Zum Freispruch des Unternehmers Much:
Nackte Satire oder Machtkritik am Grünstreifen?

Ein Unternehmer ist sauer auf “die-da-Oben”. Weil er zu lange im Internet gedaddelt hat, lädt er sich ein Plakat in den Garten: Pardon; er lässt es drucken und tackert es an zwei Bauzäune. Dafür gibt es Ärger und viel Applaus von der rechten Seite.

Geht das auch ohne Rechtsprechung? Geht wohl nicht. Foto: Redaktion

Meinungsfreiheit, ein hohes Gut. Versichert in unseren Grundrechten; Sauerstoff unsere Demokratie. Im Internet hingegen ist Meinungsfreiheit eher Narrenfreiheit, von vielen – Trolls hat man sie früher genannt – verstanden als Freiheit zu hassen und zu hetzen. Hier regiert das emotionale Geschwurbel über jede Sachebene. Was hat das mit den “Grünen-Spott-Plakate” zu tun, wie jetzt alle Medien einvernehmlich den Terminus übernommen haben? Bloß kein Spaßverderber sein, noch schlimmer eine Spaßverderberin. Wo kommen wir denn da hin? In den Ruheraum der Demokratie? Bitte alle zurück zum Aufguss, es war nur nackte Satire und zudem ein legitimes politisches Statement.

Zwei Punkte, die zumindest zum Nachdenken anregen: Erstens, es handelt sich nur zum Teil um ein analoges Ding. Zweites: Machtkritik ist legitim. Kritisiert wurde auf den Plakaten aber nicht die Bundesregierung. Kritisiert wurden die Grünen.

Anti-Christ: Bündnis 90 / Die Grünen

Wer unzufrieden mit der Politik ist, kann mit ein paar Klicks auf Grüne Bundespolitik eindreschen. Das Netz ist quasi die All-in-One-Lösung: Shops, die mit dem Hass gegen die Grünen Geld verdienen. Da gibt es T-Shirts, Aufkleber, Kaffeetassen, Buttons, etc. – sie kommen mit so aufbauenden wie sinnentleerten Sprüchen “Deutschland schafft sich ab”, “wer grün wählt, wählt Steinzeit” oder “Demokratieverarschung.”

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Von da ist es nur ein Klick zu Gleichgesinnten in Facebook-Gruppen oder privat anheimelnden Channels. Hier versichern sich die Jünger ihrer eigenen Wahrheiten in liebevollen Memes und “Share-Pics”: Die Grünen sind schuld an meiner individuellen Lage. Die Demokratie und nicht zu vergessen die Impfung gegen HPV.

Der Leserbrief an die Zeitung, ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten des Landkreises, die Wortmeldung auf einer Bürgerversammlung, eine Prise Kunst im öffentlichen Raum aka Gummistiefel über den Ortsschildern; alles Beispiele wie man wirken kann. Wer sich im Gemeinderat zu Wort meldet, muss auch anderen Rednerinnen zuhören, die eine andere Meinung vertreten.

Wie viel einfacher ist es da, die liebgewonnenen Erkenntnissen auf die Straße zu knallen. Möge die selbstverliebte “Weder-rechts-noch-links”-Digital-Blase im analogen Gmunder Grünstreifen ihr eigenes Echo feiern.

Machtkritik: Ei, wer regiert denn da?

Die Grünen sind Koalitionspartner. Sie bilden die Regierung zusammen mit der SPD und der FDP. Die Grünen haben 118 Sitze, die SPD 208 und die FDP hat 91 Blockade-Sitze. Auf dem Plakat sind nur Bundespolitiker der Grünen abgebildet: Robert Habeck (Wirtschaftsminister), Annalena Baerbock (Außenministerin), Ricarda Lang und Cem Özdemir (Landwirtschaftsminister). Wo ist Christian Lindner (Finanzminister) auf dem Plakat? Hubertus Heil (Arbeitsminister)? Karl Lauterbach (Gesundheitsminister)? Volker Wissing (Verkehrsminister)? Sie werden anscheinen “verschmäht”; sie sind eben nicht gemeint, weil der Hass auf die Ampel zwar zunimmt, aber nicht so anschlussfähig ist wie der Hass gegen die Grünen.

Der Richter hätte das Plakat auch als “Schmähkritik” interpretieren können. Er hat aber noch etwas sachliches darin gesehen und so der Deutung Vorrang gegeben, dass es sich bei dem Plakat um ein politisches Statement handle. Ein politisches Statement, das viele Lesarten hat. Unter anderem, dass es okay ist, die politische Autorität von Frauen zu untergraben. Dass es selbstverständlich ist, vor den Ohren der Öffentlichkeit stundenlang über Ricarda Langs Gewicht zu debattieren. Und dass wieder einmal die männliche Sicht entscheidet, was kränkend ist und was nicht.

Herr Much, der im Ortsverband der CSU ist, hat damit für Aufsehen im Ort und im Netz gesorgt. Das Urteil des Amtsgerichts dafür, dass jetzt weitere und schärfere Plakate in dieser Art aufgestellt werden können. Much wird dafür vor allem von denjenigen gefeiert, die so einen Ortsverband grundsätzlich infrage stellen.

P.S. Habeck und Lang haben keine Strafanzeigen gestellt. Die Strafanzeige kam von der Polizei Bad Wiessee und hier vom Staatsschutz. Annalena Baerbock wiederum hat Strafanzeige gestellt. Warum auch nicht?

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