Am vergangenen Dienstag wurde die TS um 15:20 Uhr über die baldige Ankunft eines Busses mit 57 Flüchtlingen informiert. Wir trafen rund 25 Minuten später an der Miesbacher Turnhalle ein. Bei unserer Ankunft waren die Polizei, der Sicherheitsdienst, Mitarbeiter des Landratsamtes und Helfer vor Ort. Die Flüchtlinge saßen schon wieder alle im Bus.
Wir berichteten noch am frühen Abend über die Ereignisse. Eine Sprecherin des Landratsamtes gab uns alle Informationen über das, was sich abgespielt hat, als wir noch nicht vor Ort waren. Wenige Tage später, am Freitagnachmittag, erhielten wir dann die Mail eines Mannes, der behauptet, am Dienstag als freiwilliger Helfer und Dolmetscher vor Ort gewesen zu sein. Er schilderte uns die Situation jedoch etwas anders als die Behörden.
Was unstrittig ist
Fakt ist, dass ein Großteil der Menschen im Bus enttäuscht, teils aggressiv und aufgebracht darüber waren, nicht in einem Hotel, sondern wieder in einer Erstunterbringung unterzukommen. Die Aussage der Behörde, dass es im Bus zu Widerstand gegen die Unterbringung in der Turnhalle an der Miesbacher Berufsschule kam, wird von der Fahrerin des Busses in einem Facebook-Post auf der Seite der TS bestätigt. Unter anderem schreibt sie:
Auch heute waren die Einsatzkräfte schnell vor Ort und haben besonnen, deeskalierend auf die renetente Meute eingewirkt und Schlimmeres verhindert.
Ebenfalls nicht angezweifelt wird, dass Miesbach nicht der erste vergebliche Versuch war, die Menschen in Oberbayern unterzubringen. Landrat Olaf von Löwis (CSU) wurde seinen Angaben nach von einem Kollegen über einen ähnlichen Vorfall einige Stunden zuvor unterrichtet. Bereits am Chiemsee sollen sich die Menschen geweigert haben. Schlussendlich verließ der Bus samt aller Insassen Miesbach ungefähr gegen 16:00 Uhr wieder Richtung München.
Was sich aus Sicht des Dolmetschers abspielte
Einige Tage später treffen wir den Dolmetscher, einen Rentner aus dem Landkreis. Er berichtet uns in einem langen Gespräch von seinen Erlebnissen an diesem Tag. Er sei gegen 14:50 Uhr mit einer Kollegin als erster in den Bus eingestiegen und habe den Unmut der Insassen erlebt. Danach habe er eine Gruppe von 13 Ukrainern aus dem Bus betreut.
Das seien zwei Familien gewesen. Fünf Erwachsene, davon seien zwei Personen behindert gewesen. Dazu noch sechs Kinder und zwei wenige Monate alte Säuglinge, berichtet der Dolmetscher weiter. Diese Gruppe habe den Wunsch geäußert, in Miesbach zu bleiben. Er habe die anfänglichen Bedenken der beiden Mütter, ob sie denn ihre Kleinkinder in der Notunterkunft auch baden und ordentlich versorgen könnten, zerstreut, wie er weiter berichtet:
Auf Nachfrage bei einem der Betreuer vom Landratsamt, ob man denn auch die Säuglinge versorgen könne in der Notunterkunft und es sanitäre Einrichtungen für alle gibt, wurde das ausdrücklich bejaht.
Die Gruppe beschreibt der Betreuer als „westlich gekleidete Südeuropäer“, die alle im Besitz von Ausweispapieren gewesen seien. „In meiner Gruppe hatten bis auf die Babys alle Pässe dabei.“ Diese habe ein Lankreismitarbeiter eingesammelt. Einige der ukrainischen Ausweise, so berichtet der Dolmetscher weiter, seien maschinenlesbar. Der in den Pässen angegebene feste Wohnort dieser 13 Flüchtlinge sei in der Region Odessa gewesen.
Mitglieder der Gruppe haben Registrierungsprozess begonnen
Der Dolmetscher berichtet weiter, dass er dann mit der gesamten Gruppe und deren Gepäck zum Zelt der Stadtapotheke Miesbach vor der Turnhalle gegangen sei. Dort hätten alle Flüchtlinge einen Coronatest gemacht. Das bestätigt auch Dr. Fritz Grasberger von der Stadtapotheke auf unsere Nachfrage:
Wir haben am 15.3.22 13 Personen aus dem Bus mit Flüchtlingen auf Corona getestet (POC-Antigen-Schnelltest).
