Ich bin ein Fremder gewesen …

Die Flüchtlingssituation wird immer komplexer. Der Strom wird nicht abebben, Hasskommentare im Internet und den Sozialen Medien nehmen überhand. Aber es gibt auch die andere Seite – die helfende Seite. Gegensätze prallen aufeinander.

Helfende Hände braucht das Land - keine Hassparolen
Helfende Hände braucht das Land – keine Hassparolen.

Es gibt Lautsprecher und stille Helfer. Menschen, die wissen, wie man es machen könnte, und Menschen, die einfach machen. Hunderte Hasskommentare in einer Woche. Das muss man verdauen. Selten haben wir so viel einfach vor sich hingeplapperte und getippte Verachtung in unserer Redaktion erlebt.

Wenn man in den vergangenen Wochen am Abend aus der Redaktion ging, glaubte man, von einem Volk der Dauerängstlichen, Wütenden, Boshaften umgeben zu sein. Hunderte Hasskommentare überfluten die Seiten jeden Tag aufs Neue. Aber das ist nur eine, wenn auch hässliche Seite der Diskussion. Die andere, viel leisere, ist differenziert und lässt uns in diesem Sommer leicht lächeln.

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Keine angeberische Solidarität

Wenn man dieser Tage mit Menschen spricht, die direkt mit den Flüchtlingen im Tal zu tun haben, offenbart sich ein nie vollständiges Bild von pragmatischer Hilfe, aber auch von unglaublichen bürokratischen Problemen. Ob Freiwillige oder Menschen in der Verwaltung – sie helfen. Solidarität ist dort nie laut und angeberisch, sondern still und effizient. Sie arbeiten bis an die Grenze der Belastbarkeit. Ihnen danken wir.

Kein Rathaus ist personell und finanziell auf diese Arbeit vorbereitet. Ergebnis: gigantische Überstunden und eine Arbeitsbelastung, über die kaum jemand redet. Stattdessen werden von Bürgern Wutmails in die Rathäuser geschickt. Ist ja schneller und einfacher als die Frage, ob und wie man die Menschen, auch jene in der Verwaltung, unterstützen könnte.

Eine Sammlung – unvollständig

Sie schneidet sorgfältig die Blumen, kichert mit den Kollegen und trägt ein Kopftuch. Die junge Praktikantin aus Pakistan arbeitet im Blumenladen schräg gegenüber von unserem Büro. Die Frauen dort haben sie herzlich aufgenommen und loben die Arbeit der pakistanischen Asylbewerberin.

Ein Tegernseer Stammtisch spendet für die Arbeit mit den Flüchtlingen mehr als 3.000 Euro. Einfach so. Drückt es dem Bürgermeister in die Hand. Kein Foto, keine Namen.

Hoffentlich kommt ein Wintereinbruch und sie erfrieren!

Der Tenor aus vielen Gemeinden: Wir kommen mit den meisten Nationalitäten klar. Schwierig sind die Menschen aus Nigeria und Somalia. Kennen sich blendend aus, klagen viel und nerven zuweilen. Zudem wirken einige „geschult“. Aber das wird meist mit einem Schulterzucken kommentiert. Irgendwas ist ja immer.

Sofort Heim schicken… Da geht mir ja die Galle über.

Ein Unternehmer im Tal bezahlt aus eigener Tasche, anonym und ohne Brimborium, eine Hilfskraft. Die kleine Turnhalle, in der 38 Menschen leben, hat zwei Oberlichter, ist baulich weder im Winter noch im Sommer für eine Bewohnung ausgestattet. Es wird improvisiert, Lüfter aufgestellt. Wer je beim Bund mit acht Männern im Sommer auf einer Stube gelegen hat, kann erahnen, wie das Zusammenleben dort so ist.

Drecks G’sindl zurück in den Urwald, da wohnen sie doch besser und Menschenwürdig

Oben wird getönt und unten, im kommunalen Maschinenraum, gearbeitet. So wirkt es. Vor allem, wenn es um die telefonische Erreichbarkeit von Behördenleitern im Landkreisamt und der Regierung von Oberbayern geht, schwillt vielen Bürgermeistern im Oberland der Kamm. Schöne Reden halten und Interviews geben ist das eine, pragmatisch, immer erreichbar und lösungsorientiert den Ansturm bewältigen, etwas anderes, sagt einer, der damit jeden Tag zu tun hat.

Diese neue Herausforderung, Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen, mit komplett anderen Werten und Erfahrungen, halbwegs geräuschlos zumindest unterzubringen, ist eine kaum lösbare Aufgabe. Sie erfordert Improvisation, Vermeiden von Parteipolitik-Geschacher und ein Miteinander der Verwaltungen. Da, so viele kommunale Macher, ist noch Luft nach oben.

Vergewaltigung war erfunden

Ein Eritreer spricht nach einem Jahr so gut unsere Sprache, dass er wahrscheinlich in einer Schreinerei eine Ausbildung beginnt.

Er und seine Landsleute campierten in Holzkirchen hinter einem Flatterband. Interessant in einem Bundesland, das jedes besetzte Haus innerhalb von 24 Stunden räumen lässt. Aber hier gilt das Versammlungsrecht.

Eine Frau behauptet, Asylbewerber hätten in Holzkirchen versucht, sie zu vergewaltigen. Im Netz wird gehetzt. Aus drei Tätern werden bald sechs gemacht. Die ersten fordern Bürgerwehren. Neun Tage später: Die Frau hat gelogen. Da ist aber schon tausendfach in unserer Region geurteilt worden.

WO BLEIBT DENN DA DIE WILLKOMMENSKULTUR, bin entsetzt … gönnt den gequälten und gerade noch den kriegsstrapazen entkommenen männern ein bisschen entspannung. Bevor sie in die Hände spucken (oder auf Deutschland…)

Kein Bürgermeister glaubt daran, dass sich die Lage im nächsten Jahr entschärfen wird. Alle glauben an eine Zunahme der Zahl der Asylbewerber.

Vergasen wehre angemessen.

Seit Monaten leben Flüchtlinge in der Turnhalle in Tegernsee, seit Kurzem auch in Bad Wiessee. Es gibt weder Vorbestrafte, noch irgendeine Straftat. Die Frau eines Bürgermeisters könnte ihr Leben genießen, bei Gaufesten wie Aigner Ilse lächeln. Sie kann aber auch in der Flüchtlingshilfe arbeiten, mit vielen anderen ehrenamtlich. Wie in Waakirchen.

Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr muss ich mich aufregen. Da will mir doch keiner erzählen, dass sich diese Streikenden integrieren wollen oder sogar arbeiten wollen. Da kann es nämlich auch sein, dass es warm oder kalt ist.

Unter 38 Männern sollte eine Frau in der Turnhalle Tegernsee leben. Ein Anruf bei der Nachbargemeinde Rottach, und man findet eine Wohnung. Zustimmung vom Landratsamt bleibt aus. Verordnungen!

Anmerkung: In kursiv sind die uns zugestellten Beiträge (inkl. Rechtschreibfehlern) von Lesern zu der Debatte eingefügt.

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