Kommt vor und ist für Janaa Schlick, Sozialpädagogin beim Kinderschutzbund Miesbach, erstmal völlig normal. Wenn der Leidensdruck zu hoch wird, gibt es im Landkreis zum Glück Hilfsangebote.
Haben wir das Streiten verlernt?
Um etwas zu “verlernen”, müssen wir ja etwas gelernt haben. Sich bewusst zu machen, welche Streitkultur gab es in meiner Ursprungsfamilie? Welches Modell von “streiten” habe ich gelernt? Das ist der erste Schritt. Grundsätzlich gehört Streiten zu einem gesunden Familienklima. Die Frage ist immer, wie wird gestritten? Wie ist der Umgang miteinander im Streit? Auch im Streit gibt es Regeln. Verbales Draufhauen ist kein gesundes Streiten.
Also ist Streit erstmal normal?
Genau, Konflikte gehören dazu, wie Scheitern auch zum Leben dazugehört. Und wieder aufzustehen, daraus etwas zu lernen und neu anzufangen. Es gibt keine total konfliktfreie Zone. Sobald unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderprallen, kann es zu einem Konflikt kommen. Das ist ganz natürlich. Die Fragen sind immer, wie wird damit umgegangen? Gibt es eine Konfliktkultur in der Familie? Wie wird gestritten? Also, Streit ist per se erst mal überhaupt nicht schlecht, weil man voneinander lernt, man merkt, was den anderen bewegt. Das ist grundsätzlich überhaupt nichts Negatives, ganz im Gegenteil, das braucht es auch. Aber die Frage ist immer, wie geht man dann im Streit miteinander um? Wie kriegt man die Konflikte für alle Beteiligten so in den Griff, dass sie auch immer einen Ausweg, eine Lösung sehen?
Was meinen Sie mit Konfliktkultur?
Jede und jeder bringt eine eigene Streitkultur mit aus der Ursprungsfamilie. Wie sind die Eltern im Streit miteinander umgegangen? Wie bin ich behandelt worden als Kind, wenn es mal zu Konflikten kam? Das alles spielt ja mit und das bringe ich mit. Wenn zwei Menschen dann eine neue Familie gründen, kann ich ja nicht davon ausgehen, dass das bei dem anderen genauso ist.
Wenn ich also als Paar nicht reflektiere, was für eine Streitkultur ich mitbringe, kommen dann diese Muster im Streit raus?
Ganz sicher, das ist ja das, was jeden Mensch auch prägt. Auch was sie vielleicht an Wertvorstellungen mitbringen, an Ideen, wie das Leben funktioniert. Da geht es um Lebensentwürfe, die sie auch ein Stück weit mitbringen. Und natürlich ist es so, dass Partner, die eine Familie zu gründen, zwei sehr ähnliche Lebensentwürfe haben. Es können aber auch zwei sehr unterschiedliche sein, was nicht unbedingt heißt, dass es dann mehr Konflikte gibt. Das kann man immer schwer vorhersagen. Aber es ist mit Sicherheit immer gut, zu reflektieren und zu gucken, wo kommt das jetzt her? Warum stresst mich das so, oder warum triggert mich das so, dass der andere dieses oder jenes tut? Weil manches ist ja auch egal, das kann ich nehmen, und das stört mich nicht.
Darf man eigentlich vor Kindern streiten oder lieber nicht und lässt sich das überhaupt vermeiden?
Also für Kinder ist Streit sehr, sehr viel Stress. Aber das heißt nicht, dass eine Meinungsverschiedenheit untereinander für das Kind dann gleich einen traumatisierenden Stress auslöst. Es lässt sich ja auch nicht immer so planen, dass man nicht vor Kindern streitend. Die Frage ist, wie gut sind sie da auch reguliert, also kriegen sie den Notausgang? Oder bahnt sich einfach da ganz viel nach außen, was nicht mehr zu steuern ist. Zu sehen, dass Eltern sich streiten, aber dann auch wieder eine Lösung miteinander finden, ist für Kinder ja auch das Lernen am Modell. Wenn Kinder von außen sehen, dass zwei Menschen, die sie lieben, sich streiten, dann löst das einfach ganz viel Emotionen aus. Aber wie gesagt, es ist immer auch Lernen am Modell, und wenn man verantwortungsvoll mit den Themen im Streit umgeht, dann ist das für Kinder auch hilfreich. Weil sie dadurch auch lernen. Grundsätzlich, wenn man die Chance hat, sollte man den Kindern entweder sagen, wir brauchen einen Moment oder versuchen, sie einfach doch ein Stück davor zu schützen.
Haben Sie eine Alltagsübung parat, wenn der Kessel überzulaufen droht?
Wenn man merkt, dass der Stresslevel höher wird, wir drohen “zu explodieren”, Luft einziehen, bis drei zählen, ausatmen und dann überlegen, um was geht es wirklich? Was ist das eigentliche Thema? Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Bewegung ist oft auch ein Ventil, über den erstmal “Luft abgelassen” werden kann. Aber grundsätzlich ist jede Familien-/Paar-Situation anders, jeder Mensch ist anders und daher ist es meist wenig erfolgreich Rezepte zu verteilen.
Wann sollte man sich Hilfe holen?
Wenn einer oder eine in der Familie Leidensdruck entwickelt und sich nicht wohlfühlt und sich nicht aufgefangen fühlt. Dann denke ich, ist es ein guter Zeitpunkt zu sagen, okay, und jetzt müssen wir nach Lösungen schauen, jetzt müssen wir das irgendwie in Angriff nehmen. Wegdrücken ist immer schwierig, das ploppt dann einfach wieder hoch. Dann ist es ratsam, sich um Unterstützung zu bemühen.
Wer kommt zu Ihnen in die Beratung?
Wir beraten bei allen Themen rund um die Familie. Meistens sind es Mütter oder Elternpaare, die zu uns kommen. Wir können in einem ersten Telefonat oft klären, ob der oder die Hilfesuchende bei uns etwas Passendes finden kann oder wo die Person sonst im Landkreis gut aufgehoben ist. 2022 konnten wir ca. 70 persönlich und telefonisch Beratungen durchführen und ca. 190 telefonische Informationsgespräche führen.
Beratungsangebote im Landkreis
Neben fachspezifischen Beratungsangeboten der Caritas und Diakonie und weiteren Akteuren in der Kinder- und Jugendhilfe z.B. zu den Themen Sucht, psychische Erkrankungen, Gewalt, Mobbing, etc., gibt es noch die Erziehungsberatungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder des Landkreises. Neu hinzugekommen in der Stadt Miesbach ist eine Außenstelle des Frauennotrufs Miesbach. Die meisten Angebote sind kostenfrei.
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