Tegernseer Tal
Soll bloß keiner klagen

Wie knausrige Einzelhändler im Tal einen Trend verschlafen.

Nahaufnahme von Geldscheinen, Symbolbild
Bargeld: haptisch, praktisch, gut? / Foto: Redaktion

Schon bei der Fußball-Euro haben wir uns blamiert. Ausländische Gäste wunderten sich über das halsstarrige Festhalten an alten Bezahlformen. Auch bei uns im Tal ist das noch hier und da üblich. Führt halt zu Kundenverlust.

Neulich beim Bäcker in Bad Wiessee. Eine Schlange bildet sich. Ein Kunde fragt: Welche Karten nehmen Sie? Im etwas genervten Ton kommt es zurück: “Keine. Nur Barzahlung.” Nix mit Smartphone hinhalten oder eine Karte in ein Lesegerät stecken. Hier ist noch letztes Jahrhundert. Gilt auch für den Bäcker einen Semmelwurf weiter. Ergebnis: Man fährt hinauf zum Edeka, nimmt also seinen sieben bis zehn Euro Umsatz mit und lässt ihn bei der Kette. Warum? Der kartengewohnte Kunde lässt sich von einem kniepigen Bäcker, der ein paar Penunzen Gebühr einsparen will, nicht erziehen. Überhaupt bietet der Kurort an der Westseite mittlerweile einen (!) Geldautomaten an. Das alles ist Bezahl-Steinzeit. Warum also setzen noch Einzelhändler auf Bares? Da sind zum einen die Gebühren für das Kartenlesegerät. Fängt bei 50 Euro im Monat an. Hinzu kommen Abzüge bei jeder Abbuchung:  Neben der Gebühr von 0,09 Euro pro Transaktion fallen bei Girocard-Umsätzen zusätzlich Gebühren der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) an: 0,18 Prozent zuzüglich 0,06 Prozent “Serviceentgelt-Girocard.”

Bei Kreditkarten wird es teurer: VISA, Mastercard oder American Express liegen bei Tarifen bis zu 2,5 Prozent des Umsatzes. Kurz: Cash kostet den Händler nix. Bis zu Pandemie war das sowieso nur ein Thema für große Ketten. Der Deutsche hat gern was zum Anfassen. Ohne Scheine fühlte er sich nackt in der freien Marktwildnis. Dann musste aus hygienischen Gründen auf Karte umgestellt werden, und eine junge Generation lernte, wie man mit dem Smartphone zahlt. Jetzt schauen sie verwirrt in das genervte Gesicht der Verkäuferin, die schon zehn Mal an diesem Tag Kunden ohne Cash wegschicken musste. Da geht er hin, der Umsatz. Schnell verliert der Einzelhändler am Tag Umsatz, weil der genervte, aber bargeldlose Kunde von dannen zieht.

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Dabei liegen die Vorteile auf der Hand:

Durch die Kartenzahlung werden Kleinbetragszahlungen schneller abgewickelt. Wir kennen das: Ältere Semester, die hingebungsvoll das genau abgezählte Münzgeld im Geldbeutel suchen, dahinter stehen Menschen, deren Lebenszeit zwischen Datschi und Rosensemmel dahinzieht.  Karte eingesteckt, Handy aufgelegt. Zack. Keine Gebühr für Wechselgeld bei Banken mehr. Fehler bei der Abrechnung werden minimiert. Und ganz zum Schluss: Der nicht sehr faire Grundverdacht, hier nimmt es jemand nicht ganz genau mit der Steuer, fällt auch weg. Aber hinter der Liebe zum Bargeld stecken ja auch sehr deutsche Ängste. Ein Staat, der nur noch Zahlungsströme kontrollieren will, um noch weiter zu drangsalieren und den Bürger durchleuchtet. Mit der These gewinnt die AfD viele Wähler derzeit. Die Kreditkarte ist das Gängelband der Mächtigen: Auch deswegen liegt Deutschland beim Kartezahlen auf Platz 20.

Und dann hat Bargeldverkehr noch eine weitaus größere Dimension: Die Organisierte Kriminalität braucht es, um das mit Waffen- und Drogengeschäfte erworbene Bargeld zu waschen. Das ist bargeldlos dank restriktiver Bankenkontrollen schwerer. Auch deswegen ist Papiergeld so beliebt. Man besuche nur einmal eine örtliche Spielbank und beobachte diverse Gäste. Große Bündel mit Scheinen werden herausgeholt. Man muss da nicht immer Illegales vermuten, aber es ist auffällig. Bargeld hat eben sehr viele Schattenseiten. Nur unsere Nachbarn in Österreich nehmen das Thema Bargeld noch wichtiger. Hier sollte das Recht auf Bargeldzahlungen in die Verfassung eingefügt werden, zudem ist es Spitzenreiter bei der Aufstellung von Geldautomaten. Im weltweiten Korruptionsindex liegt unser Nachbar allerdings weit hinter uns. Sicher nur Korrelation …

Zurück zur Bäckerei-Situation. Sicher gibt es immer wieder Gründe gerade für kleinere Geschäfte auf Bargeld zu setzen. Nur: Sie verlieren eben immer mehr Kunden. Was dabei besonders traurig ist. Die Herstellung der wunderbaren Produkte, ob Kuchen, Torten, Brote oder Semmel, sie ist aufwendig. Gebietet da nicht eine gewisse Hochachtung, möglichst alle Kunden zu erreichen? Und noch etwas: Immer wieder klagen Einzelhändler im Tal, die großen Ketten würden ihr Geschäft versauen, Supermärkte Kundengruppen wegsaugen. Wer aber gleichzeitig so rückwärtsgewandt mit der Kundschaft umgeht, darf auf weniger Verständnis bei den immer wieder auftauchenden Klagen bei Gemeinde- und Stadtratsitzungen hoffen.

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