Nachlese zum Bürgerentscheid:
Rottach-Egern: Bürgerentscheid als Symbol der Zeit und des Unmuts?

Es war der erste Versuch einer direkten Demokratie in Rottach-Egern. Warum kam es soweit? Was bleibt davon?

Gunther Mair und Christian Köck geben sich nach dem Bürgerentscheid die Hand. Foto: Redaktion

Stefan Berghammer wanderte von einem Schulraum zum anderen. Gab seinen Mitstreitern Getränke. Wollte sichtbar sein. Bei manchen erzeugte er aber schlicht Zorn. Oft genug verdrehten Menschen hinter seinem Rücken die Augen. Die Wochen der Auseinandersetzung zeigten am Sonntagabend ihre Wirkung. In Rottach-Egern gibt es einen Graben in der Bürgerschaft. Auf den Besucherplätzen saßen die Gegner des Rathaus-Neubaus dicht gedrängt. Am Ratstisch waren einige (nicht alle!) Gemeinderäte versammelt.

Als das Ergebnis bekannt gegeben wurde, herrschte für Sekunden Schweigen im Raum. Keiner wollte feiern. Zaghaft klopften einige. Für einen Handschlag zwischen Initiator Gunther Mair und dem Bürgermeister Köck reichte es dann doch. Die Gruppe um Stefan Berghammer war da schon auf dem Heimweg.

Über Wochen eine harte Auseinandersetzung

Im Vorfeld zum Bürgerentscheid Rathaus-Neubau oder Sanierung hatten Vertreter der Bürgerinitiative Zweifel an der Integrität der Wahlhelfer geäußert. Nun saßen einige von ihnen als Beobachter in den Abstimmungs- und Auszählungszimmern, beobachteten wie OSZE-Kontrolleure in Quasi-Diktaturen die Arbeit der Wahlhelfer. Dieses Misstrauen überschattete seit Wochen das Bürgerbegehren und den daraus resultierende Bürgerentscheid in Rottach-Egern. Seit über einem Jahr nun wurde das Projekt zum Rathaus-Neubau diskutiert. Vor zwei Jahren war es verabschiedet worden. Schmunzelte man anfangs noch über die Widerständler, wuchsen über die Monate ihre Kräfte. Am Ende mussten sie sich knapp geschlagen geben. Was bleibt?

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APO in Rottach-Egern

Christian Köcks Lernkurve zur außerparlamentarischen Opposition dürfte gewaltig sein. Dem Bürgermeister entglitten in manchen Diskussionen die Emotionen, was nicht hilfreich, aber angesichts der Vorwürfe zuweilen auch verständlich war. Er musste in den letzten Wochen wirklich alle Fürsprecher mobilisieren. Denn der Trend gegen einen Abriss wurde immer stärker. Auch im Gemeinderat wurden Zweifel laut. Einige fürchteten eine Niederlage, und wollten sich vielleicht auch vorsorglich auf die Gewinnerseite schlagen. Andere hatten genug von den Klagen der Sanierungsbefürworter, wollten ihre Ruhe. Überhaupt wenige schienen sich um das Wohl der Mitarbeiter in der Verwaltung zu sorgen. Deren Arbeitsbedingungen waren selten in Diskussionen ein Thema. Auch hier offenbarte sich eine üble Ignoranz gegenüber einer sehr gut funktionierenden Verwaltung.

Warum über 40 Prozent für eine Sanierung?

Zum einen lag das an einer romantischen, aber wenig sachlich fundierten Liebe zu einem Uhrenturm, der manchen zu einem Neubau-“Nein” bewog. Zum anderen ist Rottach-Egern mit einer älteren Bevölkerung ‘gesegnet’, die, ob zugezogen oder einheimisch, keinerlei Veränderungen haben will. Zudem sahen viele Wähler die Kosten. Sie wirken für viele in aktuellen Sparrunden-Zeiten unangemessen. Ob sich die Gemeinde angesichts gut gefüllter Haushaltskassen das leisten kann, ist dann irrelevant. Es geht ums Gefühl. Und die Proteste der letzten Wochen ‘gegen die da oben’ waren sicher auch nicht hilfreich.

