Geburtshilfe, Kardiologie, Gefäßchirurgie und Nothilfe – für viele im Tal ist das Krankenhaus Agatharied die naheliegende Adresse. Doch das Krankenhaus kämpft um jeden Cent. Ein Gespräch mit Vorstand, Benjamin Bartholdt:
Wie geht es ihnen und der Belegschaft momentan?
Also, mir geht es gut. Ich gebe aber zu, dass ich mir manchmal ruhigere Fahrwasser und ruhigere Zeiten wünschen würde. Ich glaube, der Belegschaft geht es im Großen und Ganzen auch gut.
Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten ja gerne hier und sind mit viel Herzblut dabei. Das freut mich natürlich erstmal. Gleichwohl ist es natürlich so, dass viele Kolleginnen und Kollegen in letzter Zeit viele Veränderungen in Abläufen oder auch in Strukturen miterlebt haben. Es sind viele Herausforderungen in kurzer Zeit. Diese Veränderungen betreffen manche Abteilungen stärker als andere. Deswegen würde ich die Stimmung insgesamt als heterogen beschreiben. Sie ist nicht durchweg ganz schlecht, aber es ist auch nicht durchweg nur positiv.
Wo liegen denn die Spannungspole?
Ich weiß nicht, ob Spannungspol der richtige Begriff ist, aber wir haben doch einige organisatorische Änderungen vorgenommen. Zum Beispiel im ärztlichen Dienst, da gibt es neue Dienstmodelle in der einen oder anderen Abteilung. Diese Dienstmodelle dann immer unter einen Hut zu kriegen mit tariflichen Anforderungen, gesetzlichen Anforderungen und mit unseren Hauptanforderungen, die eigentlich im Fokus stehen, nämlich gute Medizin zu machen und gleichzeitig wirtschaftlich zu sein, das sind inzwischen vielleicht tatsächlich Spannungspole.
Auch der Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will mit Reformvorhaben ein Stück gute Medizin machen. Trotzdem haben sie Kritikpunkte …
Unser Gesundheitsminister ist nicht unerfahren darin, Dinge in ein positives Licht zu setzen. Doch das, was im Moment im Gange ist, ist ja eigentlich ein ungesteuertes Kliniksterben.
Doch das, was im Moment im Gange ist, ist ja eigentlich ein ungesteuertes Kliniksterben.
Weil Krankenhäuser insolvent gehen, wegen der kompletten wirtschaftlichen Überforderung der Häuser. Da kann ich ehrlicherweise nicht erkennen, wie das zu einer Verbesserung der Versorgung beitragen soll.
Können sie Ihre Kritikpunkte präzisieren?
Die größten Sorgen machen mir eigentlich die Dinge, die in den aktuellen Entwürfen der Reform gar nicht drinstehen. Das, was unsere Fachgesellschaften, unsere Interessensvertretungen, eigentlich alle Kliniken in Deutschland im Moment am meisten bewegt. Nämlich, wie sollen die Kliniken bis zur Reform überleben? Und auch wenn eine Reform dann kommt, wie wird die Umsetzung finanziert?
Zu beiden Punkten gibt es im Moment überhaupt keine Antworten, dabei ist die Lage dramatisch. Deutschlandweit geht man davon aus, dass etwa 10 Milliarden Euro fehlen in der Krankenhausversorgung in diesem Jahr.
Die Fallpauschalen anzugehen ist aber nicht verkehrt, oder?
Das ist richtig, und die Krankenhäuser und auch wir wenden uns überhaupt nicht gegen eine Reform. Wir erkennen an, dass man eine Veränderung herbeiführen muss, weil das System, das wir in der Vergangenheit hatten, so nicht mehr funktioniert. Aber wir haben 2000 Kliniken in Deutschland, wir haben einen großen Fachkräftemangel, nicht nur in den Kliniken, sondern auch in den Pflegeheimen und bei den niedergelassenen Ärzten.
Unser Gesundheitssystem ist ein großes System, das eng verflochten ist, von der Ambulanz, über die akut stationäre Versorgung, bis hin zur Reha und Pflege. Um da Veränderungen herbeizuführen, braucht es Zeit. Das ist das A und O, und diese Zeit muss man sich auch nehmen, damit es gut wird.
Wie viel Zeit bräuchte es denn?
Ich glaube, dass wir da über einen Zeitraum reden, wahrscheinlich von mindestens fünf Jahren, bis man eine vernünftige Veränderung hat. Ein Gesundheitsminister hat es ganz bestimmt nicht leicht. Da sind viele Anspruchsgruppen, die auf ihn einwirken wollen, aber wir leben in einer Demokratie. Wenn man die Widerstände dieser verschiedenen Anspruchsgruppen im Rahmen halten möchte, dann muss man sie einbinden. Ohne Einbindung wird das nicht funktionieren. Der momentane Ansatz erscheint jedenfalls ohne oder mit zu wenig Einbindung. Man hat sich da mit 16 Experten in einer Expertenrunde am grünen Tisch zusammengetan, und einfach etwas entwickelt. Das findet im Kleinen wenig Akzeptanz, etwa hier bei uns im Krankenhaus, aber auch im Großen, wo es um unser ganzes Gesundheitssystem geht.
