Das Tegernseer Tal: See, Berge und ein ausgeprägtes Kastensystem, getoppt nur vom indischen Bundesstaat Rajasthan. Auf dem ersten Blick leben nur zwei Gruppen friedlich neben- und miteinander: Einheimische und Zugezogene. Das läuft in der Regel reibungslos. Denn meist wollen die Menschen ja nur ihr kleines Leben, ein Stück vom Paradies bekommen. Aber…
Ab und an tauchen in diesem bunten Bewohner-Garten ganz besondere Gewächse auf. Sozial auffällig, mal als Ärgernis, mal als Spottquelle wahrgenommen, sind sie in ihrer putzigen Bräsigkeit und Ich-Bezogenheit für uns ein Grund, sie einmal näher zu betrachten. Am Ende gibt es die Butzmann-Bewertung: Wie wirr, aber putzig ist die Gruppe? Wir starten mit den
Zwiderwurzn-Zugezogenen
Sonja und Bodo, Silver-Ager, das mittelalte, kinderlose Unternehmerpaar (er im Früchtegroßhandel, sie irgendetwas mit Gastro) ziehen aus Westdeutschland an den See, kaufen eine überteuerte Landhaus-Haziette mit großem Renovierungsbedarf. Dort wollen sie ihre letzten zwei bis drei Lebensjahrzehnte verbringen. Elmshorn, Schlangenbad oder Backnang sind Orte des Schreckens, im Spätherbst des Lebens muss was mit Klang her.
Geistheilung und Paar-Erotik
Also, warum nicht der Tegernsee? Kennt man ja vom Feiern beim Frühauf oder Preysing (“Hey Chris, noch ‘ne Runde Taitti für alle”). Die medizinische Versorgung (auch die der Geistheilung mit Homöopathie, Räuchern oder anderem Unfug) ist gewährleistet (“Du, drüben in Tegernsee machen sie auch eine ganz, ganz tolle Darmentgiftung – ambulant”). Der Klaus-Dieter und die Jenny mit dem Autohaus in Kassel (lernten Sonja und Bodo auf einer Kreuzfahrt kennen und privat vertieften später…hüstel…) sind auch schon da, wohnen allerdings nur im Dachgeschoss in Dürnbach. Sonja und Bodo wollen mehr, wollen leben, oder besser: “läääben”. Das vom heimischen Makler aufgepriesene Haus (“schlagen Sie zu, es warten schon drei andere Interessenten…”) muss renoviert werden. Keine goldenen Wasserhähne, kein Bidet und kein rosa Kachelofen mit Sternzeichen-Kacheln der früheren Bewohner.
Das Bargeld in der Schweiz muss aufgebraucht werden, sorgt ja insbesondere in Inflationszeiten eh für schlaflose Nächte.
Heimische Handwerker – Piraten des Tals?
Das ist dann aber der erste Downer im teuer erkauften Paradies: Diese verdammten bayerischen Handwerker verlangen Mondpreise und wollen nicht handeln (“Ja, wir kommen dann in einem Jahr”). Es folgen Monate der Grabenkämpfe über Kosten von Fliesen, Heizung und Ausbau mit Altholz. Aber irgendwann ist das Yogazimmer (“Sonnengruß bis der Postmann zwei Mal klingelt”, aber alles mit Fußbodenheizung!) für sie und der Medienraum (inkl. des klassischen westdeutschen Statussymbols: alles von Bang & Olufsen) für ihn eingerichtet.
