbands ist der Bayerische Windatlas 2021. (…) Zum Energie-Atlas Bayern kann der Planungsverband Region Oberland keine Auskunft geben.“  Windatlas, Energie-Atlas, in meinem Hirn bilden sich Knoten. Aufgepasst Freunde, Atlas ist nicht gleich Atlas, den nehmen wir, den anderen nicht. Sollte jemand etwaige Ähnlichkeiten im Namen offensichtlich finden, willkommen im Club. Der Windatlas ist die Planungsgrundlage. Überraschung! Auch der Bayerische Windatlas kommt vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Mein Hirn schmerzt. Es ist eine PDF-Datei, 72 Seiten lang. Im Vorwort steht: „Um die Planung und damit die Nutzung von Windenergieanlagen zu erleichtern, stellt die Bayerische Staatsregierung den Bayerischen Windatlas zur Verfügung. Der Energie-Atlas Bayern bietet Interessierten außerdem die Möglichkeit, die Daten in einer interaktiven Karte unter www.energieatlas.bayern.de darstellen zu lassen.“

Weiter unten nochmal: „Das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie stellt zur Unterstützung dieses Ausbaus (nämlich der erneuerbaren Energien, Anm. d. A.) im Energie-Atlas Bayern umfangreiche Planungshilfen, wie den Bayerischen Windatlas, zur Verfügung.“ Das bedeutet, der Windatlas, dient dem Energie-Atlas zur Verdeutlichung. Die gehören zusammen. As simple as that! Dass in beiden ziemlich genau dasselbe steht? Geschenkt! Das ist der Zeitpunkt, an dem ich mir das Haar raufe!

Essenz

Ich kapituliere, das Wort Atlas macht mich nervös. Dann rekapituliere ich. Die Bayerische Staatsregierung will die Energiewende unterstützen, indem sie Daten öffentlich zur Verfügung stellt. Jeder, der Bürger, die Kommune, der Investor soll hier die nötigen Informationen zu erneuerbaren Energien abrufen können (Energie-Atlas). Für die Planungen ist der regionale Planungsverband zuständig. Will die Bürgerin, die Kommune oder der Investor nun die Informationen von der Bayerischen Staatsregierung mit dem Planungsverband für das Oberland besprechen, dann sind die Informationen aus dem Energie-Atlas nicht relevant. Diese sind nicht seine Grundlage für Planungen, nur der Windatlas ist es. Ich sagte schon, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Will ich die Informationen aus dem Energie-Atlas verwenden, dann muss ich mich direkt an das Ministerium wenden. Will ich mit dem regionalen Planungsverband kommunizieren, dann muss ich mich auf den Windatlas beziehen. Beide kommen vom Ministerium, beide heißen Atlas, beide gehören zusammen. Egal!

Ich könnte jetzt einfach darüber hinweggehen. Egal, ich weiß es jetzt, eine Quelle hier, die andere dort. Aber wir wollen doch, dass die erneuerbaren Energien eine Chance bekommen? Das geht nur, wenn es den Menschen leicht gemacht wird. Bis jetzt ist meine Recherche nur verwirrend. Die vom Ministerium bereit gestellten Daten sind eine praktische Möglichkeit sich zu informieren, und werden dann von den eigenen Behörden nicht anerkannt. Das macht es kompliziert. Ich gebe nicht auf und frage per Mail nochmal beim Planungsverband nach. Die Antwort ist freundlich, klar und nicht hilfreich. Mittlerweile sehe ich aus wie Pumuckl!

Nachtrag

Die nötigen Antworten erhalte ich schließlich auf der Homepage des Landratsamtes Miesbach. Telefonisch wolle man mir keine Auskunft geben. „Energiewende made in Miesbach“, ein Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2011, 67 Seiten lang. Hier erhält die Bürgerin Antworten auf fast alle Fragen. Die Windverhältnisse im gesamten Landkreis Miesbach sind günstig, es gibt ausreichend viele Standpunkte, die eine wirtschaftliche Nutzung zulassen, grundsätzlich könnten auch im Tegernseer Tal weitere Flächen geprüft werden. Das wollte ich nur wissen. Theoretisch wäre es also möglich. Ob jemals ein Windrad im Tal stehen wird? Das ist eine andere Frage. Jeder mögliche Standort muss einzeln geprüft werden. Leider konnte der Planungsverband Region Oberland mir diese einfachen Antworten nicht geben.

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