Ist “as g’fraßi Luada” zurück im Tal?

Der Ton ist rauer und die Angst ungleich größer geworden vor einem der letzten überlebenden Raubtiere in Europa – dem Wolf. Der wiederum ist eine Idealbesetzung als Bösewicht. Immer schon. Gemeinden im Tal stellen sich fast geschlossen hinter Bauern und Touristiker. Sie sind sich einig: Der Wolf muss weg! Wie soll das funktionieren?

In freier Wildbahn sieht man das Rudeltier eigentlich nie. / Quellle: NABU Michael Hamann (Zwei Daubaner Welpen im Dez 2015)

Im Frühjahr 1836 erschoss der 18-jährige Anton Hohenadl den „“g’fraßi Luada” in der Treibjagd im Saurüsselgraben. Seit diesem Tag im Frühjahr war, was Toni und die Talbewohner damals nicht wissen konnten, der Wolf nicht nur im Tal, sondern auch in ganz Bayern ausgerottet.

Der Abschuss wurde im Tegernseer Tal ausgelassen gefeiert. Mit dem Boot wurde der mit Grün geschmückte und an einer Stange festgebundene Kadaver unter dem Jubel der Menschen von Abwinkl nach Tegernsee ins Forstamt gebracht. Im heutigen Bürgermeisterzimmer im Rathaus wurde das tote Tier aufgebahrt. In großer Feierlaune, wie der Chronist und Schriftsteller später in seinem Buch “Jagdparadiese in Wort und Bild” schreiben wird. Jeder Bürger durfte das Tier bewundern, zahlte er einen Groschen.

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185 Jahre später kommt der Wolf wieder heim

Nach 185 Jahren hat erstmals wieder ein Wolf, jedenfalls bei einem von Menschen dokumentierten Besuch, den Landkreis betreten: Im Frühjahr 2021. Das Jungtier war auf der Durchreise. In diesem Jahr gab es erste Berichte von Rissen – vermutlich durch einen Wolf. Doch was den Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung (FORSA Studie 2021) erfreut – immerhin 77 Prozent- stößt bei vielen Weidetierhaltern und Touristikern auf Skepsis und Sorge.

Diese ist auch in den politischen Vertretungen der Gemeinden im Tal deutlich zu spüren. Wo vor einem Jahr die Bauern noch recht allein gelassen wurden mit ihrer Sorge, stellen sich heuer die Gemeinderäte demonstrativ auf die Seite der Landwirte in der Region. Hinzu gesellen sich Touristiker, die um die Unversehrtheit der Kulturlandschaft auf den Almen im Tegernseer Tal sorgen. Gestandene Erwachsene beleben in den Gemeinderatssitzung die tiefsitzende Angst vor “dem Bösen” – dem Wolf.

Hotelier ist nicht allein mit seiner Furcht, noch in den Wald zu gehen

Doch muss man, wie der bekannte Tal-Hotelier Korbinian Kohler es formulierte, „Angst haben in den Wald“ zu gehen? Mit seinen Ängsten war der Lokalpolitiker jedoch nicht allein in der Gemeinderatssitzung in dieser Woche. Auch in Rottach und Bad Wiessee outeten sich einige Räte als besorgt um Leib und Leben. Ist der einzig effektive Schutz des Weideviehs auf den Almen im Tal vor dem Beutetier „eine Mauer aus Beton“ oder der Abschuss der Tiere, wie es in Bad Wiessee Alois Fichtner auf seiner Rede gegen den Wolf im Tal im Gemeinderat formulierte? In Gmund ist es nur noch die Stimme einer Grünen-Vertreterin, Laura Wagner, die zwar bekundet, die Sorge der Bauern verstehen zu können, den Abschuss jedoch als einzige Lösung als absurd bezeichnete.

Die Wolfsdiskussion im Landkreis Miesbach hat sich zu einer sehr emotionalen Auseinandersetzung entwickelt. Ängste und Abscheu vor der brutalen Art und Weise, wie Wölfe ihre Beute zurichten, werden geäußert. Zudem die immer wieder beschriebene Ohnmacht, sich vor dem „grausamen Raubtier“ bei bestehendem Artenschutz und Abschussverbot zu wehren. Weidetier-Schutzmaßnahmen werden wie von Gmunds Bürgermeister Alfons Besel (FW) allerdings rundweg abgelehnt. Herdenschutzhunde und Weidezäune seien völlig zwecklos und unpraktikabel bei uns, meint Besel.

In Rottach versucht man mit einem Brief an den Landesvater Markus Söder (CSU) das Gebot der „wolfsfreien Region“ auf die landespolitische Agenda zu heben. Drastisch in diesem Zusammenhang auch der Ausspruch des Gemeindevorstands Christian Köck (CSU):

Erst geht die Kuh, dann geht der Gast.

Die geschlossene Front gegen den Wolf setzt sich im Landkreis über (fast) alle Parteigrenzen hinweg fort. Im März 2022 schreiben alle 17 (!) Gemeinden einen Brief an den bayerischen Umweltminister mit der Aufforderung, Maßnahmen gegen den Wolf zu ergreifen. Die „Wolfsfrage“ ist in der Politik angekommen. Selbst der einzige SPD-Bürgermeister des Landkreises, Robert Kühn, stellt sich in einem Statement offen und demonstrativ gegen „den Wolf“:

Wollen wir unser bisheriges Tourismus-Angebot erhalten oder wollen wir Platz machen für den Lebensraum des Wolfes?

