Was, wenn das Wasser kommt?

Heftige Gewitter zogen in den vergangenen Tagen über unsere Region. Am Montag stand der Landkreis Miesbach kurz vor dem Katastrophenfall. Doch was bedeutet das konkret? Und was müsste passieren, um mit einer Evakuierung zu beginnen? Diese und weitere Fragen hat uns Martin Pemler, Leiter des Krisenstabs, beantwortet.

Im Interview sprechen wir mit Martin Pemler über Unwetter, den Katastrophenfall und Evakuierungen. / Quelle re.: Thomas Gaulke, Foto vom Hochwasser am Montag

In den vergangenen Tagen zogen auch über Bayern und den Landkreis Miesbach heftige Gewitter. Am schlimmsten hat es am Montagabend den Nord-Landkreis getroffen. Zahlreiche Straßen und Keller standen unter Wasser. Eine dicke Hagelschicht legte den Verkehr auf der A8 lahm. Zahlreiche Feuerwehren aus dem Tegernseer Tal und sogar Münchner Raum waren zur Unterstützung im Einsatz.

Gegen 22.00 Uhr musste das Landratsamt schließlich Artikel 15 des Katastrophenschutzgesetzes feststellen – die Vorstufe zum Katastrophenfall. Die Maßnahme konnte zwar nach wenigen Stunden wieder aufgehoben werden, doch welche Konsequenzen gibt es, sollte es zu einem Katastrophenfall wegen Unwettern kommen? Inwieweit ist der Landkreis Miesbach auf so eine Situation vorbereitet?

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Wir haben mit dem Verwaltungsleiter des Landratsamts und Leiter des Katastrophenschutz-Krisenstabs Martin Pemler über mögliche Evakuierungspläne, Sicherheitsmaßnahmen und richtiges Verhalten während eines Unwetters gesprochen.

Herr Pemler, was passiert, wenn im Landkreis Miesbach der Katastrophenfall wegen Unwettern ausgerufen wird?

Martin Pemler: Für die Bürger ändert sich bestenfalls erst einmal nichts, außer, dass man persönliche Vorkehrungen treffen sollte und den Anweisungen der Behörden in jedem Fall folgen sollte. Ein großer Unterschied ergibt sich für die Behörden und Einheiten, die die Großschadenslage bekämpfen. Beispiel Feuerwehr: Normalerweise ist die örtliche Feuerwehr für die Schadensbekämpfung im eigenen Ort zuständig, ich kann also nicht so leicht die Rottacher Wehr nach Gmund schicken, damit die den dortigen Schaden abarbeitet. Dazu brauche ich einen besonderen Rechts- und Handlungsrahmen.

Landratsamt ist zuständige Katastrophenschutzbehörde

Im Hintergrund müssten theoretisch viele Fragen geklärt werden zu Verantwortlichkeiten, Versicherungen etc. Damit man aber bei einer Großschadenslage trotzdem sehr schnell reagieren kann, hat der Gesetzgeber die Position des Örtlichen Einsatzleiters geschaffen. Gibt es also eine Schadenslage mit überörtlichem Koordinierungsbedürfnis, muss mindestens Artikel 15 Katastrophenschutzgesetz festgestellt werden. Mit diesem Artikel wird der Örtliche Einsatzleiter bestellt. Er ist dann Herr über sämtliche Einheiten und kann diese schnell und überörtliche einsetzen. Er hat den Überblick über das Schadensereignis und alle eingesetzten Kräfte.

Dieser Artikel 15 BayKSG und der tatsächliche Katastrophenfall werden vom Landratsamt festgestellt, weil dort die Katastrophenschutzbehörde angesiedelt ist. Eine Gemeinde kann keinen Katastrophenfall feststellen, weil ein Bürgermeister immer nur für den eigenen Ort zuständig ist und nicht für Schadenslagen mit überörtlichem Koordinierungsbedürfnis. Üblicherweise stellt der Landrat selbst diese Artikel fest, bei Verhinderung sein Vertreter. Es muss dann unverzüglich eine Meldung an die Aufsichtsbehörde, die Regierung von Oberbayern, abgegeben werden, die dann wiederum ans Innenministerium meldet. Ein Katastrophenfall kann also keinesfalls leichtfertig festgestellt werden.

Wie ist man im Landkreis auf so einen Fall vorbereitet?

Pemler: Der Landkreis hat zirka 5.000 Sandsäcke auf Lager. Unser THW sorgt immer dafür, dass ausreichend geeignete Säcke für den Ernstfall vorrätig sind. Feldbetten usw. für eine mögliche nächtliche Evakuierung hätten wir auch genügend. Wichtiger als die Ausrüstung ist aber das Personal.