Mit fast 55 Prozent Zustimmung kommt der Abriss-Bagger

Er wird in sich gehen müssen und aus dem Entscheid seine ganz eigenen Lehren ziehen. Das gilt auch für seine Kollegen um den See herum. Heute das Rathaus, morgen das Hallenbad oder die KITA in Gmund? Einige Initiatoren der Initiative haben Gefallen an dieser direkten Form der demokratischen Entscheidungsprozesse gefunden. Für Rottach-Egern war es der erste Bürgerentscheid. Es wird im Tal sicher nicht der letzte sein.

Kunstwerk in der Mittelschule – Am Sonntag Ort des Bürgerentscheids in Rottach-Egern: Foto: Redaktion

Aber ist das eigentlich sinnvoll? Woher kommt das Misstrauen gegenüber gewählten Vertretern? Gunther Mair, Initiator des Entscheids und Neubürger in Rottach-Egern, sagt: “Das Wichtigste war mir, der Bürgerschaft die Möglichkeit zu geben, sich demokratisch an dem Prozess zu beteiligen. Das ist passiert.” Dieser Satz ist voller Selbstgefälligkeit. Er impliziert, vielleicht ungewollt, das Fehlen demokratischer Abläufe in der bisherigen Kommunalpolitik. Dazu passt, dass aus der Initiative heraus Dutzende Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Verwaltung des Ortes an die Kommunalaufsicht verschickt wurden, oder die Wahlhelfer-Kritik. Bislang wurden alle Beschwerden von der Kommunalaufsicht abgelehnt. Aber jene, denen die Vorwürfe gemacht wurden, hat es zuweilen wohl schlaflose Nächte beschwert. Musste das sein?

Direkte Demokratie – wichtiges, aber riskantes Alternativmodell

Viele Menschen haben eine romantische Vorstellung von direkter Demokratie. Man kann jenseits der Gremien direkt Einfluss nehmen als Bürger. Es riecht nach Basis. Nur: Bürgerentscheide werden eben auch gern von Populisten genutzt, komplexe Abläufe auf unterkomplexe Formeln heruntergebrochen. Sie suggerieren: Die da oben machen ihr eigenes Süppchen. Wir hier unten wissen es besser. Das ist meist falsch. Der Rottach-Egerner Gemeinderat hat Wochen über den Neubau debattiert, sich sachkundig gemacht und einen Plan präsentiert. Eine, nicht durch Empirie belegbare These: Die wenigsten Bürger sind tief in die Materie eingetaucht. Und genau in dieser fehlenden Kompetenz liegt der Webfehler vieler Direkt-Demokratien. Es ist nicht nur eine Erklärschuld der Politik. Es ist vor allem eine Bringschuld der Bürger, sich maßgeblich vor einer Wahl/einem Entscheid zu informieren.

Wer stellt sich auf?

Diese Bürgerentscheide sind zudem auch ein Symbol unserer Zeit: Das zähe und mühsame Geschäft der Kommunalpolitik will keiner machen. Aufstellen und sich wählen lassen. Viele Abende in Ausschüssen und Gremien sitzen. Sich im Supermarkt blöd anreden lassen. Sich in schwierige Themen einarbeiten. All das ist mühsam. Es kostet Zeit und Energie. Aber mal für ein paar Wochen den Volkstribun geben, gegen Steuergeldverschwendung und ignorante Gemeinderäte anwettern, das bringt Aufmerksamkeit. Mehr Wertschätzung für die Feierabend-Politikerinnen und Politiker wäre angebracht.

Im Frühjahr 2026 wird in vielen Gemeinden im Tal gewählt. Schauen wir mal, wer sich von den Initiatoren aufstellen lässt.

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