Zusammengefasst scheint die deutlich überwiegende “politische Talmeinung” dem Wolf gegenüber eindeutig: Entweder der Wolf oder Almtierhaltung, Tourismus, Unversehrtheit an Leib und Leben und Erhalt der Kulturlandschaft. Ein Miteinander schließe sich aus!

Ergo brauche es die Abschussquoten. Einschränkend muss man sagen, dass das Raubtier nur aus dem Tal verschwinden soll, wie man hört. Eine Totalausrottung wie vor 186 Jahren wird, so heißt es ebenfalls, nicht angestrebt.

Der Wolf im Jahr 2022

Doch wie sieht das in der Realität aus? Der Wolf ist ein Wildtier. Er lebt in Rudeln und einzelne Jungtiere ziehen allein auf der Suche nach einem Rudel durch die Welt. In ganz Europa geht man von zwischen 15.000 und 20.000 Wölfen aus. Wobei ein Großteil der Tiere in Ostereuropa und in Italien, Spanien und Frankreich angesiedelt sind. Erst seit 18 Jahren ist der Wolf wieder heimisch in deutschen Gebieten.

Seit fast nun 20 Jahren ist die Diskussion über ein mögliches Zusammenleben mit dem Wolf wieder entbrannt. Seit Menschengedenken gilt der Wolf in der christlichen und auch nordischen Kultur als Sinnbild für das Böse, was eine rationale Herangehensweise an das Thema immer noch sehr erschwert. Hartnäckig hält sich der Glaube, der Wolf sei des Menschen Feind. Geprägt durch die im Christentum allgegenwärtig geprägte Sicht auf den Menschen, als dem vom Hirten Gott geführtes Wesen. Der Hirte schützt die Menschheit vor dem Wolf, der all das Böse in der Welt verkörpert. Meister Isegrim und Rotkäppchen taten in der Neuzeit ihr Übriges, die irrationale Feindschaft zwischen Wolf und Mensch schon in Kindertagen zu untermauern.

Artenschutz gleichbedeutend mit dem Schutz der Menschheit?

Doch seit 1836, als der Toni den Wolf in Tegernsee ein für alle Mal ausrottete, hat sich der Mensch entwickelt. Die Ausrottung von Tierarten zum „Schutz der Menschheit“ steht nicht mehr zur Debatte. Tiere – auch Wildtiere – werden unter Schutz gestellt. Seien es Nutztiere wie Bienen oder Wildtiere wie Luxe, Biber oder eben Wölfe, die nur auf den zweiten Blick ihren Platz im Ökosystem verdient haben.

Die Wiederansiedlung fast ausgestorbener Arten und den Erhalt bedrohter Spezies lassen wir uns als Weltgemeinschaft viel Geld kosten. Die friedliche Koexistenz ist Thema unzähliger Forschungen, Aktionspläne und auch Schutzgesetzen. In der Europäischen Union, aber auch in der Bundesrepublik wird der Schutz des Wolfes über Gesetze geregelt.

Der Abschuss von Wölfen als geschützte Art steht unter Strafe

Eindeutig ist die Aussage in den Gesetzen, dass der Herdenschutz (Beispiele EU) über dem Wolfsabschuss zu stehen hat. Ein Wolf darf erst dann abgeschossen werden, wenn alle Herdenschutzmaßnahmen versagt haben. Andernfalls ist der vorsätzliche Abschuss eines Wolfes eine Straftat und wird mit Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet. Bei einer Bedrohung des Menschen durch einen auffälligen Wolf besteht ebenso ein Abschussrecht. Aber auch das verläuft unter Aufsicht der Naturschutzbehörde.

Die Zahlen der in ganz Bayern gesichteten Wölfe sind noch gering. Wolfsrudel wurden bei uns im Oberland bisher nicht gesichtet. Durchwandernde Tier jedoch schon, wenn auch vereinzelt. Oft ist der Nachweis schwer, da der Fund der Beute und der Riss zeitlich zu weit auseinanderliegen, um den Wolf eindeutig als Beutetier zu identifizieren. Wie auch bei den im Landkreis gemeldeten Fällen.

Anders als oft behauptet wird, gibt es bei den Wölfen ein engmaschiges Monitoring (Dokumentation der Wolfssichtungen), welches jeder für Bayern zum Beispiel hier einsehen kann. Der Herdenschutz, der von großen Teilen der Wissenschaft als bestes Mittel zum Schutz der Weidetierhalter beim Erhalt des Wolfes angesehen wird, fördert die EU zu 100 Prozent. Ebenso wird Schadensersatz zu 100 Prozent gezahlt, sollte das Tier unter Bedingungen des Herdenschutzes gehalten worden sein, als es gerissen wurde.

Zum Herdenschutz erhalten die Nutztierhalter Beratung beim AELF in Holzkirchen und vielen anderen Stellen. Dass Herdenschutz wohl auch funktionieren kann, zeigt eine Initiative in der Schweiz.

„Wolf – Mensch – Nutztier – geht das im Landkreis?“

Rolf Adler, Pastor, Jäger und kirchlicher Umweltbeauftragter aus Hannover ist der Meinung, dass der Mensch ein reflektiertes Wesen sei, welches noch einmal darüber nachdenken sollte, in welch zivilisatorisches und oder kulturelles Verhältnis er sich zu Wolf setzen will.

Ich denke, wir haben es nicht mehr nötig, den Wolf wieder zu vertreiben. In meinen Augen müsste es möglich sein, ein gemeinsames Miteinander hinzubekommen.

Die Redakteure der TS werden in den kommenden Wochen immer wieder der Frage „Wolf – Mensch – Nutztier – geht das im Landkreis?“ widmen. Das Thema ist komplex und bedarf einer intensiven Diskussion auf der Grundlage der bekannten Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

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