Hochwasserrisiken im Tegernseer Tal – Teil 2: Tegernsee
Tegernsee: Wenn der Hang rutscht

Letzte Woche haben wir die Starkregen-Risiken in den Gemeinden Bad Wiessee, Kreuth und Rottach-Egern analysiert. Heute ist die Stadt Tegernsee an der Reihe. Die kleinste Kommune hat die stärksten Risiken.

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Vom ‘normalen’ Gewitter zur Notlage in wenigen Stunden. / Quelle: Redaktion

Tage des Dauerregens haben Bäche und den See volllaufen lassen. Bald war die Straße zwischen Ostin und Tegernsee bei St. Quirin überflutet. Das galt auch für Tegernsee Süd. Der Ort am Hang war nicht mehr über Straßen zu erreichen. Dann, nach einer kurzen Regenpause, zieht eine gewaltige Gewitterfront über das Tal. Binnen weniger Stunden regnen bis zu 300 Liter auf Tegernsee. Am Abend rutschen die ersten Hänge …

Katastrophen-Film Tegernsee

Klingt wie ein krasser Katastrophen-Film, ist leider ein realistisches Szenario. Tegernsee hat bei Starkregen zwei wesentliche geografische Nachteile: Es besteht eine enge Bebauung an Hängen und hat für Rettungswege nur den Zugang im Norden und Süden. Bürgermeister Johannes Hagn erklärt es so: “Eine Erweiterung des Notwegs Richtung Schliersee ist aus Naturschutz-Gründen nicht gewollt. Da oben gibt es besonderes Fledermaus-Habitat. Richtung Ostin weigern sich Eigentümer, den Forstweg entsprechend auszubauen.”

Der Bürgermeister Johannes Hagn – engagiert in Hochwasser-Gefahren. Bild: Redaktion

Geht man mit dem Bürgermeister der Stadt Tegernsee, Johannes Hagn, die Gefahren- bzw. Überflutungspunkte seiner Kleinstadt durch, spürt man seine Fachtiefe, sein Interesse führt das Thema. Hagn sorgt sich, hat mit seinem Stadtrat als erste Kommune im Tal am Förderprogramm für ein Sturzflut-Risikomanagement teilgenommen.

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Hagn und die Hochwasserexpertise

Experten durchleuchten derzeit den Ort auf mögliche Risikogebiete. Denn so wichtig die Daten aus dem Umweltatlas Bayern sind, sie sind nicht flächendeckend und auf alle Gebiete ausgelegt. Zudem bieten sie nur erste Annäherungen an ein Thema, das Bevölkerung wie auch Politik erst sehr spät erreicht hat.

Die nun beauftragten Hochwasserexperten erkunden die Situation, erstellen Strömungsmodelle und errechnen Szenarien. Das Gebiet um die Schwaighofbucht ist so ein Risikogebiet. Auch aus den Erfahrungen der letzten Jahre mit dem Hochwasser 2013 wissen alle Anlieger, dass sie massiv betroffen sein werden. Zum einen durch den Anstieg des See-Pegels, zum anderen durch die möglichen Wassermassen aus dem Wiesenbach, der jetzt bei schönstem Wetter vor sich plätschert, gern auch an vielen Stellen überbaut worden ist.

Und dann sind da die 17 Bäche, fast alle verrohrt, die die Hänge bei Starkregen auf vielen Flächen zu einer Wasser-Highways verändern. Gern werden diese Bäche mit Schnittgut und Bauschutt verstopft. Weiter im Norden verläuft der Alpbach. Hier kommt auch bei “normalen” Regen-Ereignissen massiv Wasser aus den höhergelegenen Bergen.

Und hier haben die Berge vor über 50 Jahren schon einmal gezeigt, was bei Starkregen dem Ort am Ostufer widerfahren kann. Vom Riedersteinwald ergoss sich am 30. Dezember 1971 eine gewaltige Geröll- und Schlamm-Lawine ins Alpbachtal. Deutlich über 100.000 Kubikmeter haben sich hier in Bewegung gesetzt, alten Baumbestand mit sich gerissen. Aber die Welle stoppte vor dem Ort; ein Damm wurde an der Stelle installiert. Nur: Der Alpbach fungiert einerseits als Rinne, die bei Regen zu einer Art “Rutschbahn wird, wenn die Wassermassen nur groß genug sind. Zudem hat links und rechts des Bachs die Bebauung seit den 70ern zugenommen.”