Ruhe bitte, Bodo muss Schlafi machen
Nun können Sonja und Bodo, kurz SoBo, das Leben am See und in den Bergen genießen. Es werden neidische Freunde aus Düren, Dortmund oder Düsseldorf eingeladen, aber nach drei Tagen wieder rausgeworfen (“Fisch und Besuch….”). Ansonsten füllt man die reichlich vorhandene Tagesfreizeit mit Innendeko-Ideen und dem Terrorisieren der Nachbarschaft. Denn der Bodo hat überschießende Magensäure und schläft leicht, muss zudem – altersgemäß – nachts häufiger raus. Und da stört schon der Schneeräumdienst der Gemeinde um 4:30 Uhr beim erneuten Wegdämmern. Also reißt sich der Bodo die Beißschiene aus dem Mund, die Augenmaske vom Gesicht und stürmt in die kalte Winternacht. Nahezu todesmutig wirft er sich dem Quirin vom Räumdienst in den Weg. Der merkt nichts, und im Frühjahr findet man den Bodo im kleiner werdenden, etwas vergilbten Schneehaufen an der Straßenecke…
“Das lasse ich mir nicht gefallen”
Nein, natürlich nicht. Der Bodo beschwert sich beim Ordnungsamt, beim Bürgermeister, in den Kommentarspalten des Heimatblatts und klagt mithilfe heimischer Juristen (die sitzen gern in Gemeinderäten und mäkeln dort gegen den Zuzug): Ob Schneeräumung, Klavierspielen, Glockenläuten oder Bäckereiduft. Irgendwas stört SoBo immer, und da macht man aus seinem Herzen keine Mördergrube. So verspielt man sich in kurzer Zeit jedwede Zuneigung der Einheimischen, bekommt aber den Kontakt mit gleichgesinnten Friedhofsruhesuchenden. SoBo verteilen Einladungen zu Abendessen wie andere Corona-Viren, geben sich jovial und irgendwie wie Kolonialisten in der Neuen Welt. Der Zorn auf den gemeinsamen Feind, also die freche Rot- bzw. Bayernhaut jenseits der Drei-Meter hohen Serbischen Fichtenhecke, das schweißt zusammen.
Zum Dessert: Verschwörungstheorie
Damit man mit den richtigen Großkopferten zusammenkommt, wird tunlichst auf den “beruflichen Hintergrund” der Gäste / Bekannten / Freunde geachtet. Niemals Lehrer (“schlimme Klugscheißer und Tempolimit-Befürworter”), gern aber Menschen aus der Finanzwelt, die das richtige Verständnis für „Bargeld“ und Finanztransaktionen jedweder Art haben. Wichtig: Die Macke. Die SoBos haben immer eine kleine Macke. Mal sind es Impfgegner, mal kommen sie zwischen Rioja und veganem Curry mit einer verschwurbelten Verschwörungstheorie (“Bill Gates, Rothschild, Soros – Ihr ahnt gar nicht, wer uns regiert”) aus dem Telegram-Kosmos um die Ecke. Das sorgt hier und da bei den Gästen für einen peinlichen Moment der Stille. Aber da jeder am Tisch weiß, dass Bodo eben zuweilen intellektuell maximal gefordert ist, wechselt die Gastgeberin gekonnt und charmant das Thema (“Jemand schon das Trüffelrisotto auf der Saurüsselalm probiert? Sen-sa-tio-nell”).
Lebensraum und Systematik
Wie erkenne ich sie?
Paartyp 1: beide GULAG-schlank, weil viel Yoga und extreme Esskontrolle. Dafür kaum Waden. Mutti „isst auch gern mal andersrum“, heimlich natürlich und aus Tradition, aber auch weil es schneller geht als eine Glaubersalz-Kur in Bad Wörishofen. Er macht viel am Rudergerät. Trotzdem vergrößern sich ungewollt Organe wie der Machtbereich Chinas. Aber das regelt der Guru im nahen Ausland, den man aufsucht, wenn man da zufällig auch das befindliche Bankfach “besucht”.
Paartyp 2: Sie ist sehr jung, er hat noch Adenauer live erlebt. Bei beiden ist es echte Liebe… Er schläft gern am Tisch beim zweiten Glas Rotwein ein (“Mach ruhig voll, ich mag keine halben Sachen”). Sie spielt Tennis und mit dem Lehrer (noch jünger). Beide im Winter viel Kaschmir am Leib. Im Sommer auf dem Waldfest (“Wir kennen den Loisl vom Trachtenverein, haben immer einen Tisch. So putzig, diese Einheimischen, wenn sie mit ihrer Peitsche knallen”) auch gern mal ein Seiden-Dirndl von Loden-Frey. Er trägt Gucci-Loafers zur Lederhose beim Seefest mit der neuesten Apple Watch (Wichtig: beleuchtetes und großes Zifferblatt! Die Pateks und Rolexe liegen im Tresor).
Was ist ein typischer Satz?
“Wenn diese Drecksregierung die Vermögenssteuer bringt, sind wir im Ausland.”
Wo finden wir sie?
Er sitzt am Stammtisch “der einsamen Herzen” im Bräu und dämmert dort ein wenig vor sich hin. Sie sitzt beim angesagten Italiener und genießt den Loup de mer mit gedünstetem Gemüse und einem “ganz, ganz zarten Weißwein, bitte.”
Juppi Butzmann-Faktor: sehr hoch
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