Kein Platz für die Mittelschicht im Tegernseer Tal?
Welche Gemeinde wirklich bezahlbaren Wohnraum schafft

Das Tal ist nur für die Reichen da. Wohnraum kann sich hier keiner leisten. Stimmt das? Wir haben da ganz anderes erfahren …

Ist das Tal nur den Reichen vorbehalten? / Foto: Martin Calsow

84 Quadratmeter, zwei Zimmer für über 2.100 Euro. Das sind gerade so die Angebote für Mietwohnungen im Tegernseer Tal. Während der Hausmarkt immer stärker schwächelt, Objekte länger auf dem Markt bleiben, ist auf dem örtlichen Mietmarkt noch enormer Druck vorhanden. Auch deswegen wurde und wird von Protestbewegungen „bezahlbarer Wohnraum“ gefordert. Zu Recht?

Im Tegernseer Tal hat jede Gemeinde dazu ihre eigene Politik in den letzten Jahren vollzogen. Einige Bürgermeister setzten auf Einwohner-Programme, die dann schnell zu Rohrkrepierern wurden, wenn die eigentlich sehr Einheimischen ihr Haus an nicht mehr so Einheimische, aber eben Wohlhabende aus anderen Landesteilen verkauften.

Andere, wie die Kreuther, setzten auf Druck. Im Mezzogiorno des Tals setzte man auf das Verbot von Zweitwohnungen, um Wohnraum für „normale“ Ganzjahres-Einwohner zu schaffen. Aber in keiner Gemeinde wurde über Jahre eine Wohnraum-Strategie so konsequent und erfolgreich umgesetzt wie in Bad Wiessee.

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Bad Wiessee als Vorbild. / Foto: Redaktion

Westufer-Gemeinde als Vorbild

Ja, genau. Die scheinbare Schulden-Hochburg am Westufer macht mehr für die Mittelschicht als andere Gemeinden. Steile These? Vor zehn Jahren gründen die Wiesseer ein Kommunalunternehmen (KU). Als Aufgabe schreiben sie sich in die Satzung folgendes:  “Aufgabe des Kommunalunternehmens ist die Verwaltung und Bewirtschaftung der gemeindlichen Miet- und Pachtgebäude, die Bereitstellung von Wohnraum zu sozialverträglichen Konditionen (…), der zur Erfüllung dieser Aufgabe erforderliche Erwerb und Verkauf von Immobilien sowie die für diesen Zweck erforderliche Errichtung, Sanierung und Beseitigung von Gebäuden und Anlagen”. Schauen wir uns die Zahlen einmal an:

Bauamtsleiter Anton Bammer verwaltet derzeit 178 Wohnungen. / Foto: Gemeinde Bad Wiessee

In Bad Wiessee leben derzeit knapp 5.200 Einwohner. Das KU, geleitet vom Bauamtsleiter Anton Bammer, verwaltet 178 Wohnungen mit einer 10.500 Gesamtquadratmeter-Zahl. Der Quadratmeterpreis liegt im Schnitt aktuell ca. zwischen 7,50 € – 12,50 Euro (13,10 Euro nur im Neubau Dr.-Scheid-Str. 7 u. 7 a und erst ab dem 01.04.2024). 2024 werden diese Wohnungen Mieterträge in Höhe von 1,2 Millionen Euro erwirtschaften, damit ist das KU kostendeckend, erzeugt mit der Schaffung von Wohnraum kein Defizit. Aktuell leben in den Wohnungen ca. 325 Bürger der Gemeinde Bad Wiessee. Jährlich werden ca. fünf bis zehn Wohnungen neu vermietet.

Zu diesen schon erstaunlichen Zahlen kommt jetzt der Wohnraum der Lenggrieser Genossenschaft dazu. Auch sie hat bezahlbaren Wohnraum im Angebot. Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Lenggries eG – kurz „BGL” verwaltet im Alpenvorland über 1.000 Wohnungen. Der Wohnungsbestand erstreckt sich über die vier Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Miesbach, Weilheim und Garmisch-Partenkirchen. Und in Bad Wiessee kommen von der BGL 132 Wohnungen dazu. Bei 32 Wohnungen hat die Gemeinde Bad Wiessee ein Belegungsrecht.

Und man hat in Bad Wiessee noch nicht genug: Die aktuell geplanten Neubauten an der Hagngasse beinhalten 19 Wohnungen in zwei jeweils dreigeschossigen Mehrfamilienhäusern. Der Baubeginn dort ist für Frühjahr 2025 geplant. Parallel sucht das Wiessser KU weitere Grundstücke und sieht insbesondere mittelfristig Entwicklungsmöglichkeiten in der Ringbergsiedlung. Perspektivisch könnten bald also bis 18 Prozent der Bevölkerung des Ortes in bezahlbaren Wohnraum leben.

