Ein selbstkritischer Rückblick auf die Pandemie
Was lief bei uns falsch?

Geschäfte und Restaurants schließen, Schüler blieben zu Hause. Es gab Ausgangssperren: Vor vier Jahren trat der erste Lockdown in der Pandemie in Kraft. Es sollten weitere folgen. Ein selbstkritischer Rückblick:

Die Gefahr war real – aber was lief bei uns falsch? Foto: Redaktion

22. März 2020: Die Politik in Berlin und München bestimmt strenge Kontaktbeschränkungen. Der erste Lockdown ist da. Treffen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit sind nun verboten, ausgenommen “Kernfamilien” und Lebenspartner. Restaurants, Cafés, Kneipen, Bars und Discotheken, aber auch Friseure, Nagelstudios, Massagepraxen müssen schließen. Das Tegernseer Tal fällt in eine Bewegungsstarre. Auch im Einzelhandel bleiben nur wenige Geschäfte geöffnet. Unternehmen stellen den Betrieb ein. Sieben Wochen bleibt das so. Erst Anfang Mai 2020 gibt es erste Lockerungen. Aber in der Folge kommen immer wieder Einschränkungen. Die allermeisten haben Angst vor einem qualvollen Sterben. Wenige sehen keinen Grund zur Sorge. Eine Gesellschaft, auch hier bei uns, bekommt einen tiefen Riss. Der verläuft in Freundeskreisen, in Familien. Erst wird noch vorsichtig diskutiert. Dann agieren Team Vorsicht und Team Freizügigkeit wie Feinde.

Und wir von den Medien?

Mit dabei: Wir. Die Medien. Natürlich berichten wir, natürlich versuchen wir einzuordnen. Aber auch wir sind von dieser Pandemie betroffen. Die Zugriffszahlen schossen in die Höhe, die Werbeumsätze brachen ein. Aber das war nichts gegen die zunehmende Angst, die um sich griff. Zu recht suchte man Rat bei den Experten, wollte Wahrheiten und Gewissheiten. Aber das kann Wissenschaft nur bis zu einem gewissen Grad leisten. Plötzlich kam dann speziell in unserer Region eine laute und unangenehme Minderheit auf, die sich absurd äußerte. Auch das trieb die Mehrheit in eine wenig kritische Position allen staatlichen Maßnahmen gegenüber.

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Ich erinnere mich sehr gut daran, wie ich mich um meine Frau, um mich und meine Familie sorgte. Eine Sorge, die sich zu Beginn über das gesamte Denken legte. Dabei hatte ich eine Luxus-Situation: Auf dem Land lebend, einen Hund und einen Garten habend: Es gab für mich keine Kinder, die zur Schule oder in die KITA gehen sollten, aber stattdessen daheim am Bildschirm mühsam lernten. Natürlich sah ich die absurd schlecht vorbereiteten Gesundheitsämter mit ihren Faxgeräten, die anfangs hilflosen Behörden. Und dennoch: Ich war grundsätzlich einverstanden mit den so nüchtern bezeichneten “Maßnahmen”. Keiner hatte je in seinem Leben so ein globales Ereignis, so eine riesige Bedrohung für alle Menschen erlebt. Wer konnte da Perfektion erwarten?

Maß und Mitte gingen verloren

Und hier passierte mein erster persönlicher Fehler. Ich akzeptierte schleichend massive Einschränkungen grundsätzlicher Bürgerrechte, fand das Aussetzen der wichtigsten Verfassungspunkte als temporär angemessen. Die Bewegungsfreiheit – das Grundrecht schlechthin – von nachgeordneten Institutionen ausgesetzt. Am Spitzingsee werden Familien wegen zu viel Personen im Auto mit einem harschen Bußgeld belegt. Maß und Mitte gehen verloren. Und von mir: Zu wenig Kritik daran.

Dabei muss Journalismus immer (!) bei allen staatlichen Aktivitäten distanziert bleiben. Als Journalist weiß man sehr früh im Berufsleben, wie wirkmächtig und massiv einschränkend der Staat als Gebilde sein kann. Wer je z.B. mit der Justiz zu tun hatte, weiß, wie ein gesichtsloser Apparat dem Einzelnen gegenüber auftritt, auftreten darf. Ich habe damals zu wenig auf diese Risiken hingewiesen. Im Nachgang war das falsch. Andererseits hat unser Rechtsstaat in meiner Wahrnehmung diese Situation nicht exzessiv ausgenutzt, Politiker vor Ort mit Augenmaß und Vorsicht agiert. Aber retrospektiv gesehen lag zu viel Besteck auf dem Tisch. Es starben geliebte Menschen einsam und ohne Beistand in Heimen und Krankenhäusern. Kindern wurde massiv Bildung und ein kindliches Miteinander genommen. Das muss hinterfragt werden.

Niemals in einem Lager verharren

Mein zweiter persönlicher Fehler war die fehlende Differenzierung: Zu oft, ob im privaten oder im öffentlichen Bereich wurde jede Kritik an Maßnahmen und der Risikobeschreibung der Vakzine weggewischt. Hier hätte ich genauer zuhören und ohne Zweifel die “Spreu vom Weizen” trennen müssen. Sicher gab es üble Schwurbler und Trittbrettfahrer, die auf den Hysteriezug sprangen. Aber es gab eben auch weniger laute Zweifler, die mehr öffentlichen Raum gebraucht hätten. Das haben wir zu wenig getan. Journalismus darf nie Lager sein, muss immer neu hinterfragen.