Schauen wir nochmal konkret auf das Krankenhaus Agatharied: Es geht ja auch darum, Krankenhäuser zu verkleinern bzw. zu zentralisieren? Also Krankenhäuser hinsichtlich ihrer Qualität vergleichbar zu machen. Haben sie die Sorge, dass Agatharied nur noch die Grundversorgung übernehmen kann?
Die Level sind ja aktuell vom Tisch, diese konkrete Sorge habe ich nicht mehr. Aber, als die noch auf dem Tisch waren, war das für unser Haus nicht ausgeschlossen, und allein das habe ich schon als dramatisch erachtet. Denn das hätte bedeutet, dass hier viele, viele Leistungen, angefangen von der echten Notfallversorgung, wie beim Herzinfarkt, über die Gastroenterologie, bis hin zur Geburtshilfe, alles wegfallen hätte müssen. Das wäre natürlich dramatisch gewesen.
Jetzt sind die sogenannten Leistungsgruppen auf dem Tisch. Was man uns für Leistungsgruppen zugestehen wird und wie hoch dann die Strukturvoraussetzungen sind, die dann an die Erbringung der jeweiligen Leistungsgruppe geknüpft werden, das ist noch unklar. Wenn das genauso oder zumindest ähnlich umgesetzt würde wie in Nordrhein-Westfalen, dann bin ich eigentlich relativ zuversichtlich für unser Haus.
Das hieße, sie könnten das bisherige Spektrum in etwa erhalten, würden z. B. Traumazentrum bleiben; die Geburtshilfe, Kardiologie, Gastroenterologie, etc. könnten bleiben …?
Genau …
Wie versuchen sie das Personal einzubinden oder darauf vorzubereiten? Sicher haben einige Angst, ihren Job zu verlieren, andere schauen sich vielleicht um …
Wir versuchen zum einen intern möglichst transparent zu kommunizieren, woran wir gerade arbeiten und was unsere Ziele sind. Ich hoffe sehr, dass zum Beispiel in der Pflege überhaupt keine Ängste vor Jobverlusten bestehen. Wenn das anders wäre, hätten wir tatsächlich irgendetwas falsch gemacht.
Teil unseres wirtschaftlichen Problems ist eher, dass wir zu wenig Pflegekräfte haben und teuer Fremdpersonal zukaufen müssen oder nicht alle Betten betreiben können. Deswegen ist eines unserer Hauptziele, dass wir besonders für die Pflege, für alle Kolleginnen und Kollegen gute Arbeitsbedingungen schaffen und dass wir mehr Personal für die Pflege bekommen können. Das ist eigentlich das Thema, woran wir auf Hochtouren arbeiten.
Aber natürlich ist es auch so, dass nach Pandemie, strategischer Neuausrichtung und jetzt unklarer Krankenhausreform mit unklaren Wirkungen uns ein bisschen Leichtigkeit und Unbeschwertheit fehlt. Ich bin aber sicher, dass wir diese im Laufe der Zeit zurückgewinnen werden.
Wenn sie jetzt sich eine Zukunftsvision schustern könnten: Was würden sie sich wünschen? Was ist realistisch?
Wenn Sie mich fragen, was ich mir wünsche, dann wäre das für mich ein Krankenhaus Agatharied, das auch in Zukunft ein starkes Leistungsangebot anbieten kann. Das auch weiterhin sektorübergreifende Angebote im ambulanten Bereich, aber auch im Bereich der geriatrischen Rehabilitation anbieten kann. Eben eine gute Rundumversorgung der Bevölkerung.
Und was wir zudem in Zukunft brauchen werden, ist eine noch stärkere Vernetzung, zum Beispiel über telemedizinische Anbindungen – mit unseren niedergelassenen Ärzten, mit den universitären Zentren in der Region, aber auch mit unseren Nachbarkliniken. Denn das würde es uns auch in Zukunft weiter ermöglichen, dass wir unseren Patienten immer die beste Lösung zum jeweiligen Problem empfehlen können, auch bei seltenen Erkrankungen, die wir nicht im Alleingang, aber in Kooperation versorgen können. Ein gutes Beispiel hierzu ist unser FIT-Projekt, bei dem schon heute die Spezialisten der Neuroradiologie aus der München-Klinik mit dem Hubschrauber einfliegen, um gemeinsam mit unseren spezialisierten Neurologen seltene Formen des Schlaganfalles vor Ort in Agatharied zu versorgen.
Angenommen ich schenke Ihnen noch ein Batzen Geld zum Abschuss, was packen sie an?
Das wäre sehr schön. Ich habe mich schon gefragt, was sie in ihrer Tasche haben? Ich habe lange darüber gegrübelt. Es gäbe so viele schöne Verwendungsmöglichkeiten, aber am allerwichtigsten ist im Moment die Akquisition von Pflegefachpersonal. Das ist das wichtigste Thema, einmal für uns als Krankenhaus, aber auch insgesamt als gesellschaftliche Aufgabe für uns als alternde Bevölkerung. Gerade für die Gewinnung von gut qualifizierten Mitarbeitern aus dem Ausland und deren Integration hier bei uns brauchen wir nämlich echte Maßnahmen, die auch eine Menge Geld kosten. Sie sehen also, Ihr Batzen Geld wäre gut angelegt.
Herzlichen Dank für das Interview
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