Noch vor der Auswertung aller Tests habe das Landratsamt laut Grasberger die Mitarbeiter in der Teststelle informiert, dass die Testzertifikate der 13 Personen nicht mehr benötigt werden. Das bestätigt auch der Dolmetscher. Er berichtet, dass er mit Teilen der Gruppe im Eingangsbereich zur Turnhalle gestanden und bei der Registrierung geholfen habe. Im Eingangsbereich seien ihre Personalien durch eine Mitarbeiterin aufgenommen worden.
Er habe der Mitarbeiterin den an ihn herangetragenen Wunsch der Gruppe übersetzt, in Miesbach bleiben zu dürfen. Dem wurde seiner Aussage nach aber nicht entsprochen. Ein Mitarbeiter des Landratsamts kam und forderte die Gruppe auf, wieder in den Bus zu steigen. Was sich rund um den Bus abgespielt habe, während er mit der Gruppe beim Test und der Registrierung war, entziehe sich seiner Kenntnis, aber er macht deutlich:
In meiner Gruppe hat niemand ein 3-Sterne-Hotel eingefordert, alle trugen die Registrierungsarmbänder, ausgestellt durch die Polizei in München. Und bestimmt ist niemand in meiner Gruppe in Jubel ausgebrochen, als es hieß, es geht wieder zurück nach München.
Landratsamt bestreitet Angaben des Dolmetschers
Nach unserem Gespräch mit dem Dolmetscher haben wir das Landratsamt erneut kontaktiert und mit den Aussagen konfrontiert. Als Antwort haben wir eine Stellungnahme erhalten, die noch einmal sehr deutlich die zuvor gemachten Aussagen der Behörde bestätigt. Eine Sprecherin des Landratsamts teilte mit:
Ich möchte klarstellen, dass niemand zurückgeschickt wurde, sondern alle (!) Geflüchteten darauf beharrten, nicht in Miesbach bleiben zu wollen und darauf beharrten, wieder in den Bus zu steigen. Alle Geflüchteten weigerten sich schlichtweg, die Turnhalle zu betreten oder zu kooperieren.
Innerhalb weniger Sekunden seien alle Personen wieder im Bus gewesen. „Es macht keinen Unterschied, ob Dokumente (Anm. der Red. Reisedokumente/Pässe) nicht vorgelegt werden können oder wollen, Fakt ist, es gab keine. Die vereinzelt vorgelegten Papiere waren keine Unterlagen, um eine Identität nachzuweisen“, so die Sprecherin.
Laut Landratsamt sei es „sehr, sehr traurig, dass jetzt von einem einzelnen Helfer die Mitarbeiter und anderen Helfer dafür verantwortlich gemacht werden, die doch eigentlich alle nur helfen wollten“, heißt es am Ende des Schreibens.
Das große Schweigen
Der Versuch, weitere Informationen von anderen Behörden zu erlangen, scheiterte. Weder die Regierung von Oberbayern noch das Sozialreferat der Stadt München hat auf unsere Nachfrage hin die Identität, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer in der Ukraine lebenden Minderheit der Flüchtlinge bestätigen wollen oder können.
Auch bei den offiziellen Interessengruppen, wie zum Beispiel dem Zentralrat der Sinti und Roma in Nürnberg und bei den Münchner Anlaufstellen, hatte man weder Kenntnis von dieser speziellen Busgruppe, noch über deren derzeitigen Aufenthaltsort.
Dolmetscher zweifelt nicht an “Willen zu helfen”
Ausdrücklich bittet der Dolmetscher uns am Ende unseres Gesprächs darum, deutlich zu machen, dass er niemanden verantwortlich machen möchte. Er habe nur geschildert, was er „mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren“ gehört habe an diesem Dienstagnachmittag in Miesbach. Das gehöre eben auch zu der Geschichte, sagt er noch und ergänzt an die Behörden gerichtet:
Den Willen zu helfen, streitet niemand ab, auch ich nicht.
Er selbst hilft weiterhin den Geflüchteten aus der Ukraine. So ist er heute unter anderem für die Caritas am Hauptbahnhof in München tätig.
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