Ethikrat? Wer hat die eigentlich legitimiert?

Und dann komme ich zum letzten Fehler, der mich am meisten ärgert. Es wurde ein Ethikrat eingesetzt. Eine fragwürdige Institution, nicht demokratisch legitimiert, aber sehr wirkmächtig in der Öffentlichkeit auftretend. So eine undemokratische Form hat, Pandemie hin oder her, nichts in unserem Rechtsstaat zu suchen. Die Vertreter in diesem “Rat” traten zuweilen erdrückend überheblich auf. Es war genau diese Form eines bemutternden Staats, der mir zutiefst suspekt ist. Hintergrund-Info: Das Gremium wird zu neun Zehntel von der Regierung ausgewählt wird, 50 Prozent der Ratsmitglieder bestimmt die Regierung direkt. Oft genug hatte man bei den Mitgliedern den Eindruck, bestimmte eigene moralische Vorstellungen zur gesellschaftlichen Norm erheben. Das galt in der Pandemie vor allem für den sehr schwammigen Begriff der “Solidarität”.

Kaum verliert dieser Ethikrat sein Spielzeug “Pandemie”, widmet er sich nun dem Thema “Klimakrise”. Das ist für mich nicht akzeptabel. Jahrhundertelang mussten sich Gesellschaften unter das Joch der moralisch bestimmenden Kirchen begeben. Heute kommt ein anmaßender Ethikrat mit Moral-Experten daher. Das kann mir als Journalist nicht recht sein.

Es ist gutgegangen

Rückblickend ist einiges gut gegangen: Ob Ärzte, die allermeisten Politiker oder auch Wissenschaftler: Sie haben, soweit ich das beurteilen kann, meist besonnen agiert – auch und vor allem hier im Landkreis. Die unermüdliche Arbeit von Medizinern wie Dr. Strassmüller, aber auch die umsichtige Politik der Bürgermeister und des Landrats hat viele Leben gerettet, Menschen geschützt. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Impfungen unsere Gesellschaften vor schrecklichen Katastrophen bewahrt haben. Ich fühle mich wieder sicher. Das habe ich einer schnell agierenden Gesamtpolitik zu verdanken. Ich habe mir damals vor Ort in Krankenhäusern ein Bild machen dürfen. Nie vergesse ich, wie nach einem Besuch im Krankenhaus Agatharied, wo ich sterbende, nach Luft schnappende Patienten sah, hinaus auf den Parkplatz ging und auf Leugner-Demonstranten stieß. Selten war ich wütender und sprachloser. Aber Sprachlosigkeit ist kein Mittel im Journalismus. Ständiges Hinterfragen schon.

Es ist grosso modo gutgegangen. Aber das entlässt mich nicht aus der Verantwortung, die Fehler zu sehen, zu benennen und aus der Vergangenheit zu lernen. Denn auf der Soll-Seite sieht es nicht rosig aus: Es sind eben auch sehr viele Menschen einsam und ohne Angehörige gestorben, Erzieher und Lehrerinnen über die Maße durch diffuse und zum Teil sich immer wieder widersprechende Anweisungen belastet worden. Kinder wurde in ihrer Entwicklung durch mittlerweile nachweisbar falsche ‘Maßnahmen’ beeinträchtigt. Das wird sich langfristig rächen. Und auch das gehört dazu: Kritiker der Maßnahmen, jenseits der Schwurbler und Verschwörer-Fraktionen, wurden in einer Art und Weise öffentlich zurechtgewiesen, mit Spott und Bösartigkeit überzogen, die einer zivilisierten Gesellschaft nicht gut zu Gesicht steht.

Und nun?

Keiner will gern aufarbeiten. Geschehen ist geschehen, einfach weitermachen? Nicht nachtarocken? Das ist, glaube ich, ein Fehler. Es wäre ein wichtiger, ein vertrauensbildender Schritt, wenn auch auf unserer regionalen Ebene in ruhiger und sachlicher Art über diese Zeit gesprochen werden könnte. Jenseits von Schuldzuweisungen, frei von Häme und Vorwürfen, wäre eine Aufarbeitung und ein Blick in die Zukunft mit der Frage, wie wir bei einer erneuten Pandemie reagieren, für alle Entscheider und auch Medien hilfreich. Denn eines ist uns doch klar: Irgendwo auf dieser Welt wartet das nächste Virus …

Ich breche mir jedenfalls keinen Zacken aus der Krone. Journalisten neigen nicht zur Neugier, zuweilen auch zum Glauben an Allwissenheit. Aber das Alter lehrt: Man kann solche Schwächen erkennen und zugeben.

Der Mensch ist ein lernendes Wesen. Das zeichnet uns aus. Ewige Wahrheiten gibt es keine. Nur wenn wir ehrlich miteinander und mit uns selbst sind, können wir halbwegs optimistisch in die Zukunft schauen.        

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