Die Zahl der Abgeordneten im Bundestag wächst seit Jahren nach jeder Wahl. Nun hat die Ampelkoalition das Wahlrecht auf recht schwindelige Art reformiert. Und das geht auf unsere Kosten als Wähler hier in Bayern. Was ist da los?
Erst mal zu den Fakten:
Wählen wir den Bundestag, geschieht das als personalisierte Verhältniswahl. Ein Anteil der Abgeordneten wird direkt gewählt, ein anderer kommt über die Listen der Parteien. Deswegen haben wir zwei Stimmen. Über die Erststimme werden in den Wahlkreisen Kandidaten gewählt. Es gewinnt, wer die meisten Stimmen bekommt. Mit der Zweitstimme entscheidet man sich für eine Partei – genauer: die Landesliste einer Partei im eigenen Bundesland. Das Ergebnis der Zweitstimmen ist ausschlaggebend dafür, wie viele Sitze eine Partei am Ende im Bundestag bekommt.
Der Zahl der Abgeordneten im Bundestag wuchs. Das Bundeswahlgesetz sieht eine Richtgröße von 598 Abgeordneten vor. Tatsächlich sind es derzeit 736. Der Grund: Überhang- und Ausgleichsmandaten. Wasn das?
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate über die Erststimme gewinnt, als ihr Sitze nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zustehen. Bei uns ist das Alexander Radwan. Der CSU-Mann hatte 2021 nach schweren Verlusten immer noch fast 42 Prozent der Erststimmen in unserem Wahlkreis erhalten (2017: 46%). Generell holt die CSU in Bayern extrem viele dieser Direktmandate und sorgt so für Überhangmandate. Damit diese die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Fraktionen nicht durcheinanderbringen, bekamen bislang die anderen Fraktionen sogenannte Ausgleichsmandate. Das hat dazu geführt, dass immer mehr Abgeordnete in den Bundestag eingezogen sind.
Das ist jetzt anders:
Eine Partei bekommt jetzt nur noch so viele Sitze, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Allein der Sieg in einem Wahlkreis bedeutet also nicht automatisch, dass man ein Mandat errungen hat. Wahlkreissieger werden lediglich gegenüber Listenkandidaten bevorzugt. Mögliche, nicht sehr wahrscheinliche Folge: ein Wahlkreis wie der unsere, könnte gar nicht im Bundestag vertreten sein, würde dann von einer Person von der Liste kommen. Warum? Die ursprüngliche Senkung der der Abgeordneten-Zahl auf 598 wurde auf 630 gesetzt.
Aber jetzt kommt der Knock-out für die bayerischen Konservativen: Mit der sogenannten Grundmandatsklausel konnten Parteien, die in der Bevölkerung als besonders verankerte Kräfte galten, auch im Parlament vertreten sein sollten. Davon profitierte auch die SED-Nachfolgepartei “Die Linke”. Die hatte mit Müh und Not bei der letzten Bundestagswahl drei gewonnen Direktmandate geholt und konnte so noch in das Parlament einziehen.
Mit der Reform fällt diese Sondernummer weg. Es gilt die Fünf Prozent Hürde für alle. Und dann kann es für Söders Truppe bei der nächsten Wahl eng werden. Ihr Weg zur reinen Regionalpartei wäre damit geebnet.
Ist das richtig?
Das alles hat die Ampel-Koalition am vergangenen Freitag mit einer simplen Mehrheit im Parlament durchgezogen. Das ist alles andere als besonders fein, hat ein übles Geschmäckle, den politischen Gegner mit einer Rechtsreform auszubooten und wirkt demokratiefern. Warum? Ich möchte, dass mein Stimmkreis in Berlin repräsentiert wird, nicht von einem fernen Kandidaten, der sich hier selten blicken lässt, sondern jemanden aus der Region. Mag er auch nicht der von mir präferierten Partei angehören, so ist es doch falsch, irgendwelche Hansel auf Listen hier loszuschicken, die auf Landesparteitagen von Parteien zusammengeschustert werden. Das entfernt Bürger noch mehr zur fernen Bundespolitik. Die Ampel-Koalition, so wirkt es auf mich, spielt hier opake Ränkespiele, geht sehr ungeschickt ans demokratische Eingemachte, statt transparente und für alle nachvollziehbare Reformen auf breiten Schultern umzusetzen.
Aber: Ist es nicht dennoch auch eine gerechte Klatsche für die CSU? Der Reform-Torpedo lief schon lange unter Wasser. Alle Parteien wussten: Da kommt etwa auf uns zu: Wenn wir die Bürger zum Sparen auffordern, dann können wir uns hier nicht so aufblähen. Gut, kaum eine Regierung hat sich so viele Beamte und Staatssekretäre gegönnt, wie die Ampel derzeit. Aber dennoch: Der deutsche Bundestag: Die zweitgrößte Versammlung nach China? Das kommt gerade nicht gut.
Die Schwarzen haben es auch verbockt
Nur: Wie so oft hat die CSU die Zeichen der Zeit verschlafen. Klar war jedem: Das Parlament ist zu groß. Alle wollten Reformen – seit Jahren. Nur die CDU/CSU in Person von Alexander Dobrindt blockte weg, spielte wie ein Kind, das sich nicht anziehen will, auf Zeit, kam selten mit klaren Vorschlägen um die Ecke. Jetzt stehen die schwarzen Bayern doof da.
Man kennt das Verhalten der Truppe von anderen Themen wie Verkehr und Digitalisierung (Stichwort Dobrindt und Scheuer). In der Münchner Staatskanzlei hat man das Thema schlicht verbummelt. Man kann an den wütenden Attacken der Funktionäre erkennen, wie sehr die drohende Verzwergung schmerzt. Aber es kommt wehleidig daher, Strauß rotiert in Rott am Inn.
Mag sein, dass man den Märtyrer-Bonus zur Landtagswahl ziehen, auf eine Solidarisierung der eigenen Truppen im Homeland hoffen kann. Aber sollte das Bundesverfassungsgericht keine Einwände haben, entweicht recht schnell viel heiße Luft aus dem CSU-Bundestagsballon. Die CSU auf Aiwanger-Niveau? Passt sie da hin?
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