Im Juli hat der Gemeinderat einstimmig den Rathaus-Neubau beschlossen. Einigen Bürgerinnen und Bürgern gefällt das nicht, sie klammern am Uhrturm und der Idee zu sanieren.
“Greislig ist’s schon”, flüstert ein Mann seiner Frau beim Reingehen zu. Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung und Architekten des neuen Rathauses wollen ihr Vorgehen transparent machen und haben zu einer Informationsveranstaltung geladen. Etwa 350 Bürgerinnen und Bürger sind der Einladung gefolgt. Bürgermeister Christian Köck (CSU) stimmt die Anwesenden auf die Veranstaltung ein. Sachlich soll es bleiben, die Emotionen “im Griff haben”, das wünscht sich der Rathaus-Chef und betont, dass es hier um “Kommunalpolitik und nicht Parteipolitik” gehe.
Die Vision
Christoph Thomas, projektleitender Architekt der Firma Knerer und Lang, stellt den Entwurf zum Rottacher-Rathaus-Neubau vor. Ziel: Eine “traditionelle, zeitlose Gestaltung”. Er präsentiert das Drumherum um das neue Gebilde, referiert hinein und in die Höhe: Dreigeschossig soll es werden; ein „multifunktionaler“ Vorplatz ist geplant, Tiefgarageneinfahrt, 12 Stellplätze, Kutschen-Umfahrt und Balkone. Fahrradstellplätze für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind angedacht und 14 für die Rathaus-Besucher. Der Brunnen wird umgezogen, aber mitgenommen. Der Vorplatz verspricht irgendwann freundlich zu sein, mit Bänken, die verschiebbar sind. Grüner soll es dann auch werden, so das Versprechen der Vortragenden. Im Erdgeschoss werden unter anderem das Einwohnermeldeamt, die Touristeninformation und das Fundbüro untergebracht. Eine Schiebe-Glaswand trennt die Tourist-Info vom Eingangsbereich, damit die Info auch offen sein kann, wenn das Rathaus zu ist.
Viel Platz zum Heiraten
Im ersten Stock sitzt dann die Hauptverwaltung. Hier sind auch Trauzimmer und Sitzungsaal vorgesehen. Zwei Räume, die sich vermählen lassen, also zusammengelegt werden können. Weil “standesamtliche Hochzeiten zunehmend gefragt sind”, erklärt Köck. Das Untergeschoss ist für Lager und Technikräume, hier sind auch drei Elektroheizstäbe untergebracht, die in kalten Wintern, die Spitzenlast abfangen sollen. Denn das neue Rathaus will ein möglichst nachhaltiges Gebäude werden: PV-Anlagen auf der südlichen Dachfläche, eine Grundwasser-Wärmepumpe, Regenwasser, das auf dem eigenen Grundstück versickert und wenig maschinelles Lüftungsgebläse: mehr Fenster-Auf und Luft-Rein, so die Devise.
Danach ist der Rottacher Architekt, Andreas Erlacher, an der Reihe. Mission: Die Genese des Neubau-Mythos zu entschärfen: “Wir hatten den Auftrag eine Machbarkeitsstudie zu machen, es ging um eine energetische Sanierung, der Neubau war nicht geplant.” Das war 2019 und das Ergebnis war ernüchternd. Das Gerippe des Gebäudes könne den Umbau überleben, so Erlacher, aber dass es kostenmäßig “ein Fass ohne Boden” sei. Erst dann sei die Frage nach dem Neubau aufgetaucht. Und dann habe man erst mal ein halbes Jahr diskutiert.
Die Variante 4, die einige Bürgerinnen und Bürger ans Tageslicht zerren, kommt aus dieser Zeit. Für Erlacher ist sie “deutlich schlechter als ein Neubau” und “eine Wundertüte”, was Maßnahmen und Kosten angeht. Auf die 7,1 Millionen, die in der Öffentlichkeit die Runde machen, müsse man mindestens zwei Millionen draufrechnen. Demgegenüber steht ein neues Rathaus, das laut Planungsleiter aktuell auf 10,3 Millionen geschätzt wird.
