Der Widerstand gegen den Neubau nimmt Fahrt auf. Nur ein Zwergenaufstand? Oder ist das die Zukunft?
Die Gruppen sind völlig unterschiedlich – nur ihr Ziel eint sie. Drei Kreise widersetzen sich den Projekten des Gemeinderats zum Neubau: Stefan Berghammer und seine Mitstreiter fielen in der Pandemie durch obskure Plakate im Ort auf, waren aber die ersten, die mit Köcks Plänen unzufrieden waren, sich in den ersten Versammlungen dagegen stellten.
Dann tauchte vor wenigen Wochen die Familie Mair aus. Der Mann, ein Ex-Angestellter der BASF, und mit seiner Frau seit sieben Jahren in einem ökologisch wertvollen Neubau in Rottach-Egern lebend, wollen ein grundsaniertes Haus haben, dem Klima und dem Ortsbild zuliebe. Jüngst stießen noch die Familie Schneider dazu. Sie sind politisch interessierten Rottachern durchaus bekannt. Sie vertraten einst die FDP im Gemeinderat, haben ein Architekturbüro und wetterten schon gern gegen Neubauten wie der Splitthalle im Grea Wasserl Gebiet.
Kurz: eine bunte Mischung an Widerständlern, die sich gegen das Rathaus-Projekt in Rottach-Egern stemmen. Man merkt Christian Köck, wie aber auch anderen Gemeinderäten die Verwunderung und durchaus auch die Frustration über diesen Angriff an. Sie sind allesamt keine Polit-Profis. Wenn sie dann mit schierer Wut, den zum Teil strafrechtlich relevanten Unterstellungen (“das hat Geschmäckle”) einiger Bürger konfrontiert werden, reagieren sie nahezu konsterniert.
Das passiert nicht nur in Rottach-Egern. Im Sommer erlebte Wiessees Bürgermeister, Robert Kühn, auch so eine Tirade einer Bürgerin. Die echauffierte sich bei einer Info-Veranstaltung zum Gasthof zur Post, monierte die Größe der Personalwohnungen, ließ sich nicht beruhigen.
Immer passt was nicht. Zu teuer, zu groß. Anders wäre es viel besser. Aber grundsätzlich heißt es: Lasst doch alles, wie es ist. Ob Feuerwehrhaus, Rathaus-Glockenturm oder Badepark.
Was ist das los?
Drei Gründe treten immer deutlich hervor: Da ist die Kostenexplosion für das neue Feuerwehrhaus in Tegernsee. Einst mit sechs Millionen Euro den Bürgerinnen und Bürgern verkauft, werden sich die voraussichtlichen Gesamtkosten auf 16 bis 17 Millionen Euro* hochgeschraubt haben. Die Gründe sind vielfältig: Nachplanungen, Verzögerungen (auch wegen Initiativen), massive Kostensteigerungen bei Baustoffen und Arbeiten und eine Pandemie, die ebenfalls zu Verzögerungen geführt hat.
Nichts davon war vorhersehbar, die Kommune trägt keine Schuld daran, aber die Zahlen sind nun einmal in der Welt, werden oft, sehr oft von der Kritik kommunaler Projekte hervorgeholt, um die Sinnhaftigkeit von Neubauten infrage zu stellen. Da kann noch so sehr erklärt werden. Großprojekte für die Zukunft wirken sich dann auf gegenwärtige kommunale Leistungen aus, glauben manche zumindest. Werden dafür nicht aktuelle Projekte gekürzt, oder gar kommunale Steuern (Stichwort Zweitwohnung) nach oben gedreht?
Und da greift dann in den nächsten Grund: Das Tal ist alt. Es wird von einer großen Mehrheit der 60+-Generation bevölkert. Die stellen das Gros an Besuchern (sic!) der Bürgerversammlungen. Klar, wer viel Tagesfreizeit hat, hat dafür Zeit. Das ist lediglich eine Feststellung. Auf den ersten Blick ist bürgerliches Engagement nach dem Berufsleben eine tolle Sache. Wenn da nicht eine sehr menschliche Regung wäre.
Es soll alles so bleiben, wie es ist. Es gibt Studien zuhauf, die belegen, dass Menschen mit zunehmendem Alter ihre Umwelt bitte nicht verändert haben möchten. Manchmal äußern ältere Menschen, dass sich Veränderungen für sie doch gar nicht mehr «lohnen». «Ältere haben oft ein negatives Altersbild», sagt Hans-Werner Wahl, Altersforscher an der Universität Heidelberg. Jeder Abriss, jeder Neubau, jede Straße, jede neue Technik ist Menschen jenseits der 50 zunehmend ein Graus.
Aber auch ihre Erfahrung unterstützt sie in dieser Grundhaltung: Sie sahen in ihrem Leben schon sehr viele Projekte, die ihr Umfeld nicht besser machten. Ältere Rottacher kennen noch die ins Ortsbild passende Überfahrt. Das schöne Haus wurde zugunsten eines monströsen Hotelbaus abgerissen, welches auch mit den Jahren nicht schöner wurde. Solche Neubauten bestätigen in der Überzeugung, dass in unserer Heimat besonders Obacht gegeben werden muss, wenn private Bauherren oder Bürgermeister eine schöne, neue Welt verkünden.
Aber Rathaus, Feuerwehrzentrum oder Schwimmbäder – das sind Investitionen in die Zukunft. Davon werden unsere Kinder, unsere Enkel profitieren. Wir sollten also uns sehr genau überlegen, ob mit Groß-Protesten gegen Gemeinderat-Entscheidungen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Denn jeder Bürgerentscheid lässt gewählte Vertreter resignieren und Projekte für die Zukunft Nachfolgern überlassen. Eine kluge Frau sagte einmal: “Eine Gesellschaft wird groß, wenn alte Menschen Bäume pflanzen, in deren Schatten sie nie sitzen dürfen. (sinngemäß, Anmerkung der Redaktion.)”
*In einer früheren Version schrieben wir, dass die Kosten für das Feuerwehrhaus bei über 18 Millionen Euro lägen. Das ist nicht korrekt. Derzeit werden die Endkosten von der Verwaltung zwischen 16 bis 17 Millionen Euro beziffert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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