Eine Kolumne von Martin Calsow
Langlaufen – die Rache der wirklich Alten

Frauen werden im Alter wie Rotwein – immer besser. Männer sind wie offene Milch. Irgendwann riecht es halt. Unser Autor liegt nun vier Jahre über dem Altersdurchschnitt im Tal. Da fallen ihm an sich und anderen ganz neue Dinge auf. Er gießt sie in Kolumnen. Heute: Langlaufen – die Rache der wirklich Alten.

Seit Abfahrts-Ski etwas für unsere Nachbarn aus dem Westen mit den gelben Nummernschildern und für präpotente Münchner mit Hang zur Cabriolette oder Riesen-SUV geworden ist, wechseln die wahren Wintersport-Connaisseure auf die Loipe.

Das ist natürlich Quatsch. Man wechselt auf die Loipe, weil das um Kondition und Herzgesundheit besorgte familiäre Umfeld (aka fU) das sagt, oder weil man in einem Alter ist, in dem man orthopädische Fachbegriffe wie „Baker-Zyste“ kennt. Kurz: Weil man den Boandlkramer schon in der Ferne zu sehen glaubt.

Der Ungeübte hat schnell Erfolgserlebnisse, vermeidet jedoch anfangs die wichtige, jedoch nicht so einfache Technik des Bremsens. Wer bremst, verliert. Haha. Stimmt schon nicht auf der A8 und noch weniger auf der Loipe. Die besorgten Blicke des fU ignoriert man höhnisch. Ist Langlauf doch nichts anderes als Walken auf Brettern, also Sport für Menschen im Klimakterium oder mit Haarausfall und/oder eben Baker-Zyste.

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Zurück bleibt der fassungslose Anfänger

Munter schiebt sich der Anfänger also über die frisch gespurte Loipe (hier noch einmal einen herzlichen Dank und ein Vergelt’s Gott an all’ jene, die morgens und abends spuren). Der Herr wurde beim örtlichen Sportgeschäft kompetent beraten, hat aber nur zur Hälfte zugehört, weil ihn die Farben der Skier mehr interessierten. Nun stemmt er, hält mühsam das Gleichgewicht und presst die Lippen zusammen. Hier zwickt es im Adduktorenbereich (oder ist es doch wieder die Leiste, die bereits repariert wurde?), da spannt es (der Ranzen, kein Zweifel).

Aber dennoch wird weiter, schwitzend und leise fluchend, gefahren. Warum? Wegen der anderen… Weil die rüstige Hundertjährige mit blauen Haaren und in der aktuellen lavendelfarbenen Ski-Mode des Jahres 1977 an einem schwungvoll und mit Stockeinsatz nach Lehrbuch vorbeizieht. Weil der buckelige Mann, der Luis Trenker einst die Skier wachste, mit einem zünftigen „Servus“ auf die linke Spur geht und von dannen zieht.

Zurück bleibt der fassungslose Anfänger, der doch einst jede, wirklich jede Sportart (Billard, Dart etc.) schnell und professionell erlernte. Dieser Traum wird jäh am nächsten Hang zerstört. Fährt Gevatter Tod und Großmutter im Blumenmuster-Overall entspannt mit den Stöckern unter den Achseln, hinunter, zittern dem Mittvierziger oben an der Kante zum Abgrund schon die Knie. Denn unten wartet eine tückische Kurve und damit der unweigerliche Sturz ins Ungewisse. Meist rauscht noch rechts oder links die Weissach, und man sieht sich auf peinliche Weise in einem kniehohen Wasser ertrinken.

Irgendeiner ist immer schuld

Hier ist Rhodos, hier springe ich: Abwärts. Immer schneller geht es, die Nase ist schon da, so weit reckt man sie nach vorn. Wie bei einer Nonne aus dem Emsland werden die Beine zusammen gepresst, und man schafft es in die rettende Ebene – fast. Denn irgendein Depp war schon vorher hier und hat die Spur beschädigt. Glaubt man zumindest. Irgendeiner ist immer schuld. Jedenfalls zieht auf mirakulöse Weise das rechte Bein hinaus in die Weiten der Spur, das linke zurücklassend. Das Resultat ist ein unwürdiger Versuch eines Spagats, der mit einem Sturz in Slow Motion endet. Das ist meist Youtube-videowürdig.

Hier liegt nun der Mann in Schmerzen und begreift das Langlaufen und speziell den Sturz als eine Gesamt-Metapher auf das Leben: Wir wollen elegant in die Spur des Lebens steigen, aktiv und selbst das Tempo unserer Lebensfahrt bestimmen. Zurück bleiben wir als unfähige Käfer, auf der Loipe krabbelnd, verzweifelt auf die Beine kommen wollend, als mahnendes Beispiel für alle, die mit süffisantem Lächeln vorbeiziehen und denken: was für ein Depp!

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