Massive Folgen

Das hat massive positive Folgen – ökonomisch wie auch gesellschaftlich. Weil in diesen Wohnungen ein großer Mix an sozialen Gruppen leben, reduziert Bad Wiessee die Gefahr, zum Reichen-Ghetto mit pendelndem Servicepersonal von außerhalb zu werden. Polizisten, Handwerker, Kranken- und Pflegepersonal, kurz die Mittelschicht Deutschlands, kann hier ebenso leben, ebenso wie Alleinerziehende, finanziell schwach ausgestattete Familien, die sonst schnell aus dem Tal verschwinden müssten. Legte man in Bad Wiessee den Schalter auf bezahlbaren Wohnraum um, vertickte der Freistaat Bayern in den letzten Jahren wieder und wieder staatseigene Wohnungen verscherbelte, um den Haushalt zu sanieren.

Vor elf Jahren etwa verkaufte der Freistaat 33.000 bezahlbare Wohnungen (davon mehr als 8.000 München) an Privat-Investoren. Kann man machen, bringt ja Geld in die Staatskasse.

Oder in Passau: Dort hat die Kommune gerade mal 586 Quadratmeter Wohnfläche durch Mietwohnraumförderung des Freistaats entstehen lassen – in den letzten elf Jahren! Im Landkreis Passau waren es nur 2.099 Quadratmeter. In den vergangenen acht bzw. sieben Jahren ist die öffentliche Wohnraumförderung völlig zum Erliegen gekommen. Auch die staatlichen GBW-Wohnungen hat der Freistaat ohne Not verkauft. Folgen waren drastische Mieterhöhungen und Räumungsklagen.

Oder die “Bayernheim”, eine von Ministerpräsident Markus Söder mit viel Tamtam 2018 eingeführt, um bayernweit bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Bilanz: eher mager.  10 000 bezahlbare Wohnungen waren vom lautstarken Franken bis 2025 als Ziel ausgegeben. Konkret gebaut wurde bis 2022 keine einzige Einheit, es gab lediglich überschaubare Ankäufe für den Bestand; auch Zwischenziele wurden verfehlt, so die Süddeutsche Zeitung vor anderthalb Jahren.

Dabei ist bezahlbarer Wohnraum kein feuchter Sozialismus-Traum. Betriebswirtschaftlich ist die kommunale Investition in Stein und Grund klug und vorausschauend. Wiessee hat sich über Jahre eine Spardose gebaut.

Gern wird der Ort am Westufer als Schuldenburg verhöhnt, gern von anderen Gemeindechefs. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Schauen wir uns den Wert der Wohnungen einmal an. Einige sind schwer sanierungsbedürftig, andere, bald wohl die Mehrheit, ist auf dem neuesten energetischen Wohnstandard. Machen wir eine konservative Rechnung auf: bald 200 Wohneinheiten für jeweils 250.000 Euro werden verkauft. Daraus ergeben sich für die Gemeinde mal eben 50 Millionen Euro. Und jetzt wirds ganz fies. Setzen wir diesen Betrag in ein Verhältnis mit den Schulden von Bad Wiessee, das sind derzeit ca. 15 Millionen Euro, zzgl. 6,5 Millionen Euro für die Spielbank, hätten die scheinbare Schuldenhochburg am Westufer Rücklagen von knapp 30 Millionen Euro und würde damit Klassenprimus Rottach-Egern mit 25 Millionen Euro Rücklagen deutlich übertreffen, Kreuth wollen wir aus Gründen der Würde an dieser Stelle verschweigen.

Klar, der Wohnraum wäre dann aber eben in privater Hand, die Folge wären Mieterhöhungen und Kündigungen, weil Investoren eben keine Rücksicht auf finanzielle Befindlichkeiten der Bevölkerung nimmt.

Wer in diesen Tagen also für „bezahlbaren Wohnraum“ demonstriert, wer örtlicher Politik Nichtstun vorwirft, sollte die Luft mal aus dem Wut-Presssack lassen. Orte wie Bad Wiessee haben mit ihren Bürgermeistern in den letzten Jahren extrem viel getan, um den Bürgern ein würdevolles Wohnen zu erlauben. Zudem muss Kommunalpolitik ja auch die nächste Generation am Ort halten können, wenn man nicht zu Gottes Warteraum mutieren will.

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