Ein Kommentar von Martin Calsow:
2015: Der O
laf Löwis (aka Erster Bürgermeister) steht einfach da, umringt von baumlangen Westafrikanern, die auf dem Marktplatz eine andere Unterkunft fordern. Er bleibt cool, lässt sich nicht beirren. 2017 Die Hösl Kathrin (Meisterin) findet keine Auszubildenden. Sie hat den Radjab aus Afghanistan genommen. Eigentlich werden Afghanen abgeschoben. Aber der bleibt und arbeitet.
Zwei Jahre ist der Höhepunkt her.Tausende Flüchtlinge strömten über unsere Grenzen. Auch im Oberland herrschen bald chaotische Bedingungen. Betroffen sind über Nacht Politiker, Menschen in den Verwaltungen, Helfer und – alle anderen. Denn diese Entscheidung, im fernen Berlin von einer Frau getroffen, setzte auch uns in einen Ausnahmezustand.
Die positiven Dinge zuerst: die zivile Hilfsbereitschaft vieler Menschen war erstaunlich. Über Monate gaben pensionierte LehrerInnen und Freiwillige Unterricht, öffneten ihre Häuser, spendeten und waren schlicht dort, wo der Staat hätte sein müssen. Der hatte entschieden und sich dann entschieden, nicht mehr so recht in Erscheinung zu treten. Die Bürger füllten die Lücke der Unterstützung, teils aus reiner Nächstenliebe, teils aus pragmatischer Hilfsbereitschaft, weil „das Problem ja gelöst werden muss.“
Man kann nur den Hut ziehen
Dann waren da die Bürgermeister und Gemeinderäte, die Helfer in den Verwaltungen, die Überstunden machten, die bis an den Rand der Erschöpfung improvisierten, um Wohnraum und Lebensmittel aufzutreiben, Struktur in das Chaos zu bringen, die sich von den Ahnungsfreien aber Meinungstarken haben beschimpfen und bepöbeln lassen müssen. Rückblickend kann man vor diesen Leistungen nur den Hut ziehen. Es ist ein Beweis gewesen, für eine funktionierende Zivilgesellschaft, die über politische Gräben hinweg, Lösungen möglich machten.
Denn die Stimmung kippte bald. Menschen bekamen Angst. Denn was sie täglich vor Ort sahen, passte nicht ganz zu den Verlautbarungen und Forderungen vieler Politiker und Medienvertreter. Der Satz „Das schaffen wir“, klang wie Hohn für viele, die sich von jenen, die dem Zustrom zugestimmt hatten, alleingelassen fühlten. Wir haben als Medium sehr heftig, einem Seismograf gleich, diesen Wechsel erleben dürfen.
Die Kommentare veränderten sich, wurden härter und verächtlicher, zynischer und menschenfeindlicher. An dieser Stelle muss man die örtliche Heimatzeitung loben, die sehr ausgewogen und sachlich diese Zeit begleitet hat, nicht der Verlockung des Brandbeschleunigens erlegen ist.
Haben wir’s geschafft?
Dennoch: Aus berechtigten Diskussionen über das Pro und Contra des Zustroms wurden langsam aber sicher gefährliche, meist persönliche Streitereien. Auf dieser Welle schwammen auch in unserem Tal Populisten und intellektuell überschaubare Trittbrettfahrer. Es waren auch hier einige kluge Kommentatoren in unseren Foren, die diesen Hetzern die Stirn boten. Einige Firmen haben Migranten aufgenommen, sie mit großen Mühen und Einsatz ausgebildet. Heißt das: Wir haben es geschafft?
Nur ein Moment: An einem eisigen Wintertag fuhren meine Kollegen und ich raus nach Holzkirchen zur Traglufthalle. Vor dem Eingang stand eine Gruppe Westafrikaner, eingemummt in gespendeten Winterjacken, völlig konsterniert blickend angesichts des Schnees und der Kälte. In diesem Moment war für mich jenseits aller Sachargumente klar, dass wir nur einen Bruchteil jener Menschen, die auf grauenhafte Weise aus ihrer Heimat geflüchtet sind, jemals in unsere Gesellschaft integrieren können.
Sie fehlen zudem in ihren Ländern. Denn meist kamen und kommen nur die Starken und Jungen. In vielen Länder herrscht schlicht ein Jungenüberschuss. Es ist sinnlos, die Schuld für das Elend in diesen Ländern uns selbst oder einer Religion zu geben. Es bricht jedem normal tickenden Menschen das Herz, die Qual, die Todesangst und den Horror der Flucht zu sehen. Aber wir werden in Europa nicht noch einmal so eine Anzahl bewältigen können. Es braucht neue Lösungen, fern von plumpen AfD-Lösungsblasen und anderem populistischem Gewäsch.
Was haben wir lernen können?
Erstens:
Humanitäres Handeln hat seine Grenzen in einer Gesellschaft. Wer diese wunderbare Eigenschaft überstrapaziert, zerlegt eine Gemeinschaft, und zwingt sich letztlich in unangenehme Vertragspartnerschaften mit Despoten. Zu dieser Erkenntnis braucht es nicht eine Kölner Silvesternacht.
Zweitens:
Wer unsere Geschichte kennt, weiß: Politische Alleingänge, in der Hektik eines Sommers gemacht, haben unserem Land nie gut getan. Wer nicht bei solchen Entscheidungen den Rückhalt der Gesellschaft nachhaltig fordert und fördert, hinterlässt ein politisches Trümmerfeld. Das große Menü bestellen, sich im Ausland als Humanistin feiern lassen, aber daheim andere die Rechnung zahlen lassen, ist nicht sehr fein.
Drittens:
Wir, die wir im paradiesischen Oberland leben, an einem Ort von Frieden und Reichtum, wurden schmerzlich daran erinnert, dass wir der Welt da draußen eben nicht entfliehen können. Sie kommt zu uns, abschotten funktioniert nicht. Die Länder der Flüchtlinge brauchen nachhaltige und vernünftige Pläne und Hilfen. Wer dagegen ist, hat eben bald wieder Traglufthallen aufzubauen. Es hilft also, über den Tellerrand immer und immer wieder zu schauen. Wir sind keine Insel.
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