St. Quirin und Ostin

Dann ist da noch der Norden des Ortes: Zwischen fließt vom Buchberg der Grambach. Und der kann es in sich haben. Auch hier weist der Umweltatlas erhebliche Risiken für das Gebiet unterhalb des Buchbergwegs aus. Wer den Tegernseer Höhenweg entlangwandert, sieht die kleinen Bachzuläufe, einige ohne Namen. Sie können bei Extrem-Regen zu Bedrohungen für alle Häuser unterhalb des Weges führen. Noch vor fünf Jahren wurden am Höhenweg massiv Bäume, Fichten und Buchen, gefällt.

Offizieller Grund: Käferbefall bei den Fichten. Damals hieß es, dass die im Boden verbleibenden Wurzeln dem Hang Sicherheit gäben. Das mag richtig sein, aber Laubbäume verteilen Regenmassenschützen den Boden vor massivem Regendruck und saugen das niederkommende Wasser besser auf. Je steiler der Hang ist, desto eher gerät die Erde ins Rutschen.

Leeberg und Flyschberge

Eine Rolle spielt auch, wie fest die Erdschichten zusammenhalten. Ist der Hang von Pflanzen bewachsen, sorgen die Wurzeln für mehr Halt. Wächst auf dem Hang nichts oder wurden Bäume gerodet, fehlen die Wurzeln, die den Boden festhalten. Dann kommt es leichter zu einem Erdrutsch. In Tegernsee gibt es vor allem Flysch. Das Gesteinsmaterial oder die Faszie aus Ton und Sand ist witterungsanfällig, durchlässig und somit ein Risiko.

Der Leeberg, der sich kurz hinter dem Lidl in Tegernsee Richtung Alpbach zieht, ist so ein Flyschberg. Diese “Spinatberge”, wie die Flyschberge auch genannt werden, sind dicht bewaldet. Flysch leitet sich vom schweizerdeutschen Dialektwort flyschen” ab, was fließen” bedeutet.

Das Problem beim Flysch ist, dass er verfaltet ist, will heißen, die Schichten stehen oft senkrecht oder sehr steil auf- und umeinander rum. Wenn der Flysch durchnässt, quillt das Tongestein auf. Es verwandelt sich wieder zurück in seinen Ur-Schlamm, aus dem es ursprünglich entstand. Das zusammen mit Wasser funktioniert wie ein Schmier­mittel, auf dem die beständigeren Kalk­bänke tal­wärts gleiten können.

Hinzu kommt der Siedlungsdruck. So ein Haus mit Seeblick ist schließlich begehrt. Doch die massive Bebauung sorgt für Druck. Trotzdem wurde hier in der Vergangenheit viel gebaut. Eine größere Rutschung wäre fatal für den Ort. Dessen ist sich Johannes Hagn bewusst.

Feuerwehrhaus

Und jetzt die Querverbindung zu einem beliebten anderen Thema: Das neue Feuerwehrhaus. Mit 16 Millionen Euro Baukosten ein echter Haushaltsklotz.

Doch das moderne Feuerwehrhaus mit seiner Ausstattung zahlt eben genau auf die neuen Anforderungen im Katastrophenfall ein: Fahrzeuge, die im knietiefen Wasser noch fahren können, eine autonome Versorgung für eine große Anzahl von Menschen, die im Katastrophenfall aus ihren Häusern gerettet werden müssen und ein Team, das sehr gezielt auf diese Unwetter-Formen ausgebildet worden ist.

Diese Präventionsmaßnahmen der lokalen Politik verlaufen fast immer Hintergrund. Für den Bürgermeister ist das schwierig. Er appelliert an Bürgerinnen und Bürger, die in Hochrisikogebieten leben, Maßnahmen zu ergreifen.

“Ölheizung, wenn möglich, auswechseln und auf andere Versorgungen setzen. Die Hauselektrik aus dem Keller hinauf in höhere Etagen verlagern”, erklärt er. Aber er weiß eben auch, wie schnell nach Hochwasser- und Starkregenereignissen der Wille und das Gedächtnis für solche Veränderung bei der Bürgerschaft verloren geht.    

Info:

Hier werden wissenschaftlich die Rutschungsarten erklärt.

Hier beschreibt eine Seite aus der Schweiz mögliche Schutzmaßnahmen.

Hier ist eine schon ältere, aber immer noch aktuelle Dissertation zu dem Thema.

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