Ein Kommentar von Julia Jäckel:
Gigsigagsi-Fächer können Krise

Am Tag der Arbeit streiten wir uns über die Zukunft: Nicht so sinnvoll findet Martin Calsow Orchideen-Fächer, die dem Arbeitsmarkt Menschen bringen, die der gar nicht braucht. Ist das so? Und was hat das mit Orchideen zu tun?

Sieht toll aus und ist robust; Orchideen: Foto. John Wiesenfeld / Unsplash.

Um mit dem wichtigsten Gegenargument zu starten: Eine Orchidee ist gar nicht so special wie mich Wikipedia vor einer Minute lehrte. Allerdings zeichnet sie sich durch zwei hodenförmige Wurzelknollen aus, was sie zu einem Knabenkräutlein macht. Damit zu der überlebenswichtigen Frage, ob wir von solchen Kräutleins an Universität und im Job profitieren.

Kommentar: Kein Mensch braucht Gigsigagsi-Fächer

Martin Calsow findet Laberfächer gehören abgeschafft.

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Der Kollege fürchtet, dass mit dem Körperpflege-Bachelor oder Vegan-Food-Studium (übrigens ein Fernstudium) der Fachkräftemangel dann vielleicht glattere Haut hat und auch besser riecht, der Arbeitsmarkt aber Menschen mit Sechskantschlüssel in der hinteren Hosentasche und Leatherman will. Dabei braucht es beides: Menschen, die frisch geduscht am Arbeitsplatz erscheinen und Nerds, die über ausreichend Sprachkompetenz verfügen, jenseits des Binär-Code-Morsens.

Neuere Deutsche Literaturwissenschaften, Philosophie, Amerikanistik, Psychologie und natürlich Soziologie sind klassische Geisteswissenschaften und zählen für einige zu überflüssigen Optionen. Dabei bleibt der Spitzenreiter der einfallslosen Studienfächer im Wintersemester 2022 / 2023? Das Fach BWL ­– das eine Art Zwitter zwischen Geisteswissenschaft und naturwissenschaftlicher Methodik einnimmt – mit 240.000 Studienanfänger (Quelle: Statista) in Segelschuhen und locker um die Schultern geschwungene Lacoste-Pullover.

Auf Platz zwei die hornbebrillte Informatikerin; 144.000 Studierende glauben, dass sie trotz Chat-GPT eine gute Wahl getroffen haben. Erst auf Platz vier kommt eine erste Geisteswissenschaft, deren Abschaffung unsere Gesellschaft nicht nur mit vermehrt toxischen Beziehungen, sondern vermutlich auch mit Selbstmord-Raten bezahlen dürfte (These): die Psychologie.

Immerhin 110.000 Studenten widmeten sich der Seele und der in ihr wohnenden Absurditäten und Traumata. Dahinter? Medizin, Wirtschaftswissenschaften und Maschinenbau, erst danach reihen sich wieder pädagogische oder auch sozialwissenschaftliche Studien ein.

Problemlösungszentrifuge fürs Berufsleben

So richtig Angst muss also noch keine und keiner haben, dass die Naturwissenschaften am Aussterben sind. Im Gegenteil. Und wohlgemerkt, man kann Mathe und Physik cool finden und dennoch für die Notwendigkeit der Geisteswissenschaften plädieren.

Hier einige unbestechliche Argumente: Wer im Studium lernt, Selbstverständliches zu hinterfragen, Kritik auszuhalten und auszuüben, nervt zwar, kommt jedoch neben seinem Master mit einer Problemlösungszentrifuge ins Berufsleben. Geisteswissenschaftler analysieren hart und können sich in Themen fuchsen, die niente mit ihrem Studiengang zu tun hatten.

Auch hilft es für Krisen Wissen über andere Sprachen und Kulturen parat zu haben, so argumentiert etwa die Literaturwissenschaftlerin und Direktorin des Kulturwissenschaftlichen Institutes Essen, Julia Griem, die den Sinn der Geisteswissenschaften gar nicht mehr rechtfertigen mag: “Natürlich haben Disziplinen unterschiedliche Aufgaben und Reputationen. Wir entwickeln keine Krebsmedikamente, und wir sollten unsere Grenzen kennen. Wer bei solchen Entwicklungen mittendrin sein möchte, kann ja etwas anderes studieren. (Quelle: Der Spiegel)”

Fazit:

Wir sollten die Vielfalt der Bildungs- und Karrieremöglichkeiten feiern, anstatt alte und neue Gräben zu ziehen. Und für alle, die sich Sorgen um den Nachwuchs machen: Fast ein Drittel der Studienanfängerinnen wechselt das Studienfach nach den ersten Semestern. Ein Wechsel in späteren Semester ist deutlich seltener.

Obacht: Orchideen sind für ihre Anpassungsfähigkeit und Vielfalt bekannt, sie können auf Bäumen aufsitzen und sogar auf Felsen; sie sind robust und brauchen eigentlich nicht viel; klingt nach dem perfekten Bewerber? Eben!

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