Mitgehört in Rottach-Egern:
Fake-News-Bubble Drogeriemarkt?

Die Tagesfreizeit vieler Damen geht gerne in edlen Geschäften am Tegernsee drauf. Wenn das Kleingeld nicht mehr hergibt, tut es auch der Müller-Drogeriemarkt oder sein ökologischer Vetter DM.

Haben die jungen Leute erst mit 39 ihren Studienabschluss in der Tasche? / Foto: Dom Fou auf Unsplash

Hinter mir stehen eine paar Damen: tiefroter Lippenstift, ungewöhnlich voluminöses Haar und mächtig desinformiert. Vielleicht, weil ich mit Kind und drei abgezählten mintfarbenen Stabilo-Stiften vor ihnen in der Reihe stehe, triggere ich ihre Spiegelneuronen. Vielleicht war die Diskussion einfach schon immer da und musste jetzt einfach mal raus: Hier müssen alle zuhören, während die tapfere Kassiererin Gesichtsmasken, Tampons und biodynamische Keimlinge aus dem Sonderangebot (Achtung, erfunden!) scannt.

Die jungen Leute!

Die Wortführerin steht direkt hinter mir. Sie echauffiert sich über die jungen Leute, die jetzt alle nur noch eine “Vier-Tage-Woche” wollen würden, nur noch “Workations” im Kopf haben, erst mit 39 den Studienabschluss machen und “am besten noch zum 18. Geburtstag 20.000 Euro” ins Konto gedrückt bekommen. Wo soll das hinführen?

Wissen wir nicht. Genauso wenig, ob die Herzensdamen jemals einen Acht-Stunden-Arbeitstag absolviert haben? Wer spült die verklebten Kuchenteller mit Goldrand? Doch wisset, die moderne Frau ackert zu Hause; so oder so, das ist auch Arbeit. Kommt aber meist nicht in der Rechnung vor, weil unbezahlt. Im Paralleluniversum Tegernsee werden diese “Hausarbeiten” gerne an Osteuropäerinnen oder andere ausgelagert. Hilft auf jeden Fall der Paarbeziehung.

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Zurück zu den Fake-News. Zeit, sich ein paar vorzuknöpfen, um für die ungehörte Jugend, – die übrigens mit 39 definitiv auch zu den älteren Eisen gehört (Grüße gehen raus) –, ein paar sinnvolle Worte einzulegen.

Studienabschluss mit 39

Seit Einführung des Bachelor-Studiums studieren junge Menschen deutlich kürzer; damit sind Studierende früher mit ihrem Fach fertig. Im Schnitt sind sie etwa 24 Jahre alt. Wann jemand sein Studium abschließt, hängt aber auch von den Fachrichtungen ab; und auch von der Unterstützung im Elternhaus. Jemand, der sein Studium selbst finanziert und nebenbei arbeitet, braucht in der Regel mehr Zeit zum Studieren.

Abitur und Studium

Einen Bachelor hat man in der Regel nach sechs Semestern, das sind drei Jahre. Wer dann noch einen Master draufsattelt, kommt auf weitere zwei bis vier Semester. Das sind dann also etwa summa summarum fünf Jahre fürs Studium. In Bayern machen Abiturientinnen und Abiturienten aktuell nach acht Jahren Abitur. 2025 wird das “Turbo-Abi” zu Grabe getragen. Edmund Stoiber dezimierte etwa vor 20 Jahren erstmals die Schullaufbahn der Gymnasiastinnen um ein Jahr. 2025 wird aus dem G9 wieder ein G8; der erhoffte frühzeitige Karriereeinstieg dank früheren Schulabschluss hat nicht überzeugt; im Gegenteil zahlreiche Schüler haben ein erstes Studium abgebrochen oder gar nicht studiert.

Zu diskutieren wäre dann nur noch; sind diese Milchbrötchen zu jung zum Arbeiten? Wie wirkt sich das auf die spätere Bindungs- und Beziehungsfähigkeit aus, wenn es keinen Leerlauf mehr gibt, in denen sich Menschen Sinnfragen stellen und bis spät in die Nacht diskutieren?

4-Tage-Woche

Ist ein Mythos. Bisher. Im Gegenteil: Zurück zu Stechuhr, wenn auch digital. Glaubenssatz: mehr Stunden, mehr Leistung. Zieht sich auch in die Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Vier-Tage-Woche einschwören. Sie schwören nämlich auch darauf, dass sie die gleiche Leistung in kürzerer Zeit packen. Oder halt: 40 Stunden auf vier Tage ergibt 10 Stunden am Tag. Geht auch für Familien nur mit Nanny oder halt im Wechselmodell.

Studien sprechen dafür, dass sich das Wohlbefinden der Menschen steigert, wenn sie nur vier Tage arbeiten. Auch die Krankheitstage sollen runtergehen. Laut Statista wünschen sich über 70 Prozent der Arbeitnehmer die Vier-Tage-Woche und darunter nicht nur die Generation Z.

Workations?

Runter von der Insel und rein ins Büro. Workations waren gestern, ebenso großzügige Home-Office-Regelungen. Viele Unternehmen schnallen wieder an und saugen ihre Leute zurück ins Büro. Vorgehensweise unterschiedlich. Bei Behörden und großen Medienunternehmen aktuell beliebt: Möchtest du deinen schönen Fensterarbeitsplatz behalten? Oder lieber mit dem schicken Flexi-Desk-Roll-Koffer den letzten schattigen Platz im Großraum-Office ergattern, weil du es nicht auf die Reihe kriegst, pünktlich ins Büro zu kommen? Deine Wahl fällt auf Fensterplatz und Individual-Distanz? Bitte hier unterschreiben für “Fünf-Tage-Präsenz-im-Büro”.

Nimmt man Instagram und diese anderen Social-Bubbles als Brennglas der modernen Arbeitskultur, machen sich Unternehmen, die Rückschritte als Fortschritte verkaufen wollen, fett unbeliebt: Wie sonst will man den Erfolg von Reels über toxische Unternehmenskultur erklären?

Grunderbe?

Die Idee mit dem Grunderbe, das von den Müller-Multi-Damen in die Echokammer des Tegernseer Tals geworfen wurde, stammt übrigens vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die 20.000 Euro sollten aus Erbschafts- und Vermögenssteuer finanziert worden. Die Idee ist nicht besonders neu, das konkrete Ziel schon. Immer dann, wenn virulent wird, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland nicht mehr zugehen will; aus einer Nagelschere längst eine Astschere geworden ist, taucht die Diskussion um eine Vermögenssteuer auf.

So richtig ernsthaft diskutiert das aktuell keiner; ist aber der Party-Schreck schlechthin. Funktioniert fast so gut wie zu gendern. Bringt die Leute kurzzeitig um den Verstand. Probiert es gerne mal aus.

Korrektur, 9. April 2024

Die Autorin scheint schon lange aus dem Schulwesen draußen zu sein. In Bayern gilt das G8. In einer früheren Version haben wir von neun Schuljahren geschrieben, die bayerische Gymnasiasten die Schulbank drücken müssen. De facto sind es aktuell aber noch acht Jahre. Obwohl 2018 das G9 zurückbeordert wurde; also neun Schuljahre (G9). Der erste G9-Revival-Jahrgang macht im nächsten Jahr Abi.

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