Wir üben ständig mit allen Blaulichtorganisationen, also Landratsamt zusammen mit Feuerwehr, Polizei, BRK, THW, Kreisverbindungskommando der Bundeswehr und je nach Übungsszenario besonderen Fachstellen. Corona hat uns ein bisschen ausgebremst, aber davor haben wir mehrmals pro Jahr Stromausfall, Hochwasser, Busunglück, Unwetter uvm. geübt.

Wir machen zudem eine mehrjährige Krisenstabsausbildung bei der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung. Diese ist übrigens ausgerechnet im Landkreis Ahrweiler. Unser Krisenstab blickt also gerade besonders betroffen nach Ahrweiler – den Ort, an dem unser Krisenstab schon viele Wochen Katastrophenschutzausbildung genossen hat. Wir wünschen den dortigen Kollegen alles Gute. Es ist wirklich unvorstellbar, was dort passiert ist.

Was müsste passieren, um mit einer Evakuierung zu beginnen?

Pemler: Es muss eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestehen, wenn die Bürger im Haus bleiben würden.

Zahlreiche Feuerwehren, THW und BRK waren am Montag beim Hochwasser im Nordlandkreis vor Ort. / Quelle: Thomas Gaulke

Wohin werden Bürger aus dem Landkreis evakuiert, wenn es die Lage fordern würde?

Pemler: Das kommt auf die Schadenslage an. Anbieten würden sich beispielsweise Turnhallen. Viele kommen aber lieber privat unter, zum Beispiel bei Freunden. Die Hilfsbereitschaft ist in unserer Gesellschaft in einer solchen Ausnahmesituation glücklicherweise riesengroß.

Wie würde solch eine Evakuierung aussehen?

Pemler: Auch das kommt auf die Schadenslage an, da gibt es keine Blaupause. Man kann ein Hochwasser, das ganze Landstriche verwüstet, nicht mit einer Bombenentschärfung vergleichen, aber bei beidem könnten theoretisch Menschen evakuiert werden. Was immer notwendig ist, ist die sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Blaulichtorganisationen.

So könnte es beispielsweise so sein, dass die Feuerwehr an den Türen klingelt und die Menschen bittet, mit ihnen zu kommen. Die Betreuung und Versorgung der Evakuierten übernimmt dann das BRK. Die Polizei kontrolliert anschließend, ob die Häuser leer sind.

Musste man im Landkreis Miesbach in Vergangenheit schon einmal evakuieren?

Pemler: Ja, das passiert immer wieder. Ich erinnere mich an einen Bombenfund im Nordlandkreis vor wenigen Jahren. Da mussten die Anlieger sicherheitshalber die Häuser verlassen. Es war aber ein sonniger, warmer Nachmittag und die Kinder fanden den Großeinsatz mit den vielen Polizei- und Feuerwehrautos super spannend, außerdem gab es Spezi und Kekse vom BRK.

Die Kinder würden sich wohl an einen gelungenen Nachmittag erinnern. Obwohl die Bewohner ihre Häuser verlassen mussten und zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, wie viel Schaden die Entschärfung der Bombe anrichten würde, würde heute wohl niemand mehr von einer Evakuierung sprechen.

Wo bekomme ich Hilfe/Wo kann ich anrufen, wenn Wasser ins Haus eindringt?

Pemler: Zuerst sollte man frühzeitig das Haus sichern. Wenn Wasser im Haus ist, bitte keinesfalls mehr in den Keller gehen. Bei einer konkreten Gefahr bitte immer den Notruf wählen, aber Achtung:

Der Notruf ist kein Kinderspielzeug und muss für Notfälle freigehalten werden. Wenn man also schon sieht, dass die gesamte Nachbarschaft absäuft, dann ist es eher deplatziert, den Notruf zu wählen, weil Wasser im Gartenhäuschen ist.

Der Einsatzleiter vor Ort entscheidet über die Priorisierung der Hilfe. Ganz platt formuliert: Keller der Pflegeeinrichtung geht vor Gartenhäuschen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verhaltenstipps aus der Warn-App NINA vor/während und nach einem Hochwasser:

Mit der Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, kurz Warn-App NINA, erhalten Sie wichtige Warnmeldungen des Bevölkerungsschutzes für unterschiedliche Gefahrenlagen. Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes und Hochwasserinformationen der zuständigen Stellen sind ebenfalls in die Warn-App integriert.

Zudem finden Sie in der App Tipps, wie Sie sich am besten vor, während und nach einem Hochwasser verhalten.

Hier finden Sie weitere Infos über die Warn-App NINA.

 

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