Sanieren oder abreißen
Das Publikum, großteils 60 plus, rührt jetzt in der Historie, um das dahinterliegende Gefühl freizulegen. “Monstergebäude” schimpft einer und dass das neue Rathaus das “interessante Ortsbild total zerstört”. “Ist das Rathaus fürs gesamte Tegernseer Tal?” mutmaßt Stefan Berghammer, Initiator der Förder- und Schutzgemeinschaft Rottach-Egern und beklagt, dass man “vor vollendete Tatsachen” gestellt werde. Jetzt wird Köck grantig und erläutert wo, wann und wie oft über den Rathaus-Abriss bereits kommuniziert wurde (Bürgerversammlung, Bürgerbote, Medien, öffentliche Gemeinderatssitzungen). Auch Architekten melden sich zu Wort, die eigene Rechnungen angestellt haben. Einer winkt mit Zettel aus dem Raum. Er habe einen Größenvergleich des alten und neuen Gebäudes dabei. “Dass es doppelt so teuer werde”, meldet sich eine zornige Bürgerin zu Wort. “Ich empfinde den Neubau als zu gigantisch”, tönt es und ein älterer Herr erklärt hartnäckig, dass der Zwiebelturm für “die katholische Prägung dieses Ortes” stehe. Einige interpretieren das Rathaus gar als Ortsmittelpunkt. Das bleibt so unverständlich wie der Kampf um den Zwiebelturm. Doch der Turm sei ein “Publikumsmagnet“.
Der Turm des Anstoßes
“Der Turm ist ein Feigenblatt” offenbart Altbürgermeister Konrad Niedermaier. Dazu ein Blick in die Historie. 1856 ist das Gebäude gebaut. Da war es kein Rathaus. Es diente bis 1926 als Gästehaus. Und ja, in der Pension Valerie soll die Sissi mal übernachtet haben. 1927 hat die Gemeinde Rottach-Egern das Haus erworben (auch wenn es hier strenggenommen die politische Gemeinde noch nicht gab). Da war kein Turm dran. Vielmehr war das Gebäude zu klein für ein Rathaus, erzählt Niedermaier, und dann habe man halt 1959 einen “Rucksack” an die Seiten des Gebäudes gepackt. Weil der nicht ganz so attraktiv war, kam der Uhrturm davor. Um das Rucksack-Debakel zu verstecken.
Damit ist das Rathaus weder ein ortstypisches Gebäude, noch ein Kulturdenkmal. Das hohe Bauwerk ist mit Sicherheit nicht denkmalgeschützt. Der Turm ist also weder mit der “Dresdner Frauenkirche” noch der Münchner Frauenkirche” zu vergleichen, die als Referenzen herhalten müssen. Geht es am Ende gar nicht um das Rathaus? “Wir leben in einer Demokratie”, appelliert Katharina Aust, Standesamtsleiterin in Tegernsee. Die 30-Jährige findet, dass die Diskussion “a bisserl spät” komme. Sie kann gut mit dem Neubau leben und fordert mehr Vertrauen in die Arbeit der Gemeinderäte.
Wäre ein gutes Schlussplädoyer. Doch Gabriele Netzer-Guggenbichler, ebenfalls Architektin, hat etwas auf dem Herzen. Ob man an eine “Klimabilanzierung” gedacht habe und an die “graue Energie”, die mit dem Abriss des alten Rathauses verbunden sei? Da wird es im Saal ganz ungemütlich. Vom Klima möchte jetzt keiner reden. Herr Köck wird jetzt wirsch und will die Dame, die hier nicht wohnhaft ist, zügig in ihre Schranken weisen. Schließlich habe man ja schon in der Ortsplanungssitzung miteinander geredet und das “Weltklima” scheint ihn richtig aufzuregen. Schließlich gehe es um den Rathaus-Neubau und nicht darum, die Welt zu retten.
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