Wenn Dir keiner mehr zuhört

Kommt der Ruhestand, kann man als Chef mit Anstand gehen. Trinkt mit den Kollegen ein Sektchen, freut sich über die Geschenke und Nachrufe und schweigt. So machen es die meisten Pensionäre – eigentlich.

Aber beim Christopher Street Day der Gebirgsschützen ist er dabei

Eine Kolumne von Martin Calsow:

Früher starb man früher. Ein Krieg, eine böse Krankheit oder ein auf den Kopf fallender Baum (nicht Himmel) waren meist die Ursache für das Ableben vor Renteneintritt. Wer als Mann den Herbst des Lebens im Vollbesitz seines Verstandes und seiner Körperkraft erlebte, gehörte zu den glücklichen Wenigen. Gingen die Männer in den (wohlverdienten) Ruhestand, kamen noch ein paar Jahre Taubenzucht oder ein “vor der Tür in der Frühlingssonne Sitzen” dazu. Dann klopfte schon bald der Boandlkramer an der Tür.

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Jetzt, mit der besseren Gesundheitsvorsorge, ist das anders. Da wird vom Pensionär weiter das Recht auf Aufmerksamkeit eingefordert, auf Familienfeiern zum Leidwesen der Jüngeren das große Wort geführt und auf längst vergessene eigene Siege verwiesen. Denn das Rentner-Leben ist zuweilen noch lang. Denkt der Mann. Gilt gerade hier im Tal. Jahrelang hat man Firmen und Ämter geführt, war der kleine König mit dem großen Ranzen, durfte neben den echten Größen sitzen und mitschwadronieren. Und plötzlich: Bedeutungslosigkeit. Kein Schwein ruft mehr an.

Dann bleibt nur noch die Jagd

Gut, man darf auf dem Christopher Street Day der Gebirgsschützen im Januar in Waakirchen mitlaufen. Man wird hier und da noch ehrfürchtig gegrüßt. Aber die Zeit des eigenmächtigen Handelns ist vorbei. Stille kehrt im Kopf ein. Daheim wird er nicht mehr so wahrgenommen, wie er es jahrelang gewohnt war. Fängt beim Frühstück an. Der einstige Silberrücken teilt schon beim Frühstücksei die Welt im Tal in Gut und Böse ein, sieht sich als Retter (“Wenn man mich fragen würde”). Kurz: Gibt Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat. “Und? Was hast du heute für Pläne?“, fragt die Gattin nervös in eine der wenigen Pausen des Monologs.

Der Angesprochene zuckt mit den Schultern, schlägt murrend sein Ei und das Heimatblättchen auf, studiert das letztere hernach für zwei Stunden, welches nun über den Nachfolger wieder eifrig Auskunft gibt. Abnehmen könnte man, denkt er. Oder in den Urlaub fahren. Aber die Gattin ist schon verplant mit Freundinnen zum Yoga oder Fotokurs in der Toskana, und allein ist es auch doof. Dann bleibt nur noch die Jagd. Still sitzt dann der pensionierte Würdenträger im Schneeregen irgendwo im österreichischen Revier der Parteifreunde und friert. Wenigstens sitzt er auf der alten Ausgabe der Heimatzeitung. Wie leicht verkühlt man sich untenrum.

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