Ein Kommentar von Martin Calsow:
Ich mag den Duft von Bäckereien, und Nachbarschaftsstreitereien sind für mich in etwa so unterhaltsam wie Nachmittagssendungen bei Privatsendern. Aber die Bäckerei-Affäre von Rottach-Egern hat das Zeug zur Provinz-Groteske.
Erster Akt
Ein Unternehmensberater mit Hang zur großen Geste (schon das ist Klischee genug) zieht nach Rottach neben eine Bäckerei. Dass die da ist, wird ihnen vor dem Einzug nicht entgangen sein. Man öffnet das Fenster. Es riecht nach Bäckerei – überraschungsarm. Aber die geldigen Nasen sind empfindlich. Jetzt gibt es zwei Tore der Wahl:
1. Man hält es aus. Ist ja am frühen Morgen. Da ist es eh wurscht. Meist schlafen Menschen.
2. Man geht zum Herrn von Hammerstein nach Tegernsee und setzt damit die Anwaltsmaschinerie in Gang. Das ist vielleicht nicht richtig, aber deren gutes Recht. Vielleicht hätte Frau Tremmel ja schon seit Jahren eine Filteranlage einbauen lassen müssen. Wer weiß das schon? Nur, weil sie hier jeder kennt, hat sie ja kein Sonderrecht.
Aber an dieser Stelle kommt der gesunde Menschenverstand ins Spiel. Zuweilen eine echte Hürde. Da geht es um Abwägen. Ist es mir das wert? Da, unter meinem Balkon, arbeiten Tag für Tag Menschen, backen Brot. Es riecht. Ich muss für ein paar Stunden sehr subjektiv empfundene Unannehmlichkeiten aushalten. Ein Guter hält’s aus. Eigentlich. Aber nicht hier. Hier wählt man Tor Nummer Zwei.
Zweiter Akt
Es wird darüber berichtet. Das Tal ist erbost. Eine unkluge Aktion erzeugt auf der Gegenseite einen unwürdige Wutwelle. Sogar der Landrat entblödet sich nicht, via Facebook den Wegzug solcher Menschen zu fordern, reitet dann im zweiten Schritt vom fernen Ibiza aus die Populismus-Welle und schwadroniert von “Regeln im Oberland”. Gibt es neben den deutschen Gesetzen hier etwa andere – vielleicht eine bayerische Sharia?
Da haben Menschen in ihrer Egozentrik einen Fehler gemacht, und werden virtuell geteert und gefedert, da werden die „Zuagroaste“ als typisch „frech und dreist“ gebrandmarkt. Plötzlich sieht man, wie schnell gehasst werden kann.
Dritter Akt
Der Anwalt aus Tegernsee redet. Er versucht mit ruhigen Worten seine Mandanten zu schützen, schwadroniert aber auch von Pisse-Gerüchen bei der Produktion von Laugenbrezn. Und erhöht damit unweigerlich die Temperatur des Konflikts. Aber das Tal kann auch anders: Kluge Menschen solidarisieren sich. Posten Bilder, kaufen jetzt erst recht bei Frau Tremmel und zeigen, wo ihr Herz ist. Das ist ein großartiger Zug, der Mut macht, Vorbild sein kann.
Zurück bleibt, zumindest von außen betrachtet, ein Tal, in dem – statt einer Gemeinschaft – mit wenigen Schritten ein zerstrittenes Gegeneinander entsteht. Denn wer mit Schaum vor dem Mund gegen “Fremde” hetzt, sollte wissen, wer die Semmel, das Bier, das Parfum im Tal und nicht zuletzt das elterliche Grundstück kauft. Ohne Zweifel: den ersten Stein warf ein geruchsempfindliches und ignorantes Paar. Solidarisch sein mit Frau Tremmel ist klug und zivilisiert. Zum Hass und Wegzug aber aufrufen, das ist das genaue Gegenteil.
SOCIAL MEDIA SEITEN