Schulen schaffen es – Familien nicht

Die hohen Inzidenzahlen haben gravierende Auswirkungen – auch auf den Schulalltag und das Leben in den Familien. Fehlende Kontrollen und niedrige Impfzahlen sorgen für einen absurden Test- und Quarantäne-Ablauf. Wir haben Tobias Schreiner, Direktor der Realschule Tegernseer Tal, dazu befragt.

Im Gespräch mit Tobias Schreiner, Schulleiter der Realschule Tegernseer Tal. / Quelle: Tobias Schreiner

Wie gestaltet sich das Leben in Deutschlands größtem Hotspot Landkreis Miesbach? Für die Schulen ist es, gelinde gesagt, eine “Herausforderung”. Jeden Tag testen, immer wieder positiv getestete Schüler “aussortieren”, isolieren und in Quarantäne schicken. Das kostet Zeit, Kraft und Nerven für alle Beteiligten. Einziger Trost: Eltern, die ihre Kinder aus schierer Angst daheim lassen wollen, sind an der Realschule nicht zu finden, sagt Direktor Tobias Schreiner im Interview.

Herr Schreiner, seit einer Woche dürfen Schüler und Schülerinnen wieder in die Schule. Wie ist der Krankenstand unter den Schülern aktuell?

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Tobias Schreiner: Wir haben 670 Schüler, knapp 70 sind Stand heute nicht in der Schule, 31 davon wegen COVID-Hintergrund: 22 waren während der Herbstferien positiv getestet, neun sind enge Kontaktpersonen.

Das sind etwa zehn Prozent der Schülerschaft. Ist das ein normaler Wert?

Schreiner: In der jetzigen Erkältungszeit sind fünf bis zehn Prozent abwesende Schülerinnen und Schüler durchaus die Regel. Ein Teil davon ist auch beurlaubt, zum Beispiel wegen Auswahltests oder Führerscheinprüfungen. Die fünf Prozent, die auf Covid zurückgehen, kommen jetzt halt noch dazu.

Also nicht ganz so schlimm?

Schreiner: Rein zahlenmäßig nicht. Aber die Fälle, die wir hier an der Schule haben, stellen uns vor große Herausforderungen. Jede positive Testung eines Schülers bedeutet für alle Beteiligten einen enormen Aufwand und zuweilen Stress.

Warum? Sie werden getestet, heimgeschickt und das war’s, oder?

Schreiner: Leider nicht, wenn der Schüler abgeholt wurde, fängt für uns die Arbeit erst an. Wir müssen prüfen, neben wem der oder die Schülerin in den vorherigen 48 Stunden saß, also die direkten Kontaktpersonen ermitteln. Das wird dem Gesundheitsamt gemeldet, die wiederum übertragen uns die Aufgabe, eine Quarantäne-Anordnung an die betroffenen Personen auszugeben. Sodann wird der oder die Infizierte heimgeschickt, wo sie zehn Tage in Quarantäne bleiben. Dort sind dann unter Umständen auch die Geschwister betroffen, so sie nicht geimpft sind.

So geht das jeden Tag. Das ist ein ziemlich hoher administrativer Aufwand für uns und eine starke Belastung für die Kinder und ihre Eltern.

Zehn Tage Lernausfall ist schon schlimm…

Schreiner: Es ist ja nicht nur der unmittelbare Zeitraum. Die Schüler kommen aus einer einjährigen Distanzunterrichtszeit. Nicht alle haben ein privilegiertes Umfeld, welches das Lernen permanent betreut hat. Wir beobachten, dass ein Teil der Schüler und Schülerinnen schlicht das Lernen verlernt haben, Konzentrationsschwierigkeiten haben. Wenn sie nun wieder wegen eines positiven Testergebnisses heimgeschickt werden, sich das unter Umständen wiederholt, ist der Lernerfolg zunehmend unsicher.

Es gab Eltern, die ihre Kinder aus Angst vor Ansteckungen nicht in die Schule schicken wollten, im Netz andere aufforderten, es ihnen gleichzutun. Haben Sie solche Fälle auch hier?

Schreiner: Also jene, von denen die Medien, auch sie, berichtet haben, sind hier nicht aufgetaucht. Wir haben eine Handvoll Eltern, die skeptisch bezüglich der Maßnahmen sind. Aber auch das ist wirklich eine kleine Minderheit.

Machen wir als Medien das Problem der “besorgten Eltern” größer als es ist?

Schreiner: Ja, wenn Sie das Narrativ derer übernehmen, die sagen, sie seien die Mehrheit. Das ist nicht der Fall. Der weitaus größte Teil der Elternschaft möchte einfach nur, dass die Kinder möglichst regelmäßig die Schule besuchen können und dafür tragen die Familien auch die Abläufe und Maßnahmen mit. Die Belastung ist also groß.

Wie lange halten Sie als Schule das aus?

Schreiner: Das System Schule, wir als Lehrerschaft, werden das schaffen. Wir sind durch die oben geschilderten Maßnahmen stark gefordert, aber nicht existenziell bedroht wie manche Familien. Kinder, die heimgeschickt werden, müssen betreut werden. Wie organisieren die Eltern das? Welcher Arbeitgeber macht das auf Dauer mit? Hinzu kommen sozial-emotionale Belastungen durch die Isolation, durch das Fernbleiben von der schulischen Gemeinschaft. Das macht mir Sorgen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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