Müller am Baum
Tristesse im Trinkwasserschutzgebiet: Müller am Baum und der Müll

Den Hausmüll in der Natur ablagern, weil der Weg zum Sperrmüll zu weit ist? Keine gute Idee. Trotzdem passiert das immer wieder. Besonders unglücklich, wenn man sich dafür ein Trinkwasserschutzgebiet aussucht.

mueller am baum 2024
Entrümpelung im Grünen? Foto: A. Straßer

Anfang Mai erreicht uns der Hinweis einer Leserin: Beim Spazierengehen stolperte sie über eine illegale Mülldeponie: Bilderrahmen, Fahrradhelme, Blumentöpfe, Planen, jede Menge Sperrholz und zwei Autobatterien; direkt daneben die Mangfall, Hauptschlagader der Münchner Trinkwasserversorgung und Biotop für zahlreiche seltene Pflanzen und Kleintiere.

Allein die Autobatterien sind heftig: Zum einen enthalten sie Rohstoffe, die wiederverwertet werden könnten. Weitaus gravierender sind aber die Giftstoffe, die in einer Autobatterie schlummern: Blei, umweltschädliche Zusätze und Säure (Quelle: ADAC).

Das Ausmaß der illegalen Mülldeponie beim Müller am Baum in Miesbach verwundert auch den Fachbereich Wasser, Abfall und Bodenschutz im Landratsamt (LRA) Miesbach. Als hätte jemand seinen Keller entrümpelt, beschreibt eine Mitarbeiterin das Müll-Sammelsurium.

Anzeige
muell mueller am baum
Autobatterien und Kanister. Foto: A. Straßer

Müllabfuhr Landratsamt

Der Müll liegt auf dem Betriebsgelände der SWM und mitten im Wasserschutzgebiet: Die Autobatterien und einen Kanister mit unbekanntem Inhalt wurden fix entsorgt, “zur unmittelbaren Gefahrenabwehr” schreibt die Pressestelle des Landratsamt Miesbach.

Den Rest will das Landratsamt untersuchen. So lässt sich der oder die dreiste Müllablegerin vielleicht finden. Manchmal sind die Leute “dumm genug, auch private Päckchen oder Schriftstücke zu entsorgen,” sagt der Fachbereich dazu.

Hier sei das nicht der Fall gewesen. Somit rückt der Kreisbauhof am 21. Mai mit Lkw und Kran aus, um die Deponie abzubauen.

“Bei der Räumung am 21.05.2024 wurde das gesamte Haufwerk erneut untersucht. Es wurde alles rückstandslos entfernt, das Gras auf herumliegende Kleinteile inklusive Schrauben und Kleinstplastik abgesucht und der Sperrmüll entsorgt”, heißt es aus dem Landratsamt. Und versichert, dass man weiter nach dem Verursacher suche.

Wirkungsloser Dreifachschutz

Entrümpelt wurde im Landschaftsschutzgebiet “Egartenlanschaft um Miesbach“, das Vertragswerk allein hat einen ganzen Paragrafen zu Verboten, die alle darauf abzielen, die urtümliche Landschaft zu erhalten. Die Landschaftsschutzgebiete haben aber an Verfechtern verloren. Das Landratsamt will sie zwar rechtlich wieder festzurren, weil viele Regelungen darin nicht mehr als zeitgemäß gelten (absolutes Bauverbot), die volle Unterstützung der Kommunen im Tal haben sie jedoch nicht.

Jetzt ist es eh verboten, Müll in die Landschaft zu schleudern. Dafür gibt es einen Bußgeldkatalog, der den achtlos weggeworfenen Pappbecher bereits mit 20 Euro in Bayern ahndet. Eine Keller-Entrümpelung? Da kann einiges zusammenkommen. Wer Wasser verschmutzt, muss mit saftigen Strafen rechnen; das kann schon in die Zehntausender gehen.

Ob hier eine Strafe droht? “Je nach Fall wird Anzeige erstattet oder ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet,” schreibt das LRA und bleibt damit ziemlich wage.

Schließlich lag der Haufen im FFH-Gebiet und im Trinkwasserschutzgebiet.

Naturerbe schützen

Das Mangfalltal sichert nicht nur die Trinkwasserversorgung der Stadt München, weite Teile zählen auch zum Fauna-Flora-Habitat-Gebiet. So nennt man die Gebiete, die zum europäischen Schutzgebiet Natura 2000 zählen. Dahinter steckt ein EU-weites Netz von Schutzgebieten, das das Artensterben verhindern, zumindest bremsen will. Allein in Bayern sollen darüber 87 Tier- und Pflanzenarten geschützt werden. Fledermäuse (Großes Mausohr), Frösche (Gelbbauchunke), Fische und Schmetterlinge teilen sich den Lebensraum an der Mangfall. Hinzu kommen seltene Pflanzen, etwa der kriechende Sellerie, (der nicht heimlich auf den Beilagensalat klettert, sondern eine seltene Uferpflanze bezeichnet) oder der Frauenschuh – eine Orchidee, die besonders kalkhaltige Böden verlangt.

Fabrik-Insel Müller am Baum

Die Siedlung Müller am Baum geht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Einst soll hier nur eine Mühle gestanden haben. Der Müller, so will es die Legende, habe sich am Baum erhängt (Quelle: Bpb). Das darf man trotz Quelle bezweifeln. Bestärkt den Ort aber in der Tristesse, die er jetzt ausstrahlt.

Die Häuser verfallen, Fensterschreiben sind eingeschlagen, die Fassaden bröckeln. Im hinteren Anbau wohnen noch einige Menschen. Erkennbar an Gardinen und einem auffällig gepflegten Gemüsegarten. Ansonsten ein Container-Paradies: Container auf Kies, Container auf dem Industriegelände, …

Am Wochenende kam die Siedlung in die Schlagzeilen, weil das Hochwasser als Erstes die B472 und damit die Mangfall-Brücke überspülte. Evakuiert musste niemand werden, schreibt das LRA auf Anfrage. Die grüne Mangfall umrauscht die Siedlung von zwei Seiten; ein dritter Armer fließt dünn nach Osten weg.

Auf Schotter holpert es den Weg hinab zur Kläranlage. Links und rechts stehen sich Wohnhäuser gegenüber; getrennt durch die Mangfall; auf der einen Seite drei schattige gleichförmige Wohnhäuser, gegenüber ortstypische Einfamilienhäuser.

Eigentlich sollen die Stadtwerke München die Landschaft hier regelmäßig kontrollieren, eben genau, weil es sich hier um schützenswerten Natur handelt. Warum dazu E-Mails von Presse, Naturschützern und Einzelpersonen nötig waren?

Die Stadtwerke erklären, dass sie mindestens viermal im Jahr “entsprechend der Eigenüberwachungsverordnung mindestens viermal jährlich” die Landschaft durchkämmen und schreiben: “Tatsächlich sind die Mitarbeiter*innen noch öfter im Schutzgebiet unterwegs”.

Blick zurück

Im 19. Jahrhundert wuchs hier eine der zahlreichen Papierfabriken des Landkreis (Müller am Baum, Neumühle, Thalham) aus dem Boden und damit einer der größten Arbeitgeber im Stadtgebiet Miesbach (Quelle: Miesbach-Tourismus). Mit der Fabrik wuchs ein ganzer Ortsteil drumherum.

In den 50er Jahren gab es das “Gasthaus Müller am Baum, gegenüber eine Metzgerei, ein Hof, ein Friseur, eine Trachtenschneider und der Konsum, in dem man alles kaufen konnte, was man so brauchte.” Auf Google wird der Laden sogar noch mit Öffnungszeiten angezeigt.

Ende der 90er Jahre war es mit der Fabrik vorbei und viele zogen weg. Seit Dezember 2019 gibt es einen Grundsatzbeschluss des Miesbacher Stadtrats, hier eine neue Siedlung zu bauen. Die Hindernisse sind seitdem deutlich geworden: Angefangen bei Abwasserleitungen, die marode sind, bis zu unversöhnlichen städtebaulichen Perspektiven, die holzschnittartig zwischen Sanierungsmöglichkeiten und Neubauplänen schwanken.

Die Stadt kann die Verhandlungen mit den verschiedenen Besitzern begleiten, schließlich gehören die Flächen nicht der Stadt Miesbach. Wer hier baut, muss neue Infrastruktur entwickeln, Kinderbetreuungseinrichtungen mitdenken, über Einzelhandel diskutieren und die Verkehrsanbindung planen.

Zu allem Überfluss liegt das Gelände in der Ausweitung der Wasserschutzzone für die Landeshauptstadt München. Der Müllhalde kann das egal sein. Der Natur nicht.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner