Wie umstrittene Bauprojekte im Tal realisiert werden:
Wer hat das durchgewunken?

In der Wiesseer Seestraße prunkt ein umstrittenes Bauprojekt. Besucher und Einwohner beschweren sich. Eine Spurensuche im Labyrinth gemeindlicher Entscheidungswege.

Gott sei Dank: der Sonnenschirm ist schon da… Neubau an der Seestraße in Bad Wiessee. / Foto: Redaktion

Die Seestraße von Bad Wiessee verbindet die heutige Ortsmitte mit dem alten Ortskern von Abwinkl. Hier säumen sich die üblichen Landhausvillen des Tegernseer Tals. Viel Schnörkeltore und Gitter. Der übergroße Balkon. Voralpenstil der 70 und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Man hat sich daran gewohnt, und mittlerweile glauben Besucher, dass dieser Baustil zum Tal gehört, wie Waldfest und Leonhardifahrt. Geschmack hat auch viel mit Geduld und Gewohnheit zu tun. Diese Einstellungen werden noch wichtig für diese Spurensuche sein.  

Am Ende der Seestraße, kurz bevor es hinauf zu den alten Bauernhöfen von Altwiessee geht, hat sich ein Unternehmer aus Baden-Württemberg einen Wohntraum der besonderen Art gebaut. Zwei große Baukörper, die durch einen Mittelbau verbunden wurden. Vor den übergroßen Fensterfronten ein Riegel aus Latten. Als ob diese Massivität, die nirgendwo in der Umgebung eine bauliche Entsprechung hat, nicht ausreicht, brauchte es sehr weiße, sehr große Doppelgaragen. Es gibt nicht eine Sicht auf das Haus, die sich an ortsübliche Bauweisen angleichen will.

Der Wiesseer Bauamtsleiter Anton Bammer erzählt, dass sich sehr viele Bürger über den Bau “erkundigen und auch beschweren.” Zu auffällig, zu kreischend anders, so die oft gehörte Klage. Ist es so etwas wie die arabische “Apricot macht Mutti froh“-Villa in Tegernsee-Süd? Alle finden sie grauslig und keiner will es genehmigt haben?

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Aber wie konnte es zu der Bau-Riegel in Seenähe kommen?

Im Herbst 2018 stellt der Unternehmer S. mit seiner Frau einen Bauantrag für ein 1.500 Quadratmeter großes Einfamilienhaus. Der damalige Bauamtsleiter Helmut Köckeis stellte im September 2018 das Projekt dem Gremium des damaligen Bauausschusses vor. “Statt eines Altbaus solle nun „ein Einfamilienhaus in großzügiger Form” entstehen, erklärt er den Räten. Wichtig zu wissen: Vier Räte von damals sitzen auch noch heute im Gemeinderat. Der Bauantrag des Unternehmerpaares wird nach einem vorherigen Ortstermin abgelehnt. “Ausschlaggebend hierfür waren zahlreiche Abweichungen von … Ortsgestaltungssatzung sowie der Umstand, dass auf dem Grundstück umfangreiche Baumrodungen ohne vorherige Abstimmung mit der Gemeinde durchgeführt wurden”, heißt es wörtlich in der Begründung des Ausschusses. Der Baukörper aber selbst, die Massivität und grundsätzliche Gestalt, die bleibt von der Begründung ausgeschlossen.

Binnen drei Monate gleicht der Unternehmer den Bauantrag an, verspricht “umfangreiche Nachpflanzungen auf dem Grundstück, verzichtet auf ein Flachdach, vergrößert den Abstand der Längssprossen (von 1 auf 1,25 Meter), um einer harmonischen Aufteilung der 2,50 Meter (!) breiten Fensterflächen gerecht zu werden.” Die Garage bleibt mit einem Flachdach im Bauantrag bestehen. Und so wird noch zwei Tage nach Nikolaus 2018 im Bauausschuss ohne Gegenstimme dem neuen Bauantrag zugestimmt.

In der direkten Nachbarschaft: Bienen und Bauernhöfe – noch. / Foto: Redaktion

Das Landratsamt macht mit, genehmigt ebenso. Und so wird gebaut. Die zuständigen Architekten kommen unter anderem aus Südafrika (SEATA) sowie aus Dietramszell, wie die Architekten Beham. Sie sind keine Unbekannten im Tegernseer Tal. Aktuell stehen sie im Fokus eines Streits in Rottach-Egern. Die Fassadengestaltung ging an ein Südtiroler Unternehmen.

Der Bau entsteht, und je sichtbarer aus der Planung die Realität wächst, desto stärker staunen die Passanten an der Seepromenade. Was ist das? Warum hier? Wo doch in der näheren Umgebung komplett alles anders ist? Es sollte gerade im Innenbereich nicht ein homogenes Erscheinungsbild existieren. Und schnell heißt es in der Bevölkerung: Wie immer will es keiner gewesen sein. Schaut man sich die ursprünglichen Baupläne an, ist da eigentlich alles so entstanden, wie es dem Bauausschuss vorlag. Zwischen Planung und Ist-Zustand ist auf den ersten Blick kein Unterschied zu erkennen. Hier und da ein Geländer nicht aus Glas, dort etwas mehr Grün. Aber das Grundkonzept steht. Das Bau-Trumm in Steinwurfnähe zum schönsten bäuerlichen Bau-Ensemble des Tegernseer Tals, in Alt-Wiessee, wurde mit offenen Augen so von allen Behörden genehmigt, nichts schwarz gebaut. Der Unternehmer S. hat nichts falsch gemacht. Der Rest ist Geschmacksache. Oder?

Es wäre ein Leichtes, die einstigen Entscheider im Gremium vorzuführen, sie mit dem aktuellen Bau zu konfrontieren. Aber es geht nicht um Schuld. Es geht um Verantwortung. Zum einen sitzen in den Bürger-Gremien wenige Bau-Experten. Das wäre schon die Aufgabe des Landratsamtes in Miesbach. Dort aber beschweren sich Bauherrn über langsame Prozesse in den kommunalen Ausschüssen und in der Verwaltung. Verzögerungen bedeuten massive Mehrkosten.

Nun ist aber in Bad Wiessee der Fall in der Seestraße nicht einzigartig. Südlich des “Bauernhügels, in Abwinkl, entstanden die Tegernsee Villen im einstigen Brenner Park. Der österreichische Bauträger Planquadrat hatte das Projekt vom einstigen FWG-Gemeinderat und Gastronomen Jupp Brenner übernommen und realisiert. Es entstanden 34 Luxuswohnungen, verteilt auf neun Häuser. Zu eng, zu hoch, zu viel. Das waren die Klagen, als alles stand. Die CSU hatte damals gegen das Projekt votiert, unterlag aber gegen die Mehrheit von SPD und FWG. Später bedauerte selbst ein einstiger Bau-Befürworter wie der Bürgermeister Peter Höß die Massivität. Ironischer Nebenaspekt: Heute hat die Firma Planquadrat ihren Sitz in Bad Wiessee …

Am Lebensende mag man es gern eng und kuschelig – die Tegernseer Villen im Brenner Park. / Foto: Redaktion

Die eigentliche Frage wird sein: Wird der Seestraßen-Bau ein Einzelfall bleiben? Oder dient er anderen Bauherrn als Referenz für weitere Stil-Verbiegungen im Ortskern des Westufer-Ortes. Bürgermeister Robert Kühn ist sich sicher: Mit ihm wäre das Projekt so nicht realisiert worden. Nun geht wegen eines umstrittenen Baus an der Seepromenade nicht die Heimat unter. Sie dokumentiert aber ein Dilemma. Denn zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass viele Gemeinde- und Stadträte oft genug Bauvorhaben stoppen oder verändern wollen, aber vom genehmigungsberechtigten Landratsamt in jüngster Zeit überstimmt werden. Dort richte man sich nach einer neuen Direktive aus übergeordneten Ministerien, die verlorene Prozesse mit Bauherrn fürchten, so lässt der Landrat Olaf von Löwis kürzlich eine Sprecherin erklären.

Vielleicht sind solche Bauten ähnlich zu behandeln, wie die 80er Jahre Landhausvillen im Jodelstil. Sie hatten mit der ursprünglichen bäuerlichen Bau-Vorgabe auch wenig zu tun, bildeten den damaligen Idylle-Geschmack der Bauherrn wider. Der Bayerische Rundfunk hatte damals herrlich darüber geätzt: “Gemeint sind jene neuen weiß-blauen Kitschburgen, die mit viel Geld und viel Holz und viel Lüftlmalerei die bayerische Landschaft in ein Operettenland verwandeln. Gebaute und geschnitzte Karikaturen, die den Blick für das Echte verstellen.” Geschmack ändert sich. Aber die Heimat kann man andererseits nur einmal zubauen.

Heute, ein halbes Jahrzehnt nach Genehmigung des Bauantrags, wird an der Seestraße noch immer gewerkelt. Viel Metall, Glas und eine übergroße weiße Garagenkiste stehen neben einem alten Austragshaus. Ein örtlicher Imker hat seine Bienenkästen aufgestellt. Mehr Kontrast ist kaum möglich.

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