Sinkende Mitgliederzahlen, fehlendes Personal – die Protestanten im Tegernseer Tal müssen zusammenrücken. Die Gemeinden werden fusioniert. Wir haben Pfarrerin Arzberger aus Bad Wiessee und Pfarrer Martin Weber aus Tegernsee getroffen.
Bemüht man ein abgedroschenes Bild für den Zustand der örtlichen Kirchen im Tegernseer Tal, schaut man sich die Bausubstanz der Gotteshäuser an. Bei den Katholiken in Bad Wiessee bröckelt der Putz, einen Steinwurf weiter sieht es bei den Evangelen nicht anders aus. Eingerüstet, wird die Kirche – zwischen Autohaus und Landschaftsgärtner-Betrieb – gerade renoviert. Die Stufen zum Eingang gesperrt, weil brüchig.
Aber dann, auf der anderen Seite, kaum rief die Pfarrerin Sabine Arzberger zum Spenden auf, kam das Geld binnen Wochen zusammen.
Die größten Spenden erhielten wir von Menschen, die nicht oder nicht mehr in der Kirche sind
Sabine Arzberger
Ihr Kollege Dr. Martin Weber von der anderen Seeseite aus Tegernsee kann das nur bestätigen. Der 53-jährige Theologe hat sich in den vergangenen Jahren unter anderem der Kinderbetreuung verschrieben, neun Kitas im Tal aufgebaut.
Also einerseits schwindende Mitgliederzahlen und eine mit sich selbst und ihren Skandalen beschäftigte Amtskirche und andererseits zwei engagierte Kämpfer für den Glauben vor Ort, die zuweilen vielfältige Sozialarbeit übernehmen. Eine Arbeit, wie die Schaffung von Kita-Plätzen, die eigentlich der Staat zu übernehmen hat.
Ent-Christianisierung im Tegernseer Tal
Jetzt die Fusion, die so wirkt wie eine schleichende Kapitulation vor einer immer größer werdenden Ent-Christianisierung im Tegernseer Tal. Einem Gebiet, welches schon immer eine Diaspora für die Protestanten war. Nur – so wie Arzberger und Weber – leidet auch die Katholische Kirche unter Mitgliederschwund und langsam deutlich zutage tretender gesellschaftlicher Irrelevanz.
Ich kam nach Bad Wiessee und wusste, es muss sich etwas ändern“, sagt Arzberger, als wir im leeren Gemeindesaal am Tisch sitzen. In der Pandemie hatte sie gerade sechs Konfirmanden zu betreuen. Die Reihen in den Gottesdiensten sind licht. „Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig“, sagt Martin Weber lakonisch. In Bad Wiessee sind es offiziell 1.000 und drüben in Tegernsee 2.000 eingetragene Luther-Christen. Die Fusion lag auf der Hand.
Arzberger und Weber verständigten sich auf einen proaktiven Befreiungsschlag, wollten den Wandel selbst gestalten: Gemeinsame Gottesdienste im Wechsel, Zusammenlegung der Arbeit und Verwaltung. Weber übernimmt die Geschäftsführung, Arzberger ist seine Stellvertreterin und Inhaberin der zweiten Pfarrstelle. Denn von 2035 soll es, so sieht es ein Plan der Landeskirche vor, nur noch anderthalb Stellen für den gesamten Bereich Tegernsee geben.
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Tegernseer Tal
Zum 01. Januar 2024 hat dann die Landeskirche dem Antrag der beiden Kirchenvorstände auf eine Fusion der beiden Kirchengemeinden Tegernsee, Rottach-Egern und Kreuth sowie Bad Wiessee mit Waakirchen, Marienstein und Hauserdörfl stattgegeben. Der neue Name: „Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Tegernseer Tal“.
“Für die Gläubigen wird sich nicht viel ändern”, beruhigt Weber. Schon jetzt gibt es seit einem Jahr einen gemeinsamen Gottesdienstplan. Die organisatorische Zusammenlegung der Verwaltung passiert im Hintergrund. Bis auf Gmund, hier zögerte man noch mit einem Anschluss, sind dann alle Orte mit den knapp 3.500 Gemeindemitgliedern „im Glauben“ vereint. In Bad Wiessee sind 1.000 Erstwohnsitzler evangelisch gemeldet, in Tegernsee 2.000 und in Gmund wiederum knapp 1.000. Gut 800 protestantische Zweitwohnsitzler kommen hinzu.
Warum übernahm Weber und nicht Arzberger die Geschäfte? „Martin hat die immense Verwaltung des Kita-Verbunds aufgebaut und kennt das In- und Auswendig. Es wäre nicht klug, wenn ich mich in diese Arbeit zusätzlich einarbeitete. Ich bin darüber ganz froh.“, so Arzberger.”
Schon jetzt arbeiten sie nach eigener Auskunft über dem regulären Wochenzeit-Limit. Und dann erzählt sie, wie sie ihre Kinder in München besuchen wollte, schon im Auto saß, als eine Frau zu ihr an Auto trat. „Ihr Mann sei gerade verstorben, ob ich ihn aussegnen könne. Natürlich mache ich das dann.“ Weber nickt:
Der Pfarrberuf ist eben keine reine Dienstleistung nach Öffnungszeit. Wir sind für die Menschen immer da. Martin Weber
Beide Theologen waren und sind zum Teil noch in der Krisenintervention tätig. Auch da gilt: Unfälle, Suizide – all die Schrecken, die uns aus der scheinbaren Kontrolle des Lebens reißen, sind nicht planbar, gehorchen keiner normalen Stundenwoche. „Ich bin gern für die Menschen da, deswegen haben wir dieses Amt gewählt. Wir mögen Menschen“, sagt Weber. Ein einfacher Satz, mit unglaublicher Wirkung, wenn man aktuell umgeben von Protest, Wut und Unzufriedenheit ist.
Es wird Abend. Weber muss zum Essen mit seiner Familie, danach wartet noch ein Seelsorge-Gespräch auf ihn. Arzberger mag diese Arbeit, aber der mittlerweile mühsame Verwaltungsaufwand, das tägliche Kümmern um das Gemeindehaus und die Baustellen-Orga frisst Seelsorge-Arbeit. Hier ist eine Institution im Wandel zu beobachten, deren Mitglieder vor Ort eine gesellschaftliche Veränderung tragen und ertragen müssen, die sie kaum steuern können.
Gottesdienst am Pfingstsonntag
Die beiden Gemeindepfarrer wollen mit den Menschen die Fusion feiern. Sie laden zu einem Gottesdienst am Pfingstsonntag (19. Mai 2024) um 10 Uhr in die Auferstehungskirche nach Rottach-Egern ein. Danach können sich die neuen gemeinsamen Gemeindemitglieder bei Kaffee und Kuchen kennenlernen.
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