Als Adler gestartet, als Suppenhuhn gelandet: Die Idee, eine Kleinststadt wie Tegernsee mit Solaranlagen auf Freiflächen zu versorgen, ist gescheitert. Wollten Wohlhabende eine schöne Sicht behalten?
Eigentlich eine dufte Idee: Über den Tag hat es hier oben am Promi-Hang viel Sonneneinstrahlung. Da könnte was gehen. Nur: Es ist halt der Leeberg, Heimat sehr vieler, sehr wohlhabender Menschen – und – ein Hang mit Rutschgefahr…
Solarstrom vom Millionärshügel?
Manfred Pfeiler ist der Strom-Chef in Tegernsee. Als Geschäftsführer des örtlichen E-Werks obliegt es ihm, immer wieder neue Stromerzeugungsquellen zu finden. Gerade die Hanglage des Ostufer-Ortes bietet sich da an. Speziell die Region zwischen Leeberghöhenweg und Perronstraße hat eine potenziell lange Sonneneinstrahlung. Einsehbar ist das im neuen Solarpotenzial-Kataster des Landkreises. Zwei Flächen hatte die Kommune zu Beginn des Jahres in ihrem Gebiet ausgesucht, sie als möglichen Standort für PV-Anlagen einzusetzen: Eine sollte am Gschwandlerweg oberhalb des Prinzenwegs aufgebaut werden, eine auf der Amerikanerwiese am Leeberg.
Im Stadtrat Tegernsee stellte Pfeifer nun den Sachstand vor und musste eine schlechte Nachricht bekanntgeben. Man habe alles berechnet, die Plätze seien eigentlich perfekt. Schon im Vorfeld hatten Bürger anderer Gemeinden auf der gegenüberliegenden Talseite Bedenken geäußert, ob die Panels sie massiv blenden könnten, der Effekt noch kilometerweit zu erdulden sei. Auch Anwohner sollen, wie man hört, nicht begeistert gewesen sein. Speziell am hochpreisigen Leeberg wollten sich Hausbesitzer nicht die schöne Sicht von einer PV-Anlage verschlechtern lassen. Aber das führte nicht zum Scheitern des Projekts:
Eine Anlage könnte bei Starkregen-Ereignissen ein Auslöser für eine Hangrutschung bedeuten, so Pfeiler. Die Befestigungen für die Anlage in den Erdboden könnten Wassermassen leichter in die ersten Schichten transportieren, die Wiese und Teile des Erdreichs darunter ins Rutschen bringen, eine Katastrophe für untere Bewohner hervorrufen. Auch Bürgermeister Johannes Hagn musste abwinken. “Gutachter haben dringend davon abgeraten. Der Hang ist nicht dafür geeignet.”
Dann rutscht vielleicht der Hang
Man reibt sich verwundert die Augen. Da oben wird gerade in direkter Nachbarschaft eine gigantische Anlage in den Hang gestampft, hunderte Tonnen von Beton in den Boden gespritzt. Auf unsere Nachfrage erklärt Hagn das so: “Die Fundamente der neuen Häuser und deren Tiefgaragen werden massiv verstärkt. Da rutscht nichts, eher funktionieren die als Barriere.” Sorgen mache ihm nur die Substanz der älteren Häuser, die auf die neuen Herausforderungen der klimakrisenbedingten Starkregen-Ereignisse nicht vorbereitet sind. “Wir können aber nicht einerseits massiv uns auf diese möglichen Katastrophen vorbereiten, andererseits mit einer PV-Anlage dann wieder die Risiken verstärken”, betont Hagn. Das hat eine besondere Ironie: Eine Klimakrise sorgt für mehr Starkregen. Das Mittel, um einen Auslöser für dieses Risiko zu minimieren, einzusetzen, wird aber genau deswegen nicht installiert.
Es bleibt also alles beim Alten. In der Sitzung konnte Manfred Pfeiler nur einen kleinen Trost verteilen: Das E-Werk Tegernsee habe vor, sich an den Photovoltaik-Park in Schaftlach zu beteiligen. Dort sollen 1720 Solarmodule eine Jahresleistung von einer Million Kilowattstunden erwirtschaften. Das entspricht den Bedarf von 250 Vier-Personen-Haushalten. Die Investitionskosten liegen bei 700 000 Euro.
Ansonsten könne das E-Werk nur auf weitere Dach-Solaranlagen im Tal hoffen, um alternativen Strom zu erzeugen. Für den Landkreis ist das keine gute Nachricht: Der hatte sich als Gründungsstifter der Energiewende Oberland dem Ziel angeschlossen, die Region bis zum Jahr 2035 vollständig mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Ca. 59 % der Dachflächen im Landkreis, so die Klimaschutzmanagerin Veronika Halmbacher, wären für die Nutzung von Solarenergie geeignet. Derzeit werden aber nur 4,9 % davon zur Stromerzeugung